Vorrunde der Kontraste
Charkow. Es war bestimmt gute Absicht, was Viktor Rud, der Direktor für internationale Kooperation der Stadt Charkow, kürzlich den Gästen während der kommenden Europameisterschaft versprach: "Wir werden alles dafür leisten, dass der Aufenthalt in Charkow unvergesslich bleibt"
Charkow. Es war bestimmt gute Absicht, was Viktor Rud, der Direktor für internationale Kooperation der Stadt Charkow, kürzlich den Gästen während der kommenden Europameisterschaft versprach: "Wir werden alles dafür leisten, dass der Aufenthalt in Charkow unvergesslich bleibt". Nicht nur niederländischen und deutschen Fußballfans, die sich für einen Aufenthalt im östlichen Teil der Ukraine anlässlich des Vorrundenschlagers am 13. Juni nächsten Jahres interessieren, dämmert mittlerweile, dass der Trip in die zweitgrößte Stadt der Ukraine tatsächlich zum Abenteuer mit Erinnerungswert werden könnte - geprägt von Überraschungen. Wenn es eine der acht EM-Austragungsorte gibt, der für einen Massenansturm ungeeigneter ist, dann die Industrieschmiede im Osten des Landes.
Überbuchte Hotels
Die wenigen Hotels sind bereits mehrfach überbucht, überteuert sowieso. Selbst der ukrainische Turnierdirektor, Markijan Lubkiwiski, und die Stadt Charkow haben auf dieses Übel offiziell hingewiesen: Nun soll die Anhängerschaft doch bitteschön auf die Zeltplätze außerhalb der Stadt ausweichen. Doch die Konzepte wirken waghalsig wie lieblos: Mit Dixi-Klos, Plastik-Duschen, Mini-Zelt, samt einer vom Veranstalter gestellten Matratze sollen die ausländischen Zuschauer irgendwie klarkommen.
Charkow mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern galt einst als kommunistische Musterstadt - optisch hat sich daran bis heute wenig geändert. Auf dem Werbevideo zur EM 2012 wurde die XXL-Statue Lenins herausgeschnitten. Ohne den mächtigen Oligarchen Alexander Jaroslawski, der den Europa-League-Teilnehmer Metalist Charkow alimentiert, wären weder das Stadion, der Flughafen und die von der Uefa ausdrücklich geforderten Fünf-Sterne-Hotels gebaut worden - und die EM nicht nach Charkow gekommen.
Im Sommer wie im Winter ist die Luft angereichert mit dem Aroma von billigem Benzin. Gleichwohl hat die Tourismusbehörde von Charkow mutig eine Imagekampagne aufgelegt, die eine "Smart City" im grünen Stil preist: Smart setzt sich dabei aus den Unterpunkten "social", "modern", "art", "research" und "tourist" zusammen. Doch was in dieser grauen Stadt wirklich sozial, modern, künstlerisch, nachhaltig und touristisch sein soll, ist schwer zu erschließen. Ob im Hotel, Restaurant oder Museum: Überall registrieren Schalterfrauen oder Kassiererinnen regungs- und grußlos das Kommen und Gehen. Englisch versteht kaum jemand.
Ganz anders sieht es in dieser Hinsicht in Lwiw aus, wo Oleg Zasadny, der EM-Beauftragte, eine "moderne und komfortable Stadt" anpreist, "die für Polen und Österreicher bereits eine große Anziehungskraft besitzt." Nächsten Sommer wird sich die magnetische Wirkung auch auf Deutschland ausdehnen, denn das frühere Lemberg hat das große Los gezogen. Die deutsche Mannschaft bestreitet hier nicht nur ihr Auftaktspiel gegen Portugal (9. Juni 2012), sondern die neue Arena ist auch Schauplatz des dritten Gruppenspiels gegen Dänemark (17. Juni). Kaum eine Marketingkampagne der Welt könnte solch einen Werbewert ersetzen. Und die Heimat von 735 000 Einwohnern hat etwas vorzuweisen: In wenigen Städten erinnert die Ukraine so stark an Europa: Die Restaurants und Cafés in der verwinkelten Altstadt, laden zum Verweilen ein, oft wird Englisch gesprochen. Die Privatisierung hat viele Altstadtbauten im Renaissance- und Jugendstil gerettet.
Weltkulturerbe Lwiw
Lwiw, von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt, gilt als Mittelpunkt des ukrainischen Nationalgefühls und ist neben Kiew die Herzkammer der Demokratiebewegung gewesen. Nächsten Sommer hofft die westukrainische Touristenstadt nun auf hunderttausende Besucher aus dem Westen Europas - Problemen bei der Infrastruktur und den Unterkünften zum Trotz. "Ich weiß nicht, wer auf die geniale Idee kam, in Lwiw ein Stadion auf dem freien Feld ohne Verkehrsanbindung und neun Kilometer außerhalb des Zentrums zu bauen", lästerte der ukrainische Infrastrukturminister Boris Kolesnikow unlängst. Und selbst wenn Privatleute ihre Wohnungen vermieten, fehlen ausreichend Hotelbetten. Ohne Campingplätze wird es auch hier nicht funktionieren. "Ich weiß nicht, wer auf die geniale Idee kam, in Lwiw ein Stadion auf dem freien Feld ohne Verkehrsanbindung zu bauen."
Boris Kolesnikow, Infrastrukturminister
der Ukraine