Schmitts leiser Abflug

Garmisch-Partenkirchen · Der Aufstieg der deutschen Skispringer ist ins Stocken geraten. Was fehlt, ist ein Überflieger. Hoffnungsträger Severin Freund enttäuscht bei der Vierschanzentournee. Nun gilt das Augenmerk den Olympischen Spielen.

Nach dem von Bundestrainer Werner Schuster verfügten Tournee-Aus und dem damit verbundenen Karriereende packte Martin Schmitt seine sieben Sachen und entschwand ohne Groll in die Nacht. "Ich fahre mit guten Gedanken nach Hause", erklärte der 35 Jahre alte Skispringer zum Abschied: "Ich kann mich bei den Fans nur bedanken für all die Jahre, in denen ich immer wahnsinnig unterstützt wurde. Das ist etwas ganz Besonderes für mich."

Mit Schusters Entscheidung, Schmitt nicht zu den Springen nach Innsbruck morgen und Bischofshofen am Montag mitzunehmen, endete am Neujahrstag eine Ära im deutschen Skisprung. Schmitt vermied es, seinen Rücktritt zu verkünden, doch die Gedanken gehen längst in die Zukunft. "Es ist geplant, dass ich mich weiter im Skispringen einbringe. In welcher Form genau wird man sehen. Da brauche ich etwas Abstand", sagte er. Der Deutsche Skiverband (DSV) will Schmitt, der bis 2015 ein Trainerstudium in Köln absolviert, für eine Zusammenarbeit gewinnen. "Martin hat sich in den vergangenen Jahren mit den Aufgaben beschäftigt, die es im Verband gibt. Ich hoffe, er findet den Weg zu uns, zum DSV. In welcher Aufgabe müssen wir sehen", sagte Sportdirektor Thomas Pfüller: "Er kann gut mit Kindern umgehen, macht eine gute Ausbildung. Ich denke, er bleibt uns erhalten."

Mit vier Weltmeister-Titeln, Olympia-Gold 2002 mit der Mannschaft, zwei Gesamttriumphen und 28 Einzelsiegen im Weltcup zählt Schmitt zu den erfolgreichsten deutschen Skispringern. "Er ist ein großer Sportsmann", lobte Schuster. Die Fans feierten Schmitt bis zum letzten Sprung, obwohl er seit fast zwölf Jahren keinen Weltcupsieg mehr landen konnte. "Gerade, wenn es nicht so lief, habe ich so viele positive Rückmeldungen und Zuspruch bekommen. Deshalb habe ich mich so darauf gefreut, dass ich bei dieser Tournee noch einmal an den Start gehen konnte", sagte Schmitt. Doch der Routinier, der mit seinen Erfolgen kurz vor und nach der Jahrtausendwende einen nie da gewesenen Boom ausgelöst hatte, konnte der deutschen Mannschaft keine Impulse geben.

"Wir haben es nicht hinbekommen und sind nicht zufrieden damit, dass wir im Gesamtklassement keine Rolle spielen", sagte Schuster enttäuscht. Hoffnungsträger Severin Freund verstärkte mit seinem Absturz beim Neujahrsspringen die Misere. Er sagte: "Man fällt im Leistungssport öfter mal hin, man muss nur wieder aufstehen." Erst drei Mal seit der Wiedervereinigung schaffte es kein DSV-Springer im Gesamtklassement der Tournee unter die Top Zehn. Zur Halbzeit der 62. Auflage liegt Michael Neumayer als bester Deutscher auf Rang elf. Schuster hat für die zweite Tournee-Hälfte eine neue Parole ausgegeben: "Wir müssen von Station zu Station zusehen, dass wir uns mannschaftlich stabilisieren und gute Einzelplatzierungen machen. Es gibt noch zwei prestigeträchtige Wettbewerbe. Wir glauben, dass wir das Potenzial haben, dort auf das Podest zu kommen." Es sind keine einfachen Tage für Bundestrainer Werner Schuster. Vor wenigen Wochen flogen seine Skispringer in Serie aufs Podest. Die Erwartungen stiegen. Nun liegt zur Halbzeit der Vierschanzentournee kein Deutscher in den Top Zehn der Gesamtwertung. In Oberstdorf sprangen Severin Freund und Marinus Kraus zwar unter die ersten Zehn und in Garmisch gelang das Andreas Wellinger und Richard Freitag. Doch man kann die Ergebnislisten der Tournee auch anders lesen. Zum Beispiel so: Erst patzten Wellinger und Freitag, dann Freund und Kraus. Was Schuster vermisst, ist der eine Springer, der konstant vorne dabei ist. "Für so ein Großereignis brauchst du einen Mann, der sein Paket geschnürt hat und auf einer Welle surft", sagte er nach dem Neujahrsspringen in Garmisch: "Einer, der das volle Vertrauen in seine Leistungsfähigkeiten hat." Und den gibt es in der deutschen Mannschaft nicht.

Freund wird bei den Worten genau hingehört haben. Wer, wenn nicht er, ist nach dem Sieg im Dezember in Lillehammer mit Selbstvertrauen in die Tournee gegangen? Schuster sprach auch davon, dass es keine "Hierarchie im Team" gebe. Auch hier durfte Freund sich angesprochen fühlen. Er ist Mitläufer statt Vorflieger.

Woran liegt es also, dass die deutschen Springer abstürzen, wenn ein großer Titel winkt? Am Druck? Freund sagt: "Ich würde die Gründe nicht bei Druck, Angst oder einem Großereignis suchen. Schließlich bin ich letztes Jahr in Oberstdorf Dritter geworden." Druck dürfe keine Ausrede sein: "Ich muss einfach schauen, dass ich besser springe." Außenstehende wie Ex-Athlet Sven Hannawald sprechen von einem "mentalen Problem". Schuster selbst war es, der die Erwartungen geschürt hatte. Warum auch nicht, die Ergebnisse stimmten ja. Doch der Aufstieg der deutschen Skispringer ist ins Stocken geraten. "Kritik kommt immer, wenn die Platzierungen nicht da sind. Aber wir sind als Team stark und auf dem richtigen Weg", sagte Andreas Wellinger, in Garmisch Fünfter: "Wenn das einer vor drei Jahren gesagt hätte, wären alle zufrieden gewesen. Die Ansprüche sind gestiegen."

Mit der Weiterreise bei der Tournee zu den Springen in Österreich hat für die Deutschen die Vorbereitung auf Sotschi begonnen. "Wir müssen aus dieser Truppe eine schlagkräftige Mannschaft für den Weltcup und speziell für Olympia formen", sagte Schuster. Punktuell ist die deutsche Mannschaft jederzeit für Podestplätze gut. Genau darum wird es im Februar in Sotschi gehen, nicht um Konstanz. Ein guter Tag kann den gesamten Saisonverlauf auf den Kopf stellen. Von einer verpatzten Tournee würde dann keiner mehr reden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort