Stürzt nach Armstrong auch UCI-Spitze?

Berlin. Wen zieht der gestürzte Lance Armstrong mit in die Tiefe? Nach dem ersten Schock um das entblößte Dopingsystem des Amerikaners müssen im ohnehin krisengebeutelten Radsport weitere Macher zittern

Berlin. Wen zieht der gestürzte Lance Armstrong mit in die Tiefe? Nach dem ersten Schock um das entblößte Dopingsystem des Amerikaners müssen im ohnehin krisengebeutelten Radsport weitere Macher zittern. Im Bericht der US-Anti-Doping-Agentur (Usada) zur Verschwörung wird vor allem der Weltverband UCI angegriffen - unter den Präsidenten Pat McQuaid und Hein Verbruggen sei Armstrong jahrelang protegiert worden, sogar Dopingbefunde sollen vertuscht worden sein. Während viele Radsportler fassungslos die Enthüllungsdokumente studieren, interpretierte der UCI-Funktionär Verbruggen den Report auf seine ganz eigene Art: "Da steht doch, dass wir nie etwas unter den Teppich gekehrt haben." Doch genau das schien zumindest bei der Tour de Suisse 2001 passiert zu sein.Hatte die UCI zuletzt schon im Dopingfall Alberto Contador und zu Beginn der Armstrong-Affäre mit einem Zickzack-Kurs für Kopfschütteln gesorgt, so könnte der Verband nun komplett gegen die Wand fahren. Ob Präsident McQuaid zu halten ist, scheint offen. Der Radsport "hat den moralischen Kompass verloren", sagte Sky-Teamchef Dave Brailsford, der Bradley Wiggins zum Tour-de-France-Sieg geführt hatte.

Dass die Frankreich-Rundfahrten Anfang des vergangenen Jahrzehnts als sportliche Farce in die Geschichtsbücher eingehen wird, ist abzusehen. Der Weltverband UCI hat durch die erdrückenden Beweise der Usada kaum ein andere Wahl, als Armstrong seine sieben Titel abzuerkennen. Denkbar ist, dass für diese Rundfahrten - quasi als Mahnmal - kein Sieger nachbenannt wird. Auch Jan Ullrich, der hinter Armstrong drei Mal Zweiter wurde, ginge dann leer aus. Der gebürtige Rostocker hatte ohnehin mehrfach erklärt, den Sieg nicht im Nachhinein zu wollen.

Ullrichs Mentor Rudy Pevenage sorgte derweil mit einem Interview in der Zeitung "L'Équipe" für Aufsehen. Der frühere sportliche Leiter behauptete, durch die Machenschaften Armstrongs selbst zu illegalen Maßnahmen bei Telekom und T-Mobile gezwungen gewesen zu sein. "Wir wollten alle das Rezept - dasselbe wie Armstrong", berichtete der Belgier. "Wieso sind wohl alle seine Rivalen von damals - Botero, Beloki, Sevilla, Ullrich, Basso, Hamilton, Winokurow - danach gestürzt? Sie wollten es so machen wie er, aber hatten nicht die gleichen Mittel und waren vor allem nicht so beschützt." Sie alle und auch sich selbst bezeichnete Pevenage als "Opfer von Lance Armstrong und Johan Bruyneel" und deren "Höllenmaschine".

Dass Armstrongs langjähriger Teamchef Bruyneel, derzeit immer noch im Team Radioshack unter Vertrag, keine Zukunft im Radsport hat, davon gingen Branchenkenner schon nach Bekanntwerden der Usada-Klage im Sommer aus. Bruyneel ist neben dem Mediziner Michele Ferrari der zentrale Helfer Armstrongs in dem Bericht - allerdings bei weitem nicht der einzige Akteur, der früher in den Teams US Postal und Discovery Channel unter Vertrag war und heute noch im Radsport aktiv ist. Sean Yates etwa war 2005 sportlicher Leiter im Armstrong-Team und ist heute Manager des Sky-Teams. Wjatscheslaw Jekimow war jahrelang treuer Teamkollege Armstrongs - jüngst wurde der Russe zum Generalmanager des Eliterennstalls Katusha berufen. dpa

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