Vertuschung im ganz großen Stil?

Köln · Die nicht weiter verfolgten Clenbuterol-Fälle von Peking sorgen für Aufsehen. Vor allem das IOC muss sich Vorwürfe gefallen lassen.

Fassungslosigkeit, Vertuschungsvorwürfe und die klare Forderung nach Wiederaufnahme der Untersuchungen: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) geraten wegen der nicht weiter verfolgten Dopingfälle von Peking massiv unter Druck. Vor allem rief gestern Kopfschütteln hervor, dass erst die Enthüllungen der ARD-Dopingredaktion tags zuvor zu einem erschütternden Eingeständnis der Institutionen führten: Das Fallenlassen von Verfahren bei Clenbuterol-Verdachtsfällen ist seit Jahren gängige Praxis.

Die Wada teilte mit, dass "Hunderte" ähnliche Fälle in der gleichen Weise behandelt worden seien wie die der Olympischen Spiele 2008, bei denen auch die jamaikanischen Sprint-Stars auffällig geworden waren. Das IOC hielt sich gestern bedeckt - und bekam die schärfste Kritik ab. "Warum hat man die Problematik nicht öffentlich gemacht? Weil sich nichts ändert im IOC: Wenn man sich unsicher ist, gibt es im IOC den Reflex, Sachen zu vertuschen", sagte Doping-Experte Fritz Sörgel.

Nicht nur Sörgel, auch Lars Mortsiefer, Vorstand der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada), forderte eine Wiederaufnahme der Untersuchungen der Peking-Fälle. "Ein Ergebnis zu bekommen, es automatisch mit möglicher Fleischkontamination in Zusammenhang zu bringen und dann den Fall einfach zu schließen, reicht nicht aus", sagte Mortsiefer. Eine Wiederaufnahme der Fälle halte er für "sinnvoll": "Man sollte versuchen zu rekapitulieren, wie es zu den positiven Fällen gekommen ist." Auch Mortsiefer kritisierte, dass sich IOC und Wada erst zu dem Fall äußerten, als "medialer Druck" entstanden sei: "Da muss man sich nicht beschweren, wenn einem fehlende Transparenz vorgeworfen wird."

IOC und Wada hatten erst im Anschluss von Recherchen der ARD-Dopingredaktion eingeräumt, dass bei Nachtests 2016 bei "mehreren Athleten aus mehreren Ländern und mehreren Sportarten sehr niedrige Clenbuterol-Werte" nachgewiesen worden seien. Nach Angaben von Wada-Generaldirektor Oliver Niggli seien auch jamaikanische Sprinter betroffen gewesen. Die Fälle seien nicht weiter verfolgt worden, weil die Clenbuterol-Werte auch mit dem Konsum von verunreinigtem Fleisch zu erklären waren - und es für die betreffenden Athleten praktisch unmöglich sei, nach so langer Zeit noch den Unschuldsbeweis zu führen. WADA und IOC verfügten quasi im stillen Kämmerlein die Einstellung der Fälle, obwohl der Wada-Code keinen Clenbuterol-Grenzwert enthält.

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