„Wimbledon war für mich schrecklich“

London · Saarbrücken. Ivan Lendl war der beste Tennisspieler in den 1980er Jahren, war 270 Wochen die Nummer eins, hat drei Mal die French Open, drei Mal die US Open und zwei Mal die Australian Open gewonnen – nur in Wimbledon gelang ihm nie der Triumph. SZ-Mitarbeiter Gianni Costa hat sich mit Lendl über seine Beziehung zum wichtigsten Turnier der Welt und seine Trainertätigkeit unterhalten.

Herr Lendl, heute beginnt das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon . Wie viele Portionen Erdbeeren mit Sahne haben Sie in Ihrem Leben gegessen?

Ivan Lendl (lacht): Sie werden mir das jetzt bestimmt nicht glauben, aber noch keine einzige. Ich mag keine Erdbeeren .

Faszinierender an Ihrer Antwort ist eigentlich, dass Sie so herzhaft lachen.

Lendl: Was haben Sie erwartet?

In meinen Erinnerungen habe ich nicht viele Bilder vor Augen, auf denen Sie lächeln. Und dann heißen Sie ja auch noch Ivan. Als Kind hatte ich Angst vor Ihnen.

Lendl: Das tut mir leid. Sie haben Recht. Ich habe mir Fotos von früher angesehen. Auf den meisten blicke ich tatsächlich grimmig drein. Ich war einfach konzentriert. Mittlerweile bin ich deutlich entspannter. Irgendwann hat mir einer den Spitznamen "Ivan, der Schreckliche" verpasst. Ich fand das nicht lustig. Viele haben sich nicht die Mühe gemacht, mich kennenlernen zu wollen.

Sie sind 14 Mal in Wimbledon angetreten. Wie sehr schmerzt es noch heute, dass Sie dieses Turnier nie gewinnen konnten?

Lendl: Ich bin in allererster Linie stolz darauf, was ich dort erreicht habe. Die Platzverhältnisse entsprachen so gar nicht meinem Spielstil. Wimbledon war für mich schrecklich. Das Gras war höher. Du musstest ständig in die Offensive gehen. Heute kann man das Spiel auch von der Grundlinie bestimmen.

Werden Sie als Zuschauer das Turnier in London verfolgen?

Lendl: Nein, aber ich werde mir die Spiele natürlich im Fernsehen alle ansehen. Was soll ich bei einem Turnier, bei dem ich selbst nicht involviert bin?

1986 haben Sie im Finale gegen Boris Becker verloren. Haben Sie noch zu ihm Kontakt?

Lendl: Keinen intensiven. Wir sehen uns bei zwei, drei Terminen im Jahr. Aber wir sind keine engen Freunde. Ich habe Boris als Sportsmann immer sehr respektiert, er war ein großer Gegner. Das war aber ein anderer Lebensabschnitt.

In Deutschland lechzt man nach einem neuen Tennisstar. Gibt es Grund zur Hoffnung?

Lendl: Zunächst einmal sollte man nicht immer zurückblicken. Natürlich gibt es ein paar vielversprechende Talente. Aber es muss so viel zusammenkommen, damit daraus eine Weltkarriere wird. Bei den Herren ist es derzeit düster, bei den Damen gibt es viele starke Spielerinnen. Ich habe 2013 Sabine Lisicki vor ihrer Finalniederlage in Wimbledon in der Umkleidekabine gesehen. Sie weinte so sehr. Der Druck war zu groß. Würde sie es nochmal bis ins Endspiel schaffen, wird ihr diese Erfahrung sicher helfen.

Was machen Sie derzeit beruflich?

Lendl: Gute Frage. Aktuell versuche ich, wieder richtig fit zu werden. Ich hatte ein paar gesundheitliche Probleme, bin am Rücken operiert worden. Ich versuche jetzt aber wieder, mehr Tennis zu spielen.

Sie haben 1994 mit 34 Jahren Ihre Karriere beendet und fast vollständig mit Tennis abgeschlossen. Nun sind Sie 55, arbeiten als Trainer und spielen bei Schaukämpfen mit. Warum?

Lendl: Weil ich jetzt endlich wieder den Kopf für das Spiel frei habe. Schon in den letzten Jahren auf der Tour hatte ich enorme Schmerzen im Rücken. Ich konnte nicht mehr klar denken. Das war brutal. Danach habe ich einfach andere Prioritäten gesetzt. Ich habe eine große Familie. Eine Frau, fünf Töchter. Der Rücken hat sich erholt, die Kinder sind aus dem Haus. Ich habe wieder Zeit und Lust auf Tennis. Ich mache es, weil es mir Spaß macht, nicht, weil ich es müsste. Das ist ein gutes Gefühl.

Sie haben von 2012 bis 2014 den Schotten Andy Murray trainiert und ihn unter anderem zum Triumph in Wimbledon geführt. Warum haben Sie das Engagement beendet?

Lendl: Weil ich ihm nicht geben konnte, was er von mir wirklich gebraucht hätte: mehr Zeit. Ich wollte meine Familie nicht zu sehr vernachlässigen.

Können Sie sich eine Rückkehr als Trainer vorstellen?

Lendl: Auf jeden Fall. Es gab ja auch schon einige konkrete Anfragen. Tomas Berdych zum Beispiel wollte mich engagieren. Es hat aber am Ende nicht gepasst. Es geht für mich nicht darum, irgendeinen Trainer-Job zu bekommen. Der Spieler muss zu mir passen, er muss mit meiner Art zu trainieren, einverstanden sein. Wir müssen einander vertrauen. Es gibt bei mir keine halben Sachen.

Ist es für manche Spieler vielleicht ein Problem, dass Sie, Herr Lendl, noch immer größer sind als sie selbst?

Lendl: Keine Ahnung, was anderen durch den Kopf geht. Es geht nur darum, dem Spieler zu helfen und nicht mein Ego zu befriedigen.

Sind die Spieler überhaupt hart genug für einen Ivan Lendl ?

Lendl: Sicher. Die meisten Spieler arbeiten hart. Wer sich nur auf sein Talent verlässt, wird sich in der Weltspitze nicht lange halten können. Heute stehen da perfekt ausgebildete Athleten auf dem Platz. Sie sind schneller und stärker. Ich bekomme sehr oft die Frage gestellt, ob ich gegen einen Spieler aus den Top Fünf eine Chance hätte. Natürlich nicht. Ich würde gnadenlos abgeschossen. Das Spiel vor 30 Jahren kann man mit heute nicht vergleichen.Die Sehnsucht ist greifbar an diesem mythischen Ort im Südwesten Londons. Im beschaulichen Stadtteil Wimbledon gipfelt Jahr für Jahr die deutsche Gier nach Grand-Slam-Erfolgen - und schuld daran ist noch immer dieser 17-jährige Leimener Boris Becker , der an jenem schicksalhaften 7. Juli 1985 auf dem Heiligen Rasen des All England Club triumphierte. Becker vermachte einen Traum, den sich Angelique Kerber und Sabine Lisicki in diesem Jahr erfüllen wollen.

Vor allem Kerber zählt zu den "gar nicht mal so geheimen Favoritinnen" in Wimbledon , sagt zumindest Bundestrainerin Barbara Rittner : "Ihr Spiel passt perfekt zum Rasen, dazu hat sie die nötige Ruhe und Erfahrung." 2012 stand Kerber (27) bereits im Halbfinale, im vergangenen Jahr erreichte sie das Viertelfinale von Wimbledon . Morgen trifft sie zum Auftakt auf die talentierte Hamburgerin Carina Witthöft (20). Aufschlag-Weltrekordlerin Lisicki (25), 2013 die letzte deutsche Finalistin im Rasenmekka, bekommt es mit der Australierin Jarmila Gajdosova zu tun.

Geringer fällt das Anspruchsdenken der deutschen Männer aus. Immerhin darf der Beste von ihnen das Turnier auf dem Center Court eröffnen. Philipp Kohlschreiber trifft heute auf Titelverteidiger Novak Djokovic . Der Orscholzer Benjamin Becker spielt heute gegen Victor Burgos (Dominikanische Republik).

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