„Wir fühlten uns unantastbar“

Saarbrücken · Saarbrücken. Vor zehn Tagen feierte Joachim Deckarm seinen 60. Geburtstag. Am Freitag werden die Feierlichkeiten in der Joachim-Deckarm-Halle abgerundet – mit einem Freundschaftsspiel einer Auswahl saarländischer Talente gegen ein Allstar-Team von Heiner Brand. Der Sportmanager des Deutschen Handball-Bundes und Ex-Bundestrainer zählt zu den engsten Freunden Deckarms. SZ-Mitarbeiter Sebastian Zenner hat mit dem 61-Jährigen gesprochen.

Herr Brand, im Rahmen der Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag von Joachim Deckarm hatten und haben Sie mehrere Funktionen: Sie waren Laudator des Protagonisten, sitzen als Trainer auf der Bank des Allstar-Teams. Außerdem haben Sie als Sportmanager des DHB sicher auch einen Blick auf die saarländische Junioren-Auswahl. Welche Rolle ist Ihnen die liebste?

Heiner Brand: Ich übernehme alle Rollen gerne, aber natürlich war es schon etwas Besonderes, die Laudatio für Joachim halten zu dürfen.

Wie beschreiben Sie Ihre Freundschaft zu ihm, und welche Rolle spielt dabei der tragische Unfall von vor 35 Jahren?

Brand: Wir haben uns schon als Spieler beim VfL Gummersbach und auch in der Nationalmannschaft sehr gut verstanden. Unser Karriereverlauf war ja quasi parallel, wir haben beide den Aufschwung der Nationalmannschaft miterlebt. Privat gingen die Interessen aufgrund der unterschiedlichen Verhältnisse - ich war schon verheiratet - ein bisschen auseinander. Wir hatten eine gefestigte Bindung, und die ist nach dem Unfall noch intensiver geworden.

Haben Sie darüber nachgedacht, wie es Ihnen mit diesem Schicksal ergangen wäre?

Brand: Ja, sicher. Das wurde uns allen eigentlich schlagartig klar. Als wir gesehen haben, dass sich so ein Leben von der einen auf die andere Sekunde ändern kann, haben wir einiges anders eingeschätzt und auch über vieles anders nachgedacht. Wie ich in meiner Laudatio sagte, fühlten wir uns damals unantastbar. Das ist ja auch klar bei Leistungssportlern, die auf der Spitze ihres Leistungsvermögens und der körperlichen Fähigkeiten sind. Sie denken überhaupt nicht daran, dass solche Dinge passieren könnten.

Vielen jüngeren Handballern ist der Sportler Deckarm nur aus Erzählungen ein Begriff. Wie würden Sie dem Nachwuchs seinen Stellenwert als Handballer beschreiben - und diesen in der heutigen Zeit einordnen?

Brand: Joachim war aufgrund seiner überragenden Athletik schon sehr früh im deutschen Handball eine herausragende Erscheinung. Damals war Handball ja noch eine semiprofessionelle, eher amateurhafte Sportart. Auch, was den Trainingsaufwand anging. Da war Joachim auch dank seiner leichtathletischen Vergangenheit allen Spielern in Deutschland überlegen, und das hat sich in Dingen wie Sprungkraft, Wurfkraft und so weiter gezeigt. Er konnte als einziger mit den damals überlegenen Sportlern des Ostblocks mithalten. Trotzdem war er Mannschaftssportler und wusste, dass er die Mitspieler braucht, um Erfolg zu haben, und ließ uns das auch immer spüren. Das hat ihn wiederum herausragen lassen und ihm zu seiner Popularität und großer Anerkennung bei seinen Mitspielern verholfen.

Sie lieben Deckarms Humor. Wann und wie hat er Sie das letzte Mal so richtig gefoppt?

Brand: Das war vor seiner Geburtstagsfeier bei einem Fernsehtermin. Da hatte ich in einem Satz gesagt, dass ich öfters mal bei ihm vorbeischaue, wenn ich in Saarbrücken bin. Daran hat er sich hochgezogen und angemerkt, dass ich ja nicht nur vorbeischaue, sondern auch hereinkomme. Ich wusste schon, während ich den Satz aussprach, dass er intervenieren würde. Ich sah schon den Schalk in seinen Augen aufblitzen und wusste, was kommt. Es kommt immer wieder vor, dass er sich daraus seine Späße macht, aber darüber können wir herzhaft lachen.

Joachim Deckarm ist Saarländer. In letzter Zeit haben mit Daniel Fontaine und Yves Kunkel zwei weitere Saarländer den Sprung in die Bundesliga und auch in die B-Nationalmannschaft geschafft. Auch Tim Suton von Zweitligist HG Saarlouis gehört zum B-Kader und wird kommende Saison bei den Rhein-Neckar Löwen spielen. Wie sehen Sie die Entwicklung des saarländischen Handballs?

Brand: Ich denke, dass im Nachwuchsbereich gut gearbeitet wird. Es ist sicher ein Vorteil, dass Christian Schwarzer hier beim Verband tätig ist. Auch Landestrainer Dirk Mathis ist sehr aktiv. Sicherlich hilft auch die Tatsache, dass die HG Saarlouis in der 2. Bundesliga spielt. Hier haben alle drei Spieler ihre ersten Schritte gemacht. Aus meiner Sicht wäre es natürlich wünschenswert, dass es im Saarland wieder eine Erstligamannschaft gäbe, die den Nachwuchs auffangen würde. Allerdings bin ich mir bewusst, dass es angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse sehr schwer ist, dies zu etablieren.

Sind Fontaine, Kunkel und Suton auf dem richtigen Weg - vielleicht sogar mit Blick auf eine künftige Berufung in die A-Nationalmannschaft?

Brand: Die Situation von Daniel Fontaine kann ich nicht so gut einschätzen, weil ich ihn noch nicht so oft gesehen habe. Kunkel und Suton gehören ja zu unserem Elitekader - und sie wären nicht dabei, wenn wir es ihnen nicht zutrauen würden. Beide sind ja noch sehr jung. Man muss aufpassen, dass sie gut weiterentwickelt werden. Yves hat aufgrund seiner Schnelligkeit, Dynamik und dem Abwehrverhalten gute Perspektiven. Und Tim ist in diesem Alter außergewöhnlich weit. Aber auch er muss diesen Weg bestätigen und darf andererseits nicht überfordert werden. Er hat natürlich sehr gute Perspektiven und ist einer der Hoffnungsträger. Er hat gerade im vergangenen Jahr sportlich wie persönlich eine sehr gute Entwicklung genommen, aber er muss auch noch hart an sich arbeiten. Wir hatten schon einige Hoffnungsträger, die den Sprung nicht geschafft haben. Ich hoffe, dass es bei ihm so weitergeht und ihn auch die Rhein-Neckar Löwen auf dem Weg nach oben unterstützen.

Sie haben immer für mehr Deutsche in der Bundesliga plädiert. Was hat sich seit dem Ende Ihrer Ära als Bundestrainer getan? Sehen Sie Fortschritte?

Brand: Eigentlich noch zu wenige. Es gibt ein leichtes Umdenken - teilweise auch durch finanzielle Probleme wie beispielsweise beim TBV Lemgo, bei dem im Moment sehr gute Arbeit mit jungen Spielern gemacht wird. Das zeigt, dass es möglich ist, junge Leute einzubauen. Und dass diese auch in der Bundesliga bestehen können. Ich hoffe, dass dies eine gewisse Vorbildfunktion für andere Vereine hat. Es sind noch viele Möglichkeiten da, man muss natürlich Geduld haben. Wir haben aber schon viele Jahre verpasst, in denen wir mehr mit talentierten Nachwuchsspielern hätten arbeiten können.

Vielleicht hätte der DHB dann nicht bei der EM in Dänemark gefehlt und müsste nicht im Juni durch die WM-Qualifikation gegen Polen. Welche Bedeutung hat dies für den DHB?

Brand: Es wäre schon bitter, wenn wir wieder ein Turnier verpassen würden. Das ist ganz klar. Mit Polen haben wir einen der schwierigsten Gegner bekommen, aber wir müssen selbstbewusst genug in diese Spiele gehen, um bei der WM dabei sein zu können. Die EM hat gezeigt, dass wir uns hinter den meisten Mannschaften nicht verstecken müssen.

Wie intensiv haben Sie eigentlich die EM in Dänemark verfolgt, die ja ohne die deutsche Nationalmannschaft stattfand?

Brand: Ich habe nur einige Spiele am Fernsehschirm verfolgt. Manche habe ich mir auch aufgenommen und werde sie mir noch anschauen.

Vorausgesetzt, die WM-Quali scheitert: Wäre Ihr Nachfolger Martin Heuberger dann noch als Bundestrainer zu halten?

Brand: Diese Diskussion sollte man nicht führen und Martin endlich das Vertrauen schenken und ihn in Ruhe arbeiten lassen. Vor einer Quali muss man nicht noch den Druck erhöhen. Den gibt es sowieso schon.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die bereits laufende Diskussion um die potenzielle Nachfolge mit Namen wie Martin Schwalb, Christian Schwarzer oder Markus Baur?

Brand: Ich halte es aus sportlicher Sicht nicht für sinnvoll, den Druck jetzt zu erhöhen - auch aus menschlicher Sicht ist es total unangebracht, irgendwelche Namen ins Spiel zu bringen. Martin Heuberger ist selbstbewusst genug, diese Aufgabe entsprechend anzugehen. Viele Dinge werden von außen herangetragen. Es werden oft Baustellen aufgemacht, die gar nicht notwendig sind.Die Gelegenheit, gegen frühere Handball-Größen wie Stefan Kretzschmar, Daniel Stephan oder Christian Schwarzer zu spielen, hat nicht jeder. Die Jugend-Saarauswahl von Landestrainer Dirk Mathis schon - beim Benefizspiel gegen eine Allstar-Auswahl, das am Freitag um 18.15 Uhr (Einlass ab 16.30 Uhr) in der Joachim-Deckarm-Halle in Saarbrücken stattfinden wird.

Allerdings muss Mathis auf die Unterstützung von Daniel Fontaine (FA Göppingen) und Yves Kunkel (GWD Minden, beide bei der B-Nationalmannschaft im Einsatz) sowie Tim Suton, Lars Weissgerber und Michael Schulz (Auswärtsspiel mit der HG Saarlouis) verzichten. "Wir werden es mit Schnelligkeit versuchen - und die Alten mit Genialität. Mal sehen, wie das ausgeht", sagt Mathis. "Die Jungs sehen es als Ehre, mitspielen zu dürfen und für Joachim etwas Gutes zu tun."

An der Abendkasse gibt es noch Stehplatzkarten, maximal dürfen etwa 1900 Zuschauer die Halle füllen. Das Benefizspiel findet im Rahmen der Feierlichkeiten zu Deckarms 60. Geburtstag statt, die Einnahmen kommen dem Deckarm-Fonds der Deutschen Sporthilfe zu Gute. Die Saarauswahl trifft neben Kretzschmar, Stephan und Schwarzer unter anderem auch auf Henning Fritz, Markus Baur, Holger Löhr und Achim Schürmann. Auch ein Gastspieler ist dabei: Stefan Kuntz, Fußball-Europameister von 1996 und Vorstandsvorsitzender des Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern.

Bis Freitag läuft noch die Ausstellung "Hall of Fame" in den Räumen der Bank-1-Saar (Kaiserstraße 20 in Saarbrücken). Dort ist Joachim Deckarm täglich von 12 Uhr bis 14 Uhr anwesend, um seine Bücher zu signieren, die dort käuflich zu erwerben sind.

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