Fußball „Aufstieg würde einer Sensation gleichkommen“

Norwich · Der 42-jährige Ostwestfale sorgt mit Zweitligist Norwich City für Furore. Im Interview spricht der Trainer über sein Erfolgsgeheimnis.

 Trainer Daniel Farke, früher bei Borussia Dortmund II, hat Norwich City sensationell an die Tabellenspitze der 2. englischen Liga geführt.

Trainer Daniel Farke, früher bei Borussia Dortmund II, hat Norwich City sensationell an die Tabellenspitze der 2. englischen Liga geführt.

Foto: imago/Focus Images/Paul Chesterton

Im Schatten von Jürgen Klopp sorgt mit Daniel Farke (42) ein weiterer deutscher Trainer in England für Furore. Mit Norwich City schreibt der Ostwestfale gerade ein kleines Fußball-Märchen und klopft an die Tür zur Premier League. Im sid-Interview spricht der Trainer der „Kanarienvögel“, aktuell Spitzenreiter der 2. englischen Liga, über sein Erfolgsrezept, seine deutschen Profis und seine Zukunft.

Herr Farke, vor zwei Jahren spielten Sie als Trainer von Dortmunds zweiter Mannschaft noch in der Regionalliga gegen Vereine wie den FC Kray und SC Verl. Nun könnte es schon bald gegen ManCity und Pep Guardiola gehen – ein Märchen?

DANIEL FARKE Der Aufstieg in die Premier League würde einer Sensation gleichkommen. Aktuell hat man das Gefühl, dass die Kanarienvögel wirklich fliegen. Und wenn wir am Ende der Saison aufsteigen sollten, dann gibt es hier eine wochenlange grün-gelbe Party. Darauf hätten wir alle schon große Lust – keine Frage. Aber, das darf nicht vergessen werden: Norwich City hat drei schwierige Jahre hinter sich. Wir können einschätzen, wo wir herkommen. Ein Aufstieg unter diesen Voraussetzungen käme komplett unerwartet und wäre wirklich außergewöhnlich.

Wie fühlt sich der sportliche Höhenflug für Sie ganz persönlich an?

FARKE Als Trainer wächst man mit seinen Aufgaben. Ich bin nach meiner aktiven Zeit mittlerweile seit zehn Jahren als Trainer tätig, habe in der 4. Liga beim BVB II angefangen und dann eng mit Thomas Tuchel bei den Profis zusammengearbeitet. Man ist nun weder aufgeregt oder gar nervös, weil man nächstes Jahr Premier League spielen könnte. Spiele gegen Arsenal oder den FC Chelsea im FA-Cup gehören hier zum Tagesgeschäft. Und in der Liga spielt man alle drei Tage gegen Hausnummern wie Leeds, Aston Villa, Middlesbrough oder Sheffield vor 40 000 Zuschauern. Ich bin es mittlerweile gewohnt, auf Topniveau zu arbeiten.

In England sind Sie in aller Munde, in Deutschland lief das Thema Norwich bislang eher unter dem Radar. Stört Sie das?

FARKE Nein, überhaupt nicht. Das Interesse an Norwich in England ist riesig. Die Ausmaße, die die Berichterstattung hier annimmt, kann man mit der von Top-Bundesligisten wie Bayern München oder Borussia Dortmund vergleichen. Deswegen denke ich über unser Medienecho in Deutschland gar nicht nach. Ich habe genug zu tun, glauben Sie mir.

In der letzten Saison landete Norwich auf Platz 14, nun liegt der Club auf Aufstiegskurs. Wie lautet Ihr Erfolgsgeheimnis?

FARKE Klar, wenn man in dieser Saisonphase noch da oben steht, müssen viele Faktoren zusammenkommen. Das ist kein Zufall. Die Balance aus jungen und erfahrenen Spielern stimmt bei uns einfach. Wir spielen beispielsweise mit der wohl jüngsten Viererkette und den jüngsten Außenspielern in ganz Westeuropa. Und wir haben Spieler, die einfach sehr konstant ihre Leistung abrufen. Hinzu kommt ein hoher interner Konkurrenzkampf, verbunden mit einem enormen Teamgeist. Auf dem Feld setzen die Jungs das sehr gut um, was wir ihnen vorgeben, nämlich viel Ballbesitz und eine extreme Dominanz.

Viele aktuelle Stammspieler haben Sie für kleines Geld geholt. Zum Beispiel Onel Hernandez aus Braunschweig oder Dennis Srbeny vom SC Paderborn. Wie kommt man auf solche Spieler?

FARKE Qualität, Charakter und die Bezahlbarkeit – das ist uns ganz wichtig. Wir schauen auch immer nach einheimischen Spielern, die die Kultur kennen und keine Eingewöhnungszeit brauchen. Der Markt dafür ist aktuell allerdings überhitzt, deshalb müssen wir kreativ sein. Da hilft es, wenn man sich auf dem europäischen Markt gut auskennt – wie ich mich in Deutschland. Da haben wir im Sommer eine gute Auswahl getroffen.

Damit arbeiten Sie gewissermaßen gegen das System in England. Während die Top-Teams in der Premier League Milliarden verprassen, hat ihr Club in den letzten 18 Monaten mehr als 60 Millionen Euro Transferüberschuss erzielt.

FARKE Wir haben keine andere Wahl. Wir haben eine Eigentümer-Familie, die den Club seit fast 30 Jahren besitzt und ihn mit unfassbar viel Leidenschaft familiär und warmherzig führt. Unsere Eigentümer sind sehr bodenständig und schmeißen nicht mit Geld um sich. Wir geben keine zehn Millionen Pfund für einen Spieler aus, sondern scouten gut. Das Ergebnis sind dann Spieler wie Emil Buendia, die sich hervorragend entwickeln. Ich habe mich bewusst dafür entschieden. Norwich geht diesen Weg – und ich bin davon überzeugt.

Sie haben viele deutsche Spieler in den letzten anderthalb Jahren geholt. Wie groß ist deren Anteil, dass es aktuell so gut läuft? Wie deutsch ist der Erfolg in Norwich?

FARKE Die Qualität der Spieler ist wichtig, der Reisepass spielt dabei überhaupt gar keine Rolle. Für uns ist es entscheidend, dass sich die Jungs komplett mit dem Club und unserer Spielweise identifizieren. Natürlich wird unter den deutschen Spielern auch mal in der Muttersprache ein bisschen gefachsimpelt. Aber grundsätzlich wird bei uns auf dem Trainingsplatz und in der Kabine nur englisch gesprochen. Wir sind ein englischer Club und geprägt von unserer Historie.

Klopp, Farke, Wagner, Stendel, Siewert: England hat augenscheinlich ein Faible für deutsche Trainer. Wie kommt es, dass diese auf der Insel so beliebt sind?

FARKE Die deutsche Trainerausbildung ist einfach gut. Sie ist international auf einem Top-Niveau angesiedelt und wird sehr, sehr hochklassig bewertet. Und so gibt es in den letzten Jahren die Tendenz, sich auch auf dem deutschen Markt zu orientieren. Und natürlich ist auch der Erfolg von Jürgen Klopp ein Türöffner. Er zeigt, dass ein deutscher Trainer einfach sehr gute Arbeit abliefert.

Auffällig ist die Rolle, die Borussia Dortmund dabei spielt. Nach David Wagner und Ihnen ist Jan Siewert bereits der dritte Trainer, der vom BVB nach England gewechselt ist.

FARKE Bei Huddersfield kann man schon beobachten, dass man sich wohl gesagt hat: Mit David Wagner sind wir gut gefahren, nun holen wir wieder einen aus Dortmund – Jan Siewert. Bei mir war die BVB-Vergangenheit reiner Zufall. Und Jürgen? Er ist ein genialer Trainer.

Haben Sie Kontakt zu Klopp?

FARKE Aktuell nicht. Da bleibt im Tagesgeschäft wegen der vielen Spiele kaum Zeit für. Jürgen schaut oft nach Norwich und verfolgt unseren Weg extrem, weil bei uns mit Moritz Leitner, Marco Stiepermann und Felix Passlack auch Jungs spielen, die er mal trainiert hat. Wir drücken uns beide auf jeden Fall die Daumen, da bin ich mir sicher, aber einen Kaffee nebenbei lässt der Spielplan einfach nicht zu.

Sehen Sie ihn als Vorbild?

FARKE Wenn man auf diesem Niveau arbeitet, dann ist es bei keinem Trainer so, dass man da von Vorbildern spricht. Natürlich ist Jürgen ein außergewöhnlicher Trainer, der sehr speziell und einzigartig in seiner Art und Weise ist. Er hatte eine unfassbar erfolgreiche Zeit in Deutschland und knüpft dort in Liverpool nahtlos an. Das freut mich total. Ich bin voller Respekt, weil er einfach sehr viel erreicht hat. Deswegen bin ich auch weit davon entfernt, mich mit ihm vergleichen zu dürfen.

Ihr Vertrag läuft im Sommer aus. Wie sehen Ihre Planungen aus?

FARKE Aktuell bin ich einfach froh, hier zu sein, und fühle mich pudelwohl. Ich genieße die Zeit, und dann schauen wir mal, was passiert.

Gibt es ein konkretes Datum, bis wann Sie ihre Zukunft geklärt haben wollen?

FARKE Nein. Bisher hatte ich immer das Glück, meine Verträge erfüllen zu dürfen. Wenn ich mich für etwas entscheide, dann mache ich das aus tiefer Überzeugung. Eine Entscheidung wird es auf jeden Fall geben, aber eine Deadline gibt es nicht.

Klingt nach Abschied?

FARKE Nein, gar nicht. Ich bin momentan einfach sehr glücklich hier.

Wo wir schon beim Blick in die Zukunft sind: Was machen sie am Abend des 5. Mai, nach dem letzten Saisonspiel gegen Aston Villa?

FARKE Erst mal durchschnaufen.

Und dann den Aufstieg feiern?

FARKE Wir sind da ganz entspannt. Wir befinden uns momentan in einer Position, in der alles passieren kann. Klar ist aber: Wir sind gierig und wollen das Maximale erreichen.

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