Wenn ein Verband komplett versagt

Neue Details im Doping- und Korruptionsskandal fällen ein vernichtendes Urteil über den internationalen Leichtathletik-Weltverband IAAF. Der zweite Teil des Untersuchungsberichts der unabhängigen Wada-Kommission attestiert der IAAF einen "kompletten Zusammenbruch" der Führungsstruktur.

Der Kommissions-Vorsitzende Richard Pound und sein Team kommen zu dem Schluss, dass Korruption "in der Organisation verwurzelt" war. Für die dubiosen Vorgänge rund um den ehemaligen Präsidenten Lamine Diack könne "keine kleine Zahl von Tätern verantwortlich gemacht werden".

Zudem gerät Iaaf-Präsident Sebastian Coe unter Beschuss. Der Engländer war von 2007 bis 2015 war Coe Vize-Präsident unter Diack. Die Wada-Kommission stellte nun fest, dass die Mitglieder des IAAF-Councils von den verdächtigen Vorgängen rund um positive Dopingproben russischer Leichtathleten gewusst haben müssten. Wada-Kommissions-Chef Pound gab Coe Rückendeckung. "Ich kann mir keinen Besseren als Lord Coe vorstellen, der das leitet", sagte der Kanadier. Coe eröffne dem Weltverband mit seinen Fähigkeiten die Chance, "unter starker Führung" den Weg in die Zukunft zu gehen.

Helmut Digel, ehemaliger Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) und Council-Mitglied von 1995 bis 2015, wies den Vorwurf der organisierten Korruption zurück. "Das ist nicht akzeptabel", sagte Digel: "Ich habe von diesen Vorgängen zu keinem Zeitpunkt etwas gewusst." Er habe sich immer wieder "mit Herrn Diack angelegt". Aber Präsidenten hätten eine nahezu "uneingeschränkte Macht", gegen die es nicht so einfach ist, "vorzugehen".

Die Glaubwürdigkeit der IAAF im Anti-Doping-Kampf liegt nach den neuesten Enthüllungen der Wada-Kommission damit mehr denn je am Boden. Vor der WM in Moskau hätten russische Athleten gesperrt werden müssen, doch hochrangige IAAF-Funktionäre taten offenbar nichts. Dies soll im Zusammenhang mit dem Abschluss eines TV-Vertrages für die Titelkämpfe gestanden haben. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin hatte offenbar seine Finger im Spiel. So soll Diack im Vorfeld der WM 2013 in Moskau das Gespräch mit Putin gesucht haben, um mit ihm die Problematik von neun des Dopings verdächtigen russischen Athleten zu lösen. Ob es zu einer Vereinbarung kam, ist offen. Schon im ersten Teil des Untersuchungsberichts hatte Pound massive Dopingverfehlungen in der russischen Leichtathletik festgestellt, unter anderem wurde daraufhin der russische Verband Araf aus der IAAF ausgeschlossen. Den russischen Leichtathleten droht damit das Aus für Olympia in Rio.

Gegen Diack und weitere Beschuldigte läuft in Frankreich ein Ermittlungsverfahren wegen Korruption und Geldwäsche. Außerdem gebe es Gründe zu der Annahme, dass hochrangige IAAF-Offizielle von Entscheidungen profitiert haben, Weltmeisterschaften an bestimmte Städte oder Länder zu vergeben. Die Korruption habe auch Olympische Spiele betroffen: Aus Mitschriften gehe hervor, dass die Türkei die Unterstützung von Diack im Bewerbungsprozess um die Olympischen Spiele 2020 verloren habe. Das Land sei nicht bereit gewesen, einen entsprechenden Sponsorenbetrag "von vier bis fünf Millionen Dollar" für die Diamond League oder die IAAF zu überweisen. Japan habe diese Summe laut Gesprächsprotokoll dann gezahlt - Tokio erhielt den Zuschlag für 2020.

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) will als Folge der Enthüllungen einen außerordentlichen Kongress der IAAF beantragen. DLV-Präsident Clemens Prokop sagte: "Die Vorwürfe sind so schwerwiegend, dass sie auf einer Versammlung aller Mitglieder beraten werden muss." Der Antrag soll heute auf den Weg gebracht werden.

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