WM-Qualifikation Spiel mir noch mal das Lied vom „Huh!“

Reykjavik · Islands Märchen geht weiter. Die Fußball-Nationalhelden feiern die erstmalige Qualifikation für eine WM bis in den frühen Morgen.

Das von der EM 2016 bekannte „Huh!“ samt Klatschen rollte wie tausendfacher Donnerschlag durch die zugigen Straßen Reykjaviks, als die isländischen Nationalhelden am frühen Dienstagmorgen aus einer Szene-Bar auf die Straße tanzten. An der mächtigen Hallgrimskirche, die über der Hauptstadt wacht wie eine sagenhafte Festung aus dem Herrn der Ringe, wehte die blaue Landesflagge vor der Statue des Welten-Entdeckers Leif Eriksson. Selbst der Staatspräsident kann es nicht fassen – doch es ist wahr: Island fährt zur WM! „Enorme Freude und Stolz erfüllen mich, dass ich Zeuge dieser wunderbaren Feier werden durfte“, sagte Gudni Johannesson, der nach Gylfi Sigurdssons 1:0 (40.) das entscheidende 2:0 (68.) von Johann Gudmundsson gegen den Kosovo im berstenden Nationalstadion Laugardalsvöllur bejubelte. „Wir sind hier häufig gegensätzlicher Meinung – deshalb ist es fantastisch, dass dieses Team uns eint“, sagte der Präsident.

Dass ein Pädophilie-Skandal erst im September die Regierung gestürzt hat, Probleme mit Jugend-Abwanderung und den überbordenden Preisen, das alles war für einen Moment vergessen. Nach Frankreich 2016 hört auch Russland ein „Huh!“, nie hat sich ein Land mit weniger Einwohnern (330 000) für die Endrunde einer Fußball-WM qualifiziert. „Unglaublich“, sagte Nationaltrainer Heimir Hallgrimsson. Der 50-Jährige war nach dem Spiel derart tief bewegt, dass er einen Teil der Pressefragen von seinen Assistenten beantworten ließ. „Maradona, Pelé“, stammelte Hallgrimsson, „und Aron Einar Gunnarsson . . .“

Der Kapitän von Cardiff City, berühmt durch seinen markanten Bart und seine spitzen Eckzähne, führte auch die Party mit den wilden Männern im Stadion an. Bengalische Feuer rauchten auf der Tribüne, wie es sonst nur die schwefeligen Felder bei den heißen Quellen tun.

Auf einer Bühne am Ingolfur-Platz sprangen die Spieler später mit dem Rapper Emmsje Gauti herum, sie warfen die Arme in die Luft und schnitten Grimassen. Doch nicht allein die Hauptstadt, ganz Island kocht nach dem erneuten Siegeszug. Das Bier floss in Strömen – obwohl Alkohol nur in rund 50 Geschäften (Vinbudin) außer Haus verkauft werden darf. Ein Glas in der Kneipe kann zehn Euro kosten.

„Das Wikingerschiff nimmt Kurs auf Russland“, schrieb die Washington Post. Besonders Frankreich erinnert sich gut an den sommerlichen Einfall Tausender Isländer. „Das nächste Wunder“, titelte L‘Equipe.

Dabei ist der Erfolg mehr als das. In Island beginnt der Fußball dem Handball Konkurrenz zu machen. Wer durch das Land von Lava und Eis reist, sieht in jedem Fischerdorf einen fein gepflegten Rasen und daneben einen hölzern umzäunten Mini-Bolzplatz, meist an der Seite eines bestens ausgestatteten Schwimmbads. Dazu kommt: „Wir sind Workaholics“, wie Heimir Hallgrimsson betont.

Der Sport ist Regierungsprogramm – auch, um die in der Wirtschaftskrise teils in den Alkoholmissbrauch abgedriftete Jugend zu beschäftigen. Der ausgeprägte Nationalstolz ist überall zu spüren. Somit verkam die EM-Teilnahme der Nummer 22 der Fifa-Weltrangliste nicht zur Eintagsfliege. Hallgrimsson, der den Fans stets mehrere Stunden vor dem Anpfiff die Taktik in der Sportsbar Ölver erläutert, ist darauf besonders stolz und meinte: „Die Weite des Landes, die raue See, sie lassen die Isländer zusammenstehen.“ Und jetzt auch der Fußball.

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