Weiße Elefanten und grauer Alltag
Morgen wird der Ceará SC wahrscheinlich mal mehr als 5000 Zuschauer begrüßen können. Es kommt schließlich der Joinville EC, der erste Verfolger des Tabellenführers in der Serie B.
Ein Hexenkessel wird das Stadion "Castelão" dadurch noch lange nicht. Denn es hat mehr als 60 000 Plätze.
Diese überdimensionale Schüssel wird die Rufe der wenigen Tausend Fans regelrecht verschlucken. Und so mancher Zuschauer wird voller Sehnsucht an den Rausch denken, den er noch elf Tage zuvor erlebt hat. Da zog nämlich die brasilianische Mannschaft in dieser Arena durch ein 2:1 gegen Kolumbien ins WM-Halbfinale gegen Deutschland ein. Und das "Castelão" zitterte in seinen Grundfesten.
Es war der letzte Tag, an dem die brasilianische Fußball-Welt noch in Ordnung war. Zumindest für 88 Minuten, bis zur Verletzung von Neymar. Doch dem Rausch folgte noch bei der WM der große Kater. Das 1:7-Debakel gegen die DFB-Elf und das ebenfalls deprimierende 0:3 gegen die Niederlande im Spiel um Platz drei werden dafür sorgen, dass es zumindest keinen zusätzlichen Euphorie-Schub im fußballbegeisterten Land des Rekord-Weltmeisters geben wird.
Doch nicht nur deshalb wird die Rückkehr in den Alltag schwierig werden. Denn das Schlimmste von allem ist: In Fortaleza haben sie noch ein Luxusproblem. Die Stadt hat 2,4 Millionen Einwohner, der Club steht auf dem Sprung in die 1. Liga, und mit ihrem Stadion können sie wenigstens irgendwie etwas anfangen. Auch ohne Fußball. Es beinhaltet schließlich Restaurants, Kinos und ein Hotel.
Noch härter wird die Diskrepanz in anderen Städten zu spüren sein. Insgesamt sechs der zwölf WM-Stadien werden keinen Erstligisten beheimaten. Die Arenen in Manaus , Cuiaba und sogar in der künstlich aufgebauten Hauptstadt Brasilia noch nicht einmal einen Zweitliga-Club. Dabei haben alleine diese drei Stadien Baukosten von fast einer Milliarde Euro verschlungen - offiziellen Angaben zufolge.
Und selbst die 1. Liga liegt in Brasilien am Boden. Korruption , hohe Eintrittspreise und die Tatsache, dass nahezu jeder halbwegs begabte Kicker mit Vollendung der Volljährigkeit nach Europa wechselt, haben das Interesse erkalten lassen. Wenn nun also Drittligisten vor wenigen Hundert Zuschauern in WM-Stadien spielen, wird es wirken, als würde die SG Sonnenhof Großaspach ihre Heimspiele in der Allianz Arena austragen.
"Es ist klar, dass mindestens vier der zwölf Stadien zu weißen Elefanten werden", sagt Weltenbummler Lutz Pfannenstiel, der die vier schon nach der Vorrunde "ausgeschiedenen" Städte in seiner Funktion als ZDF-Experte besucht hat: "In Natal haben sie ein Weltklasse-Stadion, das droht, künftig nur zu einem Zehntel gefüllt zu sein. Und in Manaus wundern sich die Indianer, was sie mit diesem Riesenstadion anfangen sollen."
Zeitweise ging in Manaus sogar das Gerücht um, der Bundesstaat Amazonas wolle das Stadion künftig als Auffanglager für Kriminelle nutzen. Bereits vor der WM nannte der deutsche Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU ) die Situation wegen der fehlenden Nachhaltigkeit "unglücklich". In Cuiaba werden sie nochmal Geld in die Hand nehmen, um das Stadion von etwa 42 000 Plätzen auf 28 000 zurückzubauen. Da der heimische Drittligist Cuiaba Esporte Clube meist vor nur 1000 Fans spielt, wird dies wenig nutzen.
Wie sich das Ganze anfühlt, können sie in Südafrika erfragen, wo die bombastischen Stadien der WM 2010 ebenfalls nicht alltagstauglich sind. Im 94 000 Besucher fassenden Soccer City, wo vor vier Jahren das WM-Endspiel stattfand, verloren sich zuletzt bei Heimspielen der Kaizer Chiefs gerade einmal 2000 Fans . Viele Stadien stehen sogar ganz leer, weil die Vereine in ihre kleinen, stimmungsvolleren Heimstätten zurückkehrt sind.
saarbruecker-zeitung.de/
wm2014
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