Steinbach hat die fünf Ringe im Blut

Saarländische Olympia-Helden In einer Serie trifft sich die SZ-Sportredaktion mit deutschen Medaillengewinnern bei Olympischen Spielen, die zugleich eine besondere Beziehung zum Saarland haben. Teil 5 der Serie: Klaus Steinbach (62).

 1972 in München gewinnt Klaus Steinbach, damals der Star der Max-Ritter-Schule in Saarbrücken, seine erste internationale Medaille. Foto: Birtel

1972 in München gewinnt Klaus Steinbach, damals der Star der Max-Ritter-Schule in Saarbrücken, seine erste internationale Medaille. Foto: Birtel

Foto: Birtel

Klaus Steinbach zeigt mit beiden Händen zum eigenen Körper, vom Kopf bis runter zu den Füßen, und schüttelt sich. Die Geste ist unmissverständlich: Diese Gänsehaut von damals, vom Ansatz des Kopfhaars bis runter in die Fußnägel, wird er nie vergessen. Niemals.

Es ist der 26. August 1972. Stadionsprecher Joachim "Blacky" Fuchsberger ruft als letzten Teilnehmer der Olympischen Spiele die deutsche Mannschaft auf. Den Gastgeber. 70 000 Zuschauer im Münchner Olympiastadion jubeln bei der Eröffnungsfeier den Athleten zu. Unter ihnen: Klaus Steinbach. 18 Jahre jung, unerfahren, unbedarft, ein aufgehender Stern im deutschen Schwimmsport.

"Da ist es mir eiskalt den Rücken runtergelaufen. Plötzlich wird dir bewusst, dass du dein Land repräsentierst. Auf dieser Bühne. Dieser Moment war prägend für mein ganzes olympisches Leben", sagt Steinbach heute. Und der 62-Jährige hat eine Beziehung zu den fünf Ringen wie kein anderer Saarländer. Als Schwimmer nimmt er zwei Mal teil, 1972 in München und 1976 in Montreal, er gewinnt zwei Medaillen - Silber 1972 mit der deutschen 4x200-Meter-Freistilstaffel und Bronze 1976 mit der 4x100-Meter-Lagenstaffel. In seinem "zweiten" Sportler-Leben, als Funktionär, ist er drei Mal Chef de Mission, also Leiter der deutschen Olympia-Delegation: 2000 in Sydney, 2004 in Athen und 2006 bei den Winterspielen in Turin.

Klaus Steinbach verkörpert Olympia, er lebt Olympia, den olympischen Gedanken. "Der Slogan der Deutschen Sporthilfe ,Leistung - Fair Play - miteinander', der gilt auch für mich", sagt er. Die Sommerspiele 1972 in München sind der Startschuss zu Steinbachs unfassbar erfolgreicher Karriere . Er wird 1975 Weltmeister, zwischen 1975 und 1978 vier Mal Vize-Weltmeister, zwischen 1974 und 1977 fünf Mal Europameister, insgesamt 25 Mal deutscher Meister. Er stellt neun Europarekorde und acht Weltrekorde auf. Die Beziehung zu Olympia beginnt aber viel früher. Anfang 1969. Als klar ist, dass die Sommerspiele in München ausgetragen werden, machen sich die Sportverbände in Deutschland Gedanken, wie sie ihre Talentförderung ausrichten sollen. Horst Planert, Bundestrainer im Deutschen Schwimmverband, hat eine revolutionäre Idee. Ein Sportinternat nach dem Muster der DDR. Das erste dieser Art in West-Deutschland - an der Landessportschule in Saarbrücken.

Der DSV entschließt sich zur Gründung der DSV-Max-Ritter-Schule, finanziell getragen vom Landessportverband für das Saarland . Talente aus kleineren Vereinen, die schlechte Trainingsbedingungen haben, werden hier konzentriert. "Ich war deutscher Jahrgangsmeister, mehr nicht. Das Angebot hörte sich reizvoll an, und das war es auch. Natürlich hatte ich mir das reiflich überlegt, aber ich wollte ja vorankommen", erinnert sich Steinbach an die Entscheidung, die sein Leben nachhaltig verändert. Er ist 15, zieht zuhause aus, lässt die Familie in Kleve in Nordrhein-Westfalen, direkt an der Grenze zu den Niederlanden, hinter sich und startet ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. "Wir waren am Anfang eine Gruppe von 14. Zehn Jungs, vier Mädchen. Das war wie ein dauerhaftes Zeltlager. Eine Jugendfreizeit mit konsequentem Training", sagt Steinbach und lacht.

Er zieht seine Bahnen nun in der alten Schwimmhalle der Landessportschule in Saarbrücken, "nicht mehr im Feuerlösch-Teich in Kleve", merkt Steinbach an. Seine erste "Wohnung" steht heute noch. Ein Gästehaus an der Sportschule, gegenüber der Mensa. Kontakt zu den Eltern hält er telefonisch. "Einmal in der Woche. Später gab es auch die Möglichkeit, sich zu festen Zeiten anrufen zu lassen. Wir haben uns auch geschrieben. Dann hat man eben warten müssen, bis der Brief im Briefkasten ist. Das war halt so", sagt Steinbach.

Die Trainingsgruppe von Planert, zu der ein Jahr später auch Steinbachs Schwester Angela zählt, hat "mit vergleichsweise geringem Trainingsaufwand, vielleicht einem Drittel von heute, maximalen Erfolg", erklärt Steinbach. Bei den Spielen in München steht nicht nur er auf dem Treppchen, am Tag vorher auch seine damals 17-jährige Schwester als Schlussschwimmerin der deutschen 4x100-Meter-Freistilstaffel.

Steinbach spürt, dass dies erst der Anfang ist. Und behält recht. Bis 1975 trainiert er an der Max-Ritter-Schule. Geht dann nach Bonn, "weil ich im Saarland keine adäquaten Trainingspartner mehr hatte". Er will ein Jahr später bei Olympia in Montreal richtig durchstarten, doch beim Umzug von Saarbrücken nach Bonn ("Ich musste ja alles selbst tragen") zieht er sich einen Bandscheibenvorfall zu, wird operiert, leidet unter einer Wundheilungsstörung. "Eine unrunde Vorbereitung", sagt Steinbach heute. Er erreicht dennoch schnell wieder sein Level - und verewigt sich am 7. März 1976, heute vor 40 Jahren, in den Geschichtsbüchern des Schwimmsports. Bei einem Wettkampf in Bremen durchbricht er als erster Schwimmer weltweit die 50-Sekunden-Marke über 100 Meter Freistil: 49,79 Sekunden. Weltrekord. Steinbach ist ganz oben.

"Ich habe 18 internationale Medaillen gewonnen. Nein, rückblickend betrachtet hätte ich im Sport nichts anders gemacht, auch wenn mir eine Einzel-Goldmedaille in meiner Sammlung verwehrt blieb", sagt Steinbach.

Nach der Bronzemedaille 1976 in Montreal geht Steinbach zurück ins Saarland. Nach Homburg, wo er Medizin studiert. Sein Training organisiert er selbst. Meistens im Freibad in Kirkel-Limbach. "Die Zeiten habe ich direkt mit dem Schwimm-Meister dort abgesprochen. Und beim Einschwimmen habe ich mir überlegt, was mein Körper jetzt will oder braucht", sagt Steinbach. Und wieder hat er Erfolg. Im Sport wie im Studium. Während der Heim-WM 1978 in Berlin fliegt er sogar drei Mal hin und her, um zeitgleich in Homburg seine Prüfungen zum Physikum zu schreiben. "Der Verband stand hinter meiner Entscheidung, hat auch die Flüge bezahlt", erinnert sich Steinbach. Und der zahlt es zurück. Morgens sitzt er im Flieger nach Berlin, abends schwimmt er im WM-Finale - und er holt drei Medaillen. Heute unvorstellbar. "Multitasking können halt nicht nur Frauen", sagt Steinbach und lacht genüsslich.

1980 endet Steinbachs aktive Laufbahn, den Zeitpunkt hatte er auch immer anvisiert. Dass der Boykott des Westens seinen Auftritt in Moskau verhindert, seine Karriere ohne dritte Olympia-Teilnahme zu Ende gehen lässt, kann er heute verschmerzen. Sein Studium schließt er 1983 ab, 1986 promoviert er bei Professor Dr. Wilfried Kindermann. Seit 1992 ist er Chefarzt, seit 1997 ärztlicher Direktor der Hochwald-Kliniken in Weiskirchen. Eine Bilderbuch-Karriere.

Seine medizinische Ausbildung verknüpft Steinbach bald mit seiner zweiten Sport-Karriere. Diese beginnt praktisch direkt 1981 mit einer Fair-Play-Auszeichnung der Unesco für sein vorbildliches Verhalten während seiner aktiven Laufbahn. Bei der Verleihung ist auch Willi Daume , der frühere Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), dabei. Er schlägt Steinbach wenig später für eine persönliche Mitgliedschaft im NOK vor. Diese hat der 62-Jährige bis heute (seit Mai 2006 im Deutschen Olympischen Sportbund).

Klaus Steinbach hat den Fuß in der Tür, aber nie das Ziel, mit einem Karriere-Plan als Funktionär voranzukommen. Und es geht auch ohne. Er wird Mannschaftsarzt. Bei den Fußballern des FC Homburg, bei der deutschen Volleyball-Nationalmannschaft der Frauen. Über den Gutachter-Ausschuss der Deutschen Sporthilfe, in den er reinkommt, gibt er Wissen und Erfahrung weiter - und darf 2000 in Sydney die deutsche Olympia-Delegation anführen. Als Chef de Mission.

"Ich war extra ein Jahr vorher in Australien. Habe mir alles angesehen. Fotos gemacht", sagt Steinbach. Zurück in Deutschland bereitet er die Verbände und ihre Topsportler auf ihr Olympia-Abenteuer vor. "Ich habe ihnen gezeigt, wie sie wohnen werden, wie schmal die Schränke in den Zimmern sind. Sie haben gemerkt, dass sie mir vertrauen können." Steinbach schlägt sogar vor, die Sportler in den Häusern, die Betreuer und Funktionäre in den nebenstehenden und weniger komfortablen Wohncontainern schlafen zu lassen. "Es ging schließlich um die Sportler . Sie sollten erfolgreich sein, nicht wir auf der Tribüne", sagt er.

Steinbachs Art kommt an. Er weiß, wovon er spricht. Er kennt Olympia wie kein anderer. Hat zwei Medaillen gewonnen. Und regelt vor Ort alles routiniert. Auch vier Jahre später in Athen ist er Chef de Mission, da sogar in Doppelfunktion, denn seit 2002 leitet er das Nationale Olympische Komitee Deutschlands. Und was bei Sommerspielen funktioniert, das soll auch im Winter klappen. 2006 ist er immer noch NOK-Präsident und Chef de Mission bei den Winterspielen in Turin.

Seine Zeit beim NOK endet am 20. Mai 2006 mit der Fusion mit dem Deutschen Sportbund zum Deutschen Olympischen Sportbund. "Ich hatte nie strategische Pläne auf Funktionärsebene", sagt Steinbach: "Mein Ansatz war immer, etwas zurückzugeben. Ein Funktionär hat dafür zu sorgen, dass es funktioniert. Nicht, dass er selbst im Rampenlicht steht." Steinbach schlägt Thomas Bach , den heutigen Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), als Präsidenten des neuen DOSB vor.

Aber es ist nicht so, als würde Steinbach heute nichts mehr tun. Er ist Vorsitzender der medizinischen Kommission des Europäischen Olympischen Komitees, und er sitzt im Aufsichtsrat der Deutschen Sporthilfe ("Ohne sie wäre meine eigene Karriere so nicht möglich gewesen"). Ob er in Rio de Janeiro vor Ort sein wird, weiß er noch nicht. Er hat bis dahin andere Termine im Kopf. Etwa die Hochzeit seiner Tochter Laura. Die frühere Handball-Nationalspielerin und Olympia-Teilnehmerin 2008 in Peking lebt inzwischen in Spanien. Die gebürtige Homburgerin wird den spanischen Handball-Star Iker Romero am 18. Juni heiraten. Diesem Tag fiebert Klaus Steinbach entgegen.

Zwei Monate später aber werden die fünf Ringe wieder seine volle Aufmerksamkeit genießen, das ist klar. Die Eröffnungsfeier wird er verfolgen, die deutschen Sportler sehen, die voller Stolz ins Olympiastadion von Rio einmarschieren. Und er wird sich erinnern. An den 26. August 1972. An den Jubel im Münchner Olympiastadion. An Fuchsbergers Worte. An seine Gänsehaut.

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