Nationalmannschaft Trotz „coolem“ Rekord den „Ball flach halten“

Kaiserslautern · Nach der perfekten WM-Qualifikation zeigte sich Bundestrainer Joachim Löw, wie man ihn kennt: Er lobte und mahnte gleichzeitig.

 Deutsche Adler im Höhenflug: Nach der perfekten WM-Qualifikation gilt es nun für Bundestrainer Jogi Löw, die perfekte Mischung aus erfahrenen Spielern und Jungstars wie Leon Goretzka (links) und Leroy Sané (r.) zu finden.

Deutsche Adler im Höhenflug: Nach der perfekten WM-Qualifikation gilt es nun für Bundestrainer Jogi Löw, die perfekte Mischung aus erfahrenen Spielern und Jungstars wie Leon Goretzka (links) und Leroy Sané (r.) zu finden.

Foto: dpa/Marijan Murat

Die Qualifikations-Rekordler um Doppel-Torschütze Leon Goretzka genossen in der Kabine noch Pizza, Würstchen und Bier, da gab Joachim Löw schon wieder den großen Mahner. „Man macht einen Fehler“, sagte Löw, „wenn man diese Qualifikation als Maßstab nimmt. Man sollte den Ball ein wenig flach halten.“ Trotz des erhobenen Zeigefingers verabschiedete sich Löw aber mit einem guten Gefühl von seinen Spielern. Er machte ihnen „ein großes Kompliment“ und bremste gleichzeitig: „Diese Quali hat uns Selbstvertrauen gegeben – aber sie bringt uns keinen einzigen Punkt in Russland.“

Nach dem 5:1 (1:1) gegen Aserbaidschan zum Abschluss einer perfekten WM-Qualifikation mit zehn Siegen in zehn Spielen attestierte der Bundestrainer seinen Spielern zwar eine „super Leistung“. Aber: „Bei der WM warten andere Gegner.“ Nämlich die hoch talentierten Franzosen mit Wunderknabe Kylian Mbappé, Paul Pogba und einer starken Offensive, ein rache­durstiges Brasilien um Superstar Neymar oder die starken Spanier.

Auch nach dem souveränen Durchmarsch war von Überheblichkeit beim Fußball-Weltmeister nichts zu spüren. „Das ist cool, was für die Geschichtsbücher, aber das wird uns bei der WM nicht viel helfen“, sagte Ersatzkapitän Thomas Müller über den Quali-Rekord: „Wir müssen uns alles Richtung Russland wieder neu erarbeiten.“

Diese Arbeit beginnt mit dem Klassiker im Wembley-Stadion am 10. November gegen England und dem voraussichtlichen Vergleich mit Vize-Europameister Frankreich vier Tage später in Köln. Man gehe mit einem Schuss Neugier, Spaß und Entschlossenheit in diese Spiele, sagte Müller: „Da können wir einiges ausprobieren und zeigen, wie weit wir gehen können.“ Löw wird dabei ganz genau hinschauen. In der makellosen Qualifikation, die selbst die der Spanier auf deren Weg zum WM-Triumph 2010 dank des besseren Torverhältnisses (43:4) übertraf, setzte der Weltmeister-Trainer 37 Spieler ein. Dementsprechend heiß dürfte der Kampf um eines der begehrten 23 WM-Tickets werden. Nach den November-Spielen bleiben dem Bundestrainer bis zur Nominierung nur noch die Duelle im März gegen Spanien und Brasilien.

„Die Einspielphase für ein Turnier beginnt im Mai. Ich werde schon das ein oder andere testen“, sagte Löw. Sein WM-Casting ist bereits in vollem Gange. Und der 57-Jährige machte auch den Spielern Mut, die derzeit in der zweiten Reihe stehen: „Die Tür ist weiterhin offen. Es sind noch einige Monate hin. Manchmal kommt der eine oder andere dazu, mit dem man noch nicht rechnet“, sagte Löw. Vielleicht kommen fast vergessene Klassespieler wie die von vielen Verletzungen geplagten Reus, Ilkay Gündogan oder die Weltmeister Mario Götze und André Schürrle zurück. „Es gibt keinen Grund, irgendwelche Spieler abzuschreiben“, sagte der Bundestrainer.

Der fehlerhafte, fahrige Auftritt in der ersten Hälfte gegen die lange wehrhaften Gäste aus Aserbaidschan offenbarte, dass für das große Ziel in Russland Weltklassespieler wie Manuel Neuer, Toni Kroos, Mats Hummels, Jérôme Boateng, Mesut Özil, Müller oder auch Sami Khedira fit und in Topform benötigt werden. Auch Shkodran Mustafi, der sich am Sonntag einen starken Muskelfaserriss bis Muskelbündelriss zuzog, fällt jetzt wohl erst mal länger aus.

Über ein Dutzend Spieler dürfte einen Platz im WM-Aufgebot sicher haben, dazu zählt inzwischen auch Goretzka. Der Schalker traf gegen Aserbaidschan doppelt (8. und 66.), das erste zauberhaft mit der Hacke. Er hat bei den mahnenden Worten seines Chefs genau hingehört. „Für jeden Spieler gilt, dass er sich in Topform bringen muss. Wenn man zwei Wochen vor dem Turnier damit anfängt, dürfte es zu spät sein. Jeder muss Eigenverantwortung zeigen und sein ganzes Leben darauf einrichten, um bei der WM in Topform zu sein“, sagte der 22-Jährige.

Gegen wen es in Russland (14. Juni bis 15. Juli) in der Vorrunde geht, erfahren Goretzka und Co. bei der Auslosung am 1. Dezember in Moskau. Nach aktuellem Stand droht eine Hammergruppe mit Spanien, Frankreich oder Italien. Löw gibt sich aber gelassen. Er kann aus einem größeren Fundus an Kandidaten schöpfen als beim Titelgewinn 2014. „Wir fangen bei einer guten Basis an“, sagte Löw. Gegen Aserbaidschan sah man dies erst in der zweiten Halbzeit, als auch Sandro Wagner (54.) und Emre Can (81.) trafen. Hinzu kam ein Eigentor von Badawi Hüseynow (64.).

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