Storls Gold-Coup Nummer zwei

Moskau · David Storl musste am Freitag zittern: Lange Zeit war unklar, ob sein 21,73-Meter-Versuch im WM-Finale von Moskau gültig war. Doch die weiße Fahne ging nach oben – Storl hat seinen Titel im Kugelstoßen verteidigt.

Teufelskerl David Storl setzte sich einen Deutschland-Hut auf, reckte seinen starken Arm in den Himmel über Moskau und ließ sich feiern: Der 23 Jahre alte Kugel-Koloss schnappte sich bei der Leichtathletik-WM nach einer grandiosen Leistung überraschend Gold und schockte die Konkurrenz wie schon bei seinem WM-Sensations-Coup in Daegu genau 714 Tage zuvor. Storl wuchtete die Kugel im vierten Versuch auf 21,73 Meter und verteidigte als erster Schwerathlet seit John Godina aus den USA (1995 und 1997) seinen Titel.

Dem Triumph waren Minuten des Zitterns vorausgegangen. Die Kampfrichter hatten Storls viertbesten Stoß der Karriere zunächst ungültig gegeben. Er protestierte, es folgten Diskussionen, Videos und Bilder wurden studiert, ehe der Versuch doch noch gültig gegeben wurde. "Ich kann zwar aus der Schule noch Russisch, aber nicht so fließend", sagte Storl am ARD-Mikro über die skurrile Situation: "Ich konnte gar nicht glauben, dass der Versuch nicht zählen sollte. Dann habe ich mir die Fotos eines Journalisten angeschaut, dann war die Sache für mich klar. Wahnsinn."

Wie 2011 bei den Titelkämpfen in Südkorea galt Storl in Russland eigentlich nicht als Favorit - doch der Olympia-Zweite von London hatte wieder die besten Nerven. Silber holte Top-Favorit Ryan Whiting aus den USA mit 21,57 Meter. Bronze gewann der Kanadier Dylan Armstrong mit 21,34 Metern. Den Konkurrenten blieb nur ein anerkennendes Lächeln für diesen Ausnahmekönner.

2011 war Storls Triumph, als er sich zum jüngsten Kugelstoß-Weltmeister der Geschichte krönte, eine Riesenüberraschung. Die Titelverteidigung war zumindest unerwartet. Zu stark schienen die Rivalen, vor allem Whiting, der in diesem Jahr bisher so dominiert hatte. Doch wenn sich jemand von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen lässt, dann Storl. Das hat er mit seinem Gold-Coup von Moskau erneut bewiesen.

Die Stärke des Sachsen: Er scheint keine Nerven zu haben. Auch Rückschläge werfen ihn nicht aus der Bahn. Nach Olympia hatte Storl mit Problemen an der Patellasehne und den Bandscheiben zu kämpfen, auch eine Haut-Operation verzögerte im Winter die Vorbereitung auf die Titelkämpfe in Russland. Storl erlebte deshalb bisher eine schwierige Saison mit technischen Problemen und einer Brustmuskelzerrung im Sommer. Dem Europameister gelang vor der WM erst ein einziger 21-Meter-Stoß in diesem Jahr.

Doch nach Moskau reiste Storl wieder topfit, in Kienbaum bei Berlin hatte er sich mit Trainer Sven Lang noch einmal richtig gequält, den letzten Schliff geholt. Noch nie sei er auf einen Saison-Höhepunkt so gut vorbereitet gewesen, hatte er gesagt: "In allen wichtigen Kraftübungen habe ich in den vergangenen zwei Wochen Bestleistungen aufgestellt." Nach der Qualifikation hatte er angekündigt, vor dem Finale noch einmal "ordentlich frühstücken" zu müssen, dann sei alles möglich. Und Storl sollt Recht behalten. Er hat es wieder getan. Usain Bolt nahm das Rennen so ernst wie einen Betriebsausflug. Nach wenigen Metern schaute er sich nach links und rechts um. Schon weit vor der Ziellinie begann er, mit dem Zweitplatzierten Delanno Williams aus Großbritannien zu flachsen. Der Olympiasieger und Weltrekordler aus Jamaika hatte am Freitagmorgen nur ein Ziel in seinem locker gewonnenen Vorlauf über 200 Meter: Er wollte so viele Kräfte wie möglich sparen. Das gleiche Prozedere folgte im Halbfinale am Freitagabend.

Es soll Bolts Wochenende im Luschniki-Stadion werden. Nach seinem Sieg über 100 Meter will Bolt an diesem Samstag (18.05 Uhr/ARD und Eurosport) über 200 Meter und dann am Sonntag mit der Sprintstaffel noch über die 4 x 100 Meter (16.40 Uhr/ARD und Eurosport) allen davon laufen. Sollte der Jamaikaner das schaffen, wäre er mit acht Gold- und zwei Silbermedaillen mit nur 26 Jahren der erfolgreichste Leichtathlet der WM-Geschichte - vor Legenden aus den USA wie Carl Lewis, der bei Weltmeisterschaften acht Gold-, eine Silber- und eine Bronzemedaille holte, und Michael Johnson, der acht Mal Gold gewann.

Der sechsmalige Olympiasieger ließ am Freitag keinen Zweifel daran, dass er auch diese beiden WM-Titel mit nach Hause nehmen wird. "Ich fühle mich gut, wirklich gut", sagte Bolt. Aus seinen wenigen Interviews in Moskau weiß man, dass er an diesem Samstag mit dem 200-Meter-Weltrekord liebäugelt. "Ich kann nichts versprechen. Aber ich werde mein Bestes geben", meinte er: "Der 200-Meter-Weltrekord ist derjenige, den ich am liebsten noch einmal brechen würde. Allein um zu sehen, ob es wirklich möglich ist, unter 19 Sekunden zu laufen." Sein eigener Weltrekord liegt bei 19,19 Sekunden.

Für Bolts Verhältnisse ist es bei dieser WM sehr ruhig geworden um den Sprinter - selbst nach seinem 100-Meter-Sieg am Sonntagabend. Er ließ sich im Stadion feiern und tauchte anschließend bis zu seinem 200-Meter-Vorlauf am Freitag ab. Der jamaikanische Verband ließ nur wissen, dass Bolt am Montag einen freien Tag eingelegt und am Dienstag wieder mit leichtem Training begonnen habe. Ansonsten: Keine Pressekonferenz, kein Show-Auftritt, kein öffentliches Training, keine Fotos. So etwas ist man von Bolt nicht gewohnt. Er geht Medien aus dem Weg, weil er befürchtet, vor allem zum Thema Doping befragt zu werden. Die Affäre um seine kürzlich überführten Rivalen Tyson Gay (USA) und Asafa Powell (Jamaika) wirkt nach. Christian Reif zuckte mit den Schultern und blickte enttäuscht durch das Moskauer Luschniki-Stadion. Das Feuer, das während des Finals am Freitag in seinen Augen loderte, war erloschen. Zur ersten WM-Medaille eines deutschen Weitspringers fehlten dem Athleten vom LC Rehlingen fünf Zentimeter - eine Winzigkeit. Im Feld der Ausnahmespringer bedeutete der nicht einmal handbreite Rückstand allerdings nur Platz sechs.

Reifs 8,22 Meter waren bei der Flugshow des neuen Weltmeisters Alexander Menkow nur noch eine Randerscheinung. Der Russe gewann mit einer Jahresweltbestleistung von 8,56 Meter als erster Europäer den Titel - mit klarem Abstand vor dem Niederländer Ignisious Gaisah (8,29 Meter) und dem Mexikaner Luis Rivera (8,27 Meter). Dabei setzte Reif im Finale mit seinem ersten Satz auf 8,18 Meter die erste Duftmarke, ging in Führung, zeigte den Zuschauern die Faust. Der 28-Jährige wirkte motiviert, geradezu verbissen. Dennoch sagte er nach dem Wettkampf: "Ich möchte jetzt nicht als enttäuschter Athlet in der Zeitung stehen, aber klar: Es war mehr drin. Es war ein unglaublich hochwertiger Wettkampf, der Russe war überragend. Letztlich hat mir der Ausreißer gefehlt."

Für den Rehlinger erinnerte der WM-Wettkampf ein wenig an das Olympia-Drama von London, als Sebastian Bayer vom Hamburger SV mit zwei Zentimetern Rückstand auf Platz drei Fünfter geworden war. In Moskau blieb Bayer deutlich hinter seinen Möglichkeiten. Mit 7,98 Meter reichte es am Freitag lediglich zu Platz neun. Der deutsche Meister Alyn Camara vom TSV Bayer Leverkusen war bereits im Vorkampf ausgeschieden.

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