Zerstritten und abgestürzt

Charkow. Tiefer kann man nicht fallen. Die niederländische Nationalmannschaft hat bei der Fußball-Europameisterschaft einen krassen Absturz erlebt. Noch vor zwei Jahren bei der WM in Südafrika wurde "Oranje" für seinen effektiven Fußball gefeiert und erst im Finale (0:1 nach Verlängerung) von Spanien gestoppt

Charkow. Tiefer kann man nicht fallen. Die niederländische Nationalmannschaft hat bei der Fußball-Europameisterschaft einen krassen Absturz erlebt. Noch vor zwei Jahren bei der WM in Südafrika wurde "Oranje" für seinen effektiven Fußball gefeiert und erst im Finale (0:1 nach Verlängerung) von Spanien gestoppt. Gestern musste der deprimierte Vize-Weltmeister mit drei Niederlagen im Gepäck kleinlaut und frustriert die Heimreise aus Polen antreten und bot ein Bild des Jammers.Zerstritten, zerfahren, zerknirscht - und vorgeführt vom in Galaform auftrumpfenden Cristiano Ronaldo. Portugals Starstürmer zerlegte beim 2:1-Sieg die Elftal nach Rafael van der Vaarts Führung (11.) mit einem Doppelpack (28./74.) im Alleingang. "Cristiano Ronaldo hat den Unterschied ausgemacht", jammerte Bert van Marwijk, dessen Amtszeit sich nach vier Jahren unweigerlich dem Ende entgegen neigt. "Ich habe meinen Vertrag kürzlich bis 2016 verlängert", sagte der Bondscoach in der bitteren Stunde zwar, ahnte aber wohl, dass er nach dieser Blamage mit einem exzellent ausgestatteten Kader kaum zu halten sein wird. "Sie können mich alles fragen, aber nicht nach meiner Zukunft", raunzte der 60-jährige Trainer.

Dafür nahmen einige der Spieler nach dem ersten Vorrunden-Aus einer niederländischen Elftal seit 32 Jahren kein Blatt mehr vor den Mund. Die Stars offenbarten, dass man längst kein Team mehr ist, sondern eine Ansammlung von Egozentrikern und teilweise überschätzen Fußballern. "Es ist schwer, füreinander zu kämpfen, wenn das Vertrauen weg ist", gestand Spielmacher Wesley Sneijder. "Ich bin hierher gekommen, um Europameister zu werden. Nun fahren wir mit leeren Händen nach Hause. Wir haben es nicht geschafft, unsere Egos beiseite zu schieben", meinte der Italien-Legionär.

Tacheles redete auch Reservist Khalid Boulahrouz, der bei den Pleiten gegen Dänemark (0:1), Deutschland (1:2) und Portugal keine Sekunde zum Einsatz kam. "Es ist einiges passiert, was besprochen werden muss", sagte der Verteidiger. "Wenn du dich als einzelner Spieler nicht in die Mannschaft fügen kannst, dann musst du zu Hause bleiben."

Bert van Marwijk trug viel zu Misstrauen und Grabenkämpfen im Team bei. Grantig kommt er daher, statt zu motivieren und zu begeistern. Zudem beging er schwere taktische Fehler, und seine Spieler waren alles andere als fit. "Nicht nur die Spieler haben Fehler gemacht, sondern auch ich", gab er zu. "Am liebsten würde ich das Turnier mit einem Sack über dem Kopf verlassen", gestand sein schlecht spielender Schwiegersohn Marc van Bommel. "Ich bin der Kapitän und muss die Spieler schützen. Aber die Atmosphäre im Team war anders als bei der WM", sagte er. Sneijder brachte das Drama auf den Punkt: "Wir haben alle zusammen versagt." Dennoch sprach er sich für van Marwijk aus. "Geht es nach mir, bleibt er." dpa

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