Volleyball Nach dem Titel ist vor der Ochsentour

Berlin · Saarländer Moritz Reichert bestreitet mit der deutschen Volleyball-Nationalmannschaft in der Nations League 15 Spiele in 31 Tagen.

 Der Volleyballer Moritz Reichert aus Lebach war im DM-Finale ein entscheidender Faktor.

Der Volleyballer Moritz Reichert aus Lebach war im DM-Finale ein entscheidender Faktor.

Foto: dpa/Andreas Gora

Moritz Reichert wirft den Volleyball nach oben, für den Bruchteil einer Sekunde streckt er voller Konzentration die Zunge raus. Der Körper des Lebachers strafft sich wie ein Bogen, und wie eine Brandfackel schlägt sein Aufschlag im Feld des VfB Friedrichshafen ein, der gegnerische Abwehrspieler ist machtlos. Mit einem Ass sorgte der 24-jährige Saarländer vor knapp zwei Wochen für den Sieg seiner Berlin Volleys im Finale der deutschen Meisterschaft.

„Ja, es war vielleicht schon mein Karriere-Höhepunkt“, sagt Reichert, „zumal es so eine umkämpfte Finalserie war.“ Beim Matchball war der Außenangreifer wie vor jedem Aufschlag fokussiert, „ich habe nichts Besonderes davor gedacht“, erinnert er sich an den Moment, von dem die meisten Sportler nur träumen statt ihn zu erleben. „Ich hatte schon immer einen guten Aufschlag. Und jetzt war ich dabei konstanter.“

Mit 1:2 lagen die Berliner in der Finalserie gegen die Mannschaft vom Bodensee hinten, gewannen dann das entscheidende fünfte Spiel der Serie mit einem 3:2-Sieg im Tiebreak. Knapper geht es kaum – 16:14 endete der letzte Satz. Und für „Mo“ Reichert war es das grandiose Ende einer Spielzeit mit Höhen und Tiefen. „Die erste Hälfte war schwer“, erinnert sich der Volleyballer an seine Sprunggelenksverletzung. Kaum hatte er sich von der erholt, verletzte sich der in Charlottenburg wohnende Saarländer im Winter an der Bauchmuskulatur. „Ab Februar bin ich dann besser in Tritt gekommen, im März lief es immer besser. Und im Finale habe ich ungefähr so gespielt, wie ich mir das vorstelle“, schildert der 1,95 Meter große Reichert seine Berg- und Talfahrt.

Die endete schließlich ganz oben, als die Berliner in Friedrichshafen den Titel holten, nachdem sie die beiden Heimspiele gegen den Dauerrivalen gewonnen hatten. Die Fans in der Max-Schmeling-Halle waren dabei genau das, wie ein Fanclub der Berliner heißt: der siebte Mann auf dem Feld. „Die Stadt ist sportverrückt. Und Volleyball hat sich hier in den letzten Jahren toll entwickelt“, nennt Reichert einen der Gründe für seinen Wechsel im Sommer 2018 aus Tours. Der deutsche Meister war beim Zuschauerschnitt die Nummer eins in Europa. Die 19 Heimspiele der Hauptstädter besuchten durchschnittlich 5208 Fans. Mit dem Vereinsrekord liegen die Berliner vor den italienischen Teams aus Modena (4687) und Conegliano (4139/Frauen). „Das ist etwas Besonderes. Im Umfeld passiert viel, es wird auch in Sachen Marketing, PR und Werbung viel gemacht“, berichtet der 24-Jährige. Das nächste Berliner Ziel sind 100 000 Zuschauer in einer Saison. 2018/19 waren es 98 961. Im vierten DM-Finale am 8. Mai war die Max-Schmeling-Halle mit 8553 Zuschauern erstmals seit 30. April 2015 wieder ausverkauft.

Das Jahr in Frankreich bei Tours VB hat Reichert reifen lassen. „Spiele auf gutem Niveau, gutes Training, eine gute Mannschaft: Das Jahr war lehrreich“, erzählt der Lebacher. „Es war eine gute Entscheidung und ein Super-Verein – und hat mir von der Persönlichkeit her weitergeholfen.“ So weit, dass Reichert, dessen Vertrag bis 2020 geht, im nächsten Jahr mit Berlin den Titel verteidigen will. Dabei erwartet er aber noch mehr Konkurrenz als in dieser Spielzeit, als die Berliner zum Beispiel im Halbfinale gegen die in Österreich spielenden Alpenvolleys aus Unterhaching so ihre Probleme hatten.

Nach den Feierlichkeiten in Berlin ging es für Reichert aber nicht in den Urlaub mit seiner Freundin, die in Straubing in der 1. Volleyball-Bundesliga spielt. Zuerst machte er einen Abstecher in die Heimat nach Lebach, zu den Eltern, wo er sich über die positive Entwicklung im saarländischen Volleyball mit den Aushängeschildern TV Bliesen (3. Liga Männer) und Prowin-Volleys des TV Holz (2. Liga Frauen) freut. „Es wird gute Jugendarbeit gemacht, Talente kommen nach.“ Reichert traf alte Freunde. Es hieß, zur Ruhe kommen nach den vielen Glückwünschen. Mal abschalten. Denn sein Zeitplan im Sommer hat es in sich. Vor der Mitte Oktober beginnenden neuen Bundesliga-Saison steht nämlich vom 12. bis 29. September die EM an, die erstmals in vier verschiedenen Ländern ausgetragen wird: in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Slowenien.

Und dann gibt es da noch die Nations League, die dafür sorgte, dass Reichert vergangenen Mittwoch schon wieder mit der Bahn nach Berlin fahren musste und abends mit den Kollegen der Nationalmannschaft zusammentraf. Ab dem 31. Mai spielt die Mannschaft von Cheftrainer Andrea Giani an fünf verschiedenen Orten in 31 Tagen 15 Spiele. Ein Wahnsinns­programm und eine echte Ochsentour. Auf die Gesundheit der Spieler wird da nicht so viel geachtet. „Die Belastung ist schon extrem, gerade mit der ganzen Reiserei. Daher wird auch oft gewechselt“, sagt Reichert.

Gespielt wird in Dreierblöcken. Zuerst geht es im chinesischen Jiangmen gegen China, Italien und den Iran, dann im kanadischen Ottawa gegen Serbien, Kanada und Australien. Es folgen Spiele – teilweise sogar zwei an einem Tag - in Cannes (gegen Frankreich, die USA und Argentinien), im brasilianischen Cuiabá (gegen die Gastgeber, Bulgarien und Russland) und schlussendlich ein Heimspieltag in Leipzig (gegen Portugal, Polen und Japan). Und dann gibt es noch die Finals Anfang Juli. „Unser Ziel ist es, ins Finale der sechs besten Mannschaften zu kommen. Das wird schwer, ist aber möglich“, sieht Reichert realistische Chancen. Mit der Folge, dass sein ohnehin schon kurzer Sommerurlaub Ende Juli mit etwas Pech noch verkürzt werden sollte. Da bleiben nur Last-Minute-Ferien für den besten saarländischen Volleyballer, der seit vier Jahren zum Stamm der Nationalmannschaft gehört. „Letztes Jahr habe ich in der Nations League viel gespielt“, erzählt Reichert, der auf seiner Position (meist auf der linken Seite) aber fünf, sechs sehr starke Konkurrenten hat.

So könnte es für Reichert ein arbeitsreicher Sommer werden. Und wenn Deutschland sich beim Qualifikationsturnier für die Olympischen Sommerspiele qualifiziert, könnten auch 2020 im Sommer in Tokio „Extraschichten“ warten. Für den Lebacher würde damit ein weiterer Traum wahr. Und dann sollen auch die Gegner in Japans Hauptstadt Probleme mit den Aufschlagpeitschen des Saarländers haben.

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