Trümmerhaufen einer Vision

Sinsheim. Vor gut vier Jahren tönte Ralf Rangnick vor dem Bundesliga-Schlager seines Clubs beim FC Bayern: "Wenn Sie flotte Sprüche hören wollen, müssen Sie nach München fahren. Wenn sie flotten Fußball sehen wollen, sind Sie in Hoffenheim richtig." Der Dorfverein unterlag zwar mit 1:2, wurde aber Herbstmeister 2008

 Die Körperhaltung der Hoffenheimer Spieler verrät alles: Joselu, Igor de Camargo und Fabian Johnson (von links) lassen die Köpfe hängen. Foto: Puchner/dpa

Die Körperhaltung der Hoffenheimer Spieler verrät alles: Joselu, Igor de Camargo und Fabian Johnson (von links) lassen die Köpfe hängen. Foto: Puchner/dpa

Sinsheim. Vor gut vier Jahren tönte Ralf Rangnick vor dem Bundesliga-Schlager seines Clubs beim FC Bayern: "Wenn Sie flotte Sprüche hören wollen, müssen Sie nach München fahren. Wenn sie flotten Fußball sehen wollen, sind Sie in Hoffenheim richtig." Der Dorfverein unterlag zwar mit 1:2, wurde aber Herbstmeister 2008. Rangnick ist längst weg, an diesem Sonntag spielt 1899 Hoffenheim zu Hause gegen die Bayern - unter völlig veränderten Vorzeichen. Nach dem 1:2 in Augsburg liegt die Mannschaft nach übereinstimmenden Aussagen von Cheftrainer Marco Kurz und Manager Andreas Müller "am Boden".

Wie ein perfektes Strickmuster wirkte einst das Projekt Hoffenheim. Rangnick lieferte die sportliche Anleitung: perfektes Scouting, innovative Taktik, klare Linie - aber auch immer verbunden mit einem Hauch von Größenwahn. Der Trainer ging am Neujahrstag 2011 im Streit - weil der Club den Brasilianer Luiz Gustavo an die Bayern verkauft hatte.

Heute hat die TSG nicht mehr einen feinsinnigen und klugen Manager wie Jan Schindelmeiser, sondern einen wie Müller, zu dessen vor Kameras geäußertem Vokabular Begriffe wie "Schlacht" und "einen Arsch in der Hose haben" gehören. In der Rhein-Neckar-Arena von Sinsheim sank die Zuschauerzahl zuletzt kontinuierlich, und oft übertönen die Gesänge der gegnerischen Fans die der heimischen. Der 33 Mann starke Kader ist eine Ansammlung von Profis aus aller Welt. Darunter sind Fehleinkäufe wie Chris, der schon in Frankfurt und Wolfsburg ständig verletzt war und in Hoffenheim noch keine Minute gespielt hat. Zuletzt durfte Müller zwölf Millionen Euro ausgeben für Noteinkäufe wie den Peruaner Luis Advincula, der einen europäischen Winter noch nicht erlebt hat und erstmal mit einem Autocrash auffiel.

Hopp - das muss man ihm zugutehalten - sprach auch in besseren Zeiten nie von der Champions League, schließlich gilt der SAP-Mitbegründer als bodenständig. Der 72-Jährige betonte bei den ersten Abwärtstrends, er wolle ein Team mit jungen Spielern, am besten aus Deutschland und der Region, aber das glaubt ihm keiner mehr. In der heutigen Bundesliga-Mannschaft steht kein Eigengewächs, dabei haben die Hoffenheimer ein Nachwuchszentrum, ein Stadion, einen Personalstab und ein Trainingsgelände in Zuzenhausen, um die sie halb Fußball-Deutschland beneidet.

Der Absturz hat längst ein Gesicht bekommen - das von Tim Wiese. Die Verpflichtung des Ex-Nationaltorwarts für Tom Starke (jetzt Nummer zwei beim FC Bayern) kann bis heute kaum jemand nachvollziehen. Weitere Negativschlagzeilen lieferte Marvin Compper bei seinem überraschenden Abgang im Winter - der Innenverteidiger war nach Vereinsangaben nicht motiviert genug für den Abstiegskampf.

Vor lauter Personalwechseln und Skandälchen spricht kaum jemand mehr darüber, dass auch der Hochgeschwindigkeits-Fußball, mit dem Hoffenheim einst begeisterte, völlig verloren gegangen ist. Die Mannschaft funktioniert wie ein Tischkicker: Fußball von der Stange. Und die TSG steht nun vor dem Trümmerhaufen einer Vision, wenn man die von Hopp finanzierten architektonischen Gebilde beiseite lässt. Das Mitleid hält sich in Grenzen. "Niemand schluchzt", betitelte die "Süddeutsche Zeitung" diese Woche einen Kommentar über 1899. dpa

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