"Über den Trainer zu diskutieren, ist Schwachsinn"

Herr Schwarzer, als Handball-Experte für das Fernsehen waren sie hautnah bei der WM in Schweden dabei. Deutschland landete am Ende nur auf Platz elf - von einer Blamage ist die Rede. Was ist Ihrer Meinung nach falsch gelaufen?Christian Schwarzer: Tja, das ist die große Frage. Als Trainer fragt man sich selbst auch, was da jetzt passiert ist

 Christian Schwarzer sieht den Auftritt der deutschen Handball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Schweden sehr kritisch. Foto: Ruppenthal

Christian Schwarzer sieht den Auftritt der deutschen Handball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Schweden sehr kritisch. Foto: Ruppenthal

Herr Schwarzer, als Handball-Experte für das Fernsehen waren sie hautnah bei der WM in Schweden dabei. Deutschland landete am Ende nur auf Platz elf - von einer Blamage ist die Rede. Was ist Ihrer Meinung nach falsch gelaufen?

Christian Schwarzer: Tja, das ist die große Frage. Als Trainer fragt man sich selbst auch, was da jetzt passiert ist. Die Qualität in der Mannschaft ist vorhanden, dass war zu sehen. Die Frage ist jetzt, warum die nur punktuell abrufbar war. Oder es ist nur eine Qualität, die sich auf bestimmte Spiele beschränkt.

Glauben Sie also, dass es ein Motivations-Problem gibt?

Schwarzer: Nein, das glaube ich nicht. Es kommt darauf an, wie sich der Einzelne im Vorfeld damit beschäftigt, was bei einem solchen Turnier auf ihn zukommt. Wie viel jeder Spieler bereit ist, zu geben oder zu investieren. Gegner wie Ägypten, Bahrain oder Tunesien haben wir souverän beherrscht. Gegen Frankreich hast du gar keine Chance, weil die einfach besser sind. Und im Spiel gegen Spanien bist du 50 Minuten lang die stärkere Mannschaft und hast dann einen Zehn-Minuten-Blackout, der dir im Endeffekt das ganze Turnier kaputt macht. Es gab auch Ausschläge nach oben wie gegen Island. Da war zu sehen, dass die Mannschaft - wenn jeder sein Bestes einbringt - jeden Gegner beherrschen und auch schlagen kann. Die Frage ist: Warum ist das nicht in jedem Spiel abrufbar?

Also lag es eher an der Einstellung. Kann es sein, dass es in diesem Team - im Gegensatz zur Weltmeistermannschaft 2007 - kein echtes Mannschaftsgefühl gibt?

Schwarzer: Dass jeder für den anderen kämpft, glaube ich schon. Mit solchen Äußerungen sollte vorsichtig umgegangen werden. Es hat aber so ausgesehen, als ob der Einzelne mehr mit sich selbst beschäftigt war als damit, die Mannschaft zu führen. Jeder musste erst einmal gucken, dass er sein eigenes Ding auf die Reihe kriegt, und das ist schlecht für so ein Mannschaftsgefühl.

Welche Auswirkung hat dieses Abschneiden für den deutschen Handball? Die Olympia-Qualifikation ist in weite Ferne gerückt - oder halten Sie den Gewinn der Europameisterschaft 2012 in Serbien für realistisch?

Schwarzer: Es qualifiziert sich ja nicht nur der Europameister. Die ersten Sieben der WM (alles europäische Mannschaften, Anm. d. Red.) sind ja auch schon qualifiziert. Angenommen, die gleichen Teams belegen bei der EM wieder die ersten sieben Plätze, dann würde sogar der achte Platz noch reichen, um in die Olympia-Qualifikationsrunde zu kommen.

Aber die Mannschaft hat es - außer sie gewinnt den Titel - nicht mehr selbst in der Hand. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass die deutschen Handballer bei den Olympischen Spielen dabei sein werden?

Schwarzer: Im Sport ist alles möglich, die Mannschaft hat auf jeden Fall noch eine Chance. Das Wichtigste ist aber, dass die Fehler analysiert und daraus Lehren gezogen werden. Und dann muss man sich ja im Frühjahr erst einmal für EM qualifizieren. Im März sind zwei entscheidende Spiele gegen Island, von denen mindestens eins gewonnen werden muss. Dann muss man in Österreich gewinnen, weil es zu Hause ein Unentschieden gab. Das wird schon schwer genug.

Sie und Bundestrainer Heiner Brand verweisen seit Jahren darauf, dass in der Bundesliga zu wenig Raum für deutsche Talente geschaffen wird und stattdessen fertige Spieler aus dem Ausland verpflichtet werden. Ist das ein Grund für das Scheitern bei der WM?

Schwarzer: Das kann ein Grund gewesen sein. Unsere Möglichkeiten bleiben in den nächsten Jahren beschränkt, wenn sich nichts tut. Bei einem Blick auf die Bundesliga-Kader sieht man, dass momentan keine Alternativen da sind, die der Mannschaft weiterhelfen. Über die Nicht-Nominierung von Torsten Jansen kann man diskutieren, aber im Endeffekt war dass das beste Team, was die Bundesliga an deutschen Spielern hergibt. Und solange keine Regelung und damit ein gleicher Nenner zwischen Verband und Liga gefunden wird, der eine Anschlussförderung von Talenten in den Vereinen garantiert, glaube ich nicht, dass was passiert. Die Jungs müssten sonst alle über die 2. Liga gehen, und man kann nicht mit Spielern der 2. Liga zu einem großen Turnier fahren.

Auch Heiner Brand steht in der Kritik. Ist ein Neuanfang mit ihm als Trainer überhaupt möglich?

Schwarzer: Was heißt Neuanfang? Man kann keinen Neuanfang machen, weil keine neuen Spieler da sind. Man muss mit den Leuten weiterarbeiten, die jetzt da sind. Wir können nicht sagen, wir machen hier einen Schnitt und fangen neu an. Das ist das Problem. Und jetzt über den Trainer zu diskutieren, ist absoluter Schwachsinn. Das sehen, soweit ich das verfolgt habe, auch die Spieler so. Man kann nicht jetzt auf einmal alles, was Jahre vorher gut war, in die Tonne hauen. Solche Diskussionen fangen immer die Leute an, die keine Ahnung davon haben, wie Leistungssport funktioniert.

Heiner Brand steht noch bis 2013 beim DHB unter Vertrag. Wie, glauben Sie, wird er sich nach dieser WM entscheiden? Wird er zurücktreten oder weitermachen?

Schwarzer: Er trifft in erster Linie Entscheidungen, die für den deutschen Handball am besten sind. Das war bisher immer so, und das wird auch so bleiben. Er schaut, was für ein Zustand in der Mannschaft ist, und entscheidet dann, ob er seine Vorgaben mit der Mannschaft erarbeiten kann oder nicht. Ihn interessiert dabei überhaupt nicht, ob die Presse schreibt, er sei abgenutzt.

Verbands-Präsident Ulrich Strombach hat vor wenigen Tagen gesagt, er könne sich gut vorstellen, dass Sie der nächste Bundestrainer werden. Was sagen Sie dazu?

Schwarzer: Ich arbeite jetzt erst einmal bis 2013 in meinem Amt (Jugendkoordinator und Trainer der U18-Nationalmannschaft, Anm. d. Red.) weiter, weil das viel Spaß macht und ich mir nichts Besseres vorstellen kann. Was ab 2013 nach Heiner Brand kommt, muss man abwarten. Sicherlich wäre es für jeden Trainer reizvoll, einmal die Nationalmannschaft seines Landes zu trainieren, das habe ich immer gesagt. Ich habe auch gerne für Deutschland gespielt, das war immer eine große Ehre.

Auf einen Blick

Frankreich und Dänemark sind die Finalisten der Handball-WM 2011. Der Titelverteidiger, Olympiasieger und Europameister Frankreich gewann am Freitag das Halbfinale gegen Schweden mit 29:26 (15:12). Im Endspiel am Sonntag, 17 Uhr, ist Dänemark der Gegner. Der Europameister von 2008 bezwang im zweiten Semifinale die Spanier mit 28:24 (12:12).

Den letzten bei der WM zu vergebenden Platz bei einem Olympia-Qualifikationsturnier ergatterte Ungarn durch einen 31:28-Sieg im Spiel um Rang sieben gegen Polen. Die Partie um Platz fünf entschied Kroatien mit 34:33 gegen Island für sich. dpa

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