Vierschanzentournee Die eigentlichen Top-Adler hängen durch

Oberstdorf · Für die Vierschanzentournee hat sich das Gefüge bei den deutschen Skispringern verändert. Hoffnungsträger ist plötzlich Karl Geiger.

 Karl Geiger feierte am vergangenen Wochenende in Engelberg seinen ersten Weltcup-Sieg. Er ist der neue Hoffnungsträger.

Karl Geiger feierte am vergangenen Wochenende in Engelberg seinen ersten Weltcup-Sieg. Er ist der neue Hoffnungsträger.

Foto: AP/Alexandra Wey

Die Stimmungslage nach der Generalprobe für den Saisonhöhepunkt schwankt irgendwo zwischen euphorisch und zerknirscht. „Ich freue mich total auf die Vierschanzentournee“, sagt Karl Geiger. Der Allgäuer, der am vergangenen Samstag in Engelberg seine Sieg-Premiere im Skisprung-Weltcup feierte, gehört zur ersten emotionalen Kategorie, kommt beim Gedanken an den Tournee-Auftakt am 29. Dezember in seiner Oberstdorfer Heimat kaum aus dem Grinsen heraus: „Bis dahin heißt es, die Tage immens gut zu nutzen.“

Bei Werner Schuster rennt er offene Türen ein. Der Bundestrainer weiß, dass er eigentlich viel zu viele Baustellen zu bearbeiten hat – vor allem die eigentlichen Top-Adler Andreas Wellinger, Richard Freitag und Severin Freund hängen durch. Schuster plant daher diese Woche ein knackiges Trainingsprogramm. „Ich möchte auf jeden Fall vor Weihnachten noch Akzente setzen“, sagt der Österreicher: „Dann werden wir den Sportlern am 23. und 24. freigeben. Wir wollen, dass sie hungrig zur Tournee kommen.“

Schuster muss dabei auf ein verändertes Teamgefüge reagieren. Die bisherigen Schattenmänner Geiger und Stephan Leyhe fliegen voran, die Erfolgsgaranten früherer Jahre überzeugen hingegen kaum. Der Bundestrainer sieht darin aber sogar eine Bestätigung für seine Arbeit. „Jedes andere Team würde es zerreißen, wenn die Besten wegbrechen“, sagt Schuster: „Umso froher bin ich, dass es uns gelungen ist, das Team in Bewegung zu halten, dass Karl und Stephan einen Schritt nach vorne gemacht haben.“

Die größten Fragezeichen stehen hinter Severin Freund. So weit weg von der Weltspitze war der 30-Jährige zuletzt als junger Bub. Nach dem komplett verpatzten Test in Engelberg wirkt der langjährige Spitzenspringer ratlos. „Es kann manchmal sehr blöd sein und sehr bitter. Aber das Letzte, was ich machen würde, ist aufgeben“, sagt Freund, der in der Schweiz lediglich die enttäuschenden Ränge 47 und 50 belegte. Ein so mieses Wochenendergebnis hatte Freund zuletzt im Dezember 2007 eingefahren – damals übrigens auch in Engelberg, mit 19 Jahren.

Seitdem hat der Niederbayer quasi alle Höhen, aber auch einige Tiefen des Sports erlebt. Freund wurde Olympiasieger, Weltmeister und Gesamtweltcup-Sieger, er prägte den Skisprung-Sport in Deutschland über Jahre. Dann riss ihm 2017 im Training das Kreuzband, er musste pausieren. Das Kreuzband riss ihm im Sommer desselben Jahres wieder, er legte eine noch längere Auszeit ein. Nun ist Freund nach zwei quälend langen Jahren zurück. Aber er ist nur noch einer unter vielen – und genießt keinen Freifahrtschein.

Auch Richard Freitag ist weit davon weg, Siege ins Visier zu nehmen. Der Sachse springt bislang mäßig, kämpft viel eher mit einer Hüftverletzung. „Wir wissen nicht genau, wie es weitergeht“, sagt Schuster: „Mental wird es ein ziemlicher Hürdenlauf, damit er bei der Tournee noch den großen Wurf landen kann.“ Auch Andreas Wellinger kommt irgendwie nicht in Fahrt, der Olympiasieger bleibt dennoch zuversichtlich. „Ich weiß, was ich kann. Ich muss es schaffen, dass sich über die Sprünge mein Niveau anhebt“, sagt der Ruhpoldinger: „An Weihnachten werde ich noch mal runterfahren, dann freue ich mich auf die Tournee.“

Zum Tournee-Joker könnte Markus Eisenbichler werden, der sich jüngst in Engelberg nach einem desaströsen 48. Platz im zweiten Springen immerhin als Sechster zurückmeldete. „Es war höchste Zeit, dass er zeigt, was er kann“, meint Schuster: „Er ist eigentlich seit Wochen unser bester Springer. Mit ihm haben wir eine Option mehr, die für Furore sorgen kann.“

Nicht nur im deutschen Team, auch international haben sich die Verhältnisse verschoben. Von den besten Sieben des Gesamtweltcups lag nur der Pole Kamil Stoch auch im Vorjahr unter den besten Zehn. Von den vier verschiedenen Gewinnern des Winters siegten drei erstmals, darunter der Japaner Ryoyu Kobayashi, der am Sonntag in Engelberg zum vierten Mal triumphierte – vor dem rechtzeitig erstarkten Tournee-Titelverteidiger Stoch. „Solide zu springen, wird für uns nicht reichen, um die zwei, drei Topleute zu schlagen“, mahnt Schuster.

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