Wenn nach 250 Metern die Nervosität kommt

Saarbrücken. Kein Weltrekord, wenige Zuschauer, bescheidene Einschaltquoten - die Leichtathletik-WM in Edmonton 2001 entwickelte sich zu einer Enttäuschung. Nicht für Shanta Ghosh. Die Saarländerin gewann Silber. Mit der 4x400-Meter-Staffel - vor vollem Haus

Saarbrücken. Kein Weltrekord, wenige Zuschauer, bescheidene Einschaltquoten - die Leichtathletik-WM in Edmonton 2001 entwickelte sich zu einer Enttäuschung. Nicht für Shanta Ghosh. Die Saarländerin gewann Silber. Mit der 4x400-Meter-Staffel - vor vollem Haus. "Dass unter der Woche so wenige Zuschauer da waren, lag wohl auch daran, dass die Wettbewerbe im Vergleich zu den vorausgegangenen Weltmeisterschaften meist recht früh waren." Und so kam es, dass die arbeitsamen Kanadier nicht die Zeit hatten, unter der Woche ins Stadion zu kommen. "Am Wochenende war es dann voll", erinnert sich die Sprinterin an ihren Samstag, den 11. August 2001.

Ghosh war in der deutschen Staffel gesetzt. Auf Position zwei lief die Neunkircherin. Startläuferin Florence Ekpo-Umoh ging schnell an, lag nach 250 Metern auf Platz zwei, ehe sie um 16.15 Uhr auf den letzten Metern einbrach und auf Platz vier übergab. "Ich war wirklich froh, als ich den Stab endlich losgeworden bin", lachte die gebürtige Nigerianerin später. Ghosh konnte da nicht lachen: "Die Nervösität bei mir stieg natürlich, als ich sah, dass Florence hinten etwas einbrach", erinnert sie sich.

Auch Ghosh ging schnell an: "Nach 250 Metern dachte ich noch, das war zu schnell. Beim 400-Meter-Lauf hat man eben zu viel Zeit zum Denken", sagt sie. Die letzten 150 Meter waren eine Qual, doch die ehemalige 100- und 200-Meter-Läuferin quälte sich, schaffte den Anschluss an die vor ihr liegende Jamaikanerin. "Das war wie ein Zwang, an ihr dran zu bleiben. Ich bin einfach mitgegangen." Lohn der Mühen: Die schnellste Frau des Saarlandes übergab den Staffelstab nach 49,86 Sekunden an Claudia Marx an dritter Stelle liegend - mit deutlichem Vorsprung auf Platz vier. "Das war die drittschnellste fliegende Zeit im ganzen Finale", sagt Ghosh.

Marx konnte den Bronze-Rang mühelos verteidigen und schickte schließlich Grit Breuer auf die letzten 400 Meter. Was sich beim letzten Wechsel abspielte, hat Ghosh noch heute vor Augen. Die Amerikanerin Michelle Collins hatte bereits einen mächtigen Vorsprung vor Jamaika und Deutschland herausgearbeitet, Kollegin Suziann Reid musste das Rennen eigentlich nur noch nach Hause laufen. Doch Reid bekam den Stab nicht richtig zu fassen, das Holz fiel neben die Tartanbahn. "Grit Breuer war da natürlich an den Amerikanerinnen vorbei", erinnert sich Ghosh. Breuer zündete den Turbo und lief Silber nach Hause.

"Eine Medaille war unser Ziel", sagt die heute 34-jährige Ghosh, schließlich hatte kurz zuvor die 4x100-Meter-Staffel Silber geholt. Nachträglich, im Jahr 2007, hat der Weltverband Birgit und Gabi Rockmeier, Melanie Paschke und Marion Wagner wegen einer Disqualifikation der USA gar zu Weltmeisterinnen erklärt. Wie sich herausstellte, war Marion Jones 2001 gedopt. "Das ist ein tragisches Kapitel", sagt Ghosh. "Die Emotionen sind für die nachträglich ernannten Weltermeister natürlich nicht die gleichen, als wenn du im Stadion ganz oben auf dem Treppchen stehst und deine Hymne hörst."

Dass aus ihrer 4x400-Meter-Staffel Breuer unter Doping-Verdacht stand und Ekpo-Umoh 2003 gar für zwei Jahre gesperrt wurde, macht Ghosh zu schaffen: "Da denkst du ständig drüber nach, erinnerst dich an die Trainingskontrollen, weißt nicht, wie das passieren konnte, warum du nix mitbekommen hast." Enttäuschung klingt mit, als sie darüber spricht. Die Angst, dass ihre Medaille deswegen flöten geht, war immer da. Doch sie hat sie noch. Genau wie ihre Erinnerungen aus Edmonton. > Serie wird fortgesetzt

Auf einen Blick

WM 2001 in Edmonton:

Saarländische Teilnehmer: Shanta Ghosh (LC Rehlingen) 4x400 Meter, 2. Platz mit 3:21,97 Minuten. Boris Henry (SV Saar 05), Speerwurf, 6. Platz mit 85,52 Metern.

Deutsche Medaillen:

Gold: Lars Riedel (Diskuswerfen), Martin Buß (Hochsprung), Melanie Paschke, Gabi Rockmeier, Birgit Rockmeier, Marion Wagner (4x100 Meter, nach der Disqualifikation der USA nachträglich auf Rang 1 gesetzt). Silber: Ingo Schultz 400 Meter, Nadine Kleinert (Kugelstoßen), Florence Ekpo-Umoh, Shanta Ghosh, Claudia Marx, Grit Breuer (4x400 Meter). Bronze: Michael Möllenbeck (Diskuswerfen).

Medaillenspiegel: 1. USA (9 Gold/5 Silber/5 Bronze), 2. Russland (6/7/6), 3. Kenia (3/3/1), 5. (3.) BRD (2 (3)/4 (3)/1).

Weltrekorde: Keine. kip

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