Schlierenzauer stellt alles auf Null und kehrt zurück

Wisla · Der erfolgreichste Skispringer der Weltcup-Geschichte kehrt auf die Schanze zurück: Gregor Schlierenzauer feiert nach einjähriger Pause seine Rückkehr. Sein großes Ziel ist die Weltmeisterschaft Ende Februar in Finnland.

 Den lachenden Gregor Schlierenzauer hat man lange nicht gesehen. Der Skispringer versucht sich an einer Rückkehr. Foto: Karmann/dpa

Den lachenden Gregor Schlierenzauer hat man lange nicht gesehen. Der Skispringer versucht sich an einer Rückkehr. Foto: Karmann/dpa

Foto: Karmann/dpa

Gregor Schlierenzauer stapelt vor seiner Rückkehr lieber tief. "Michael Phelps hat eineinhalb Jahre gebraucht, um wieder ganz oben zu stehen", sagt der erfolgreichste Skispringer der Weltcup-Geschichte, der an diesem Wochenende im polnischen Wisla nach einjähriger Pause endlich auf die Schanze zurückkehrt. Wie einst Schwimm-Star Phelps bittet der 27-Jährige um Zeit: "Ich bin auch nur ein Mensch." Einer mit Ecken und Kanten wohlgemerkt.

"Schlieri" ist der größte Star unter Österreichs Skispringern, gleichzeitig aber auch ihr größtes Sorgenkind. Am heutigen Freitag ist es genau 376 Tage her, dass der sechsmalige Weltmeister die Notbremse zog. Am 3. Januar 2016 marschierte Schlierenzauer wie ein geprügelter Hund vom Bergisel. Auf Platz 33 war er auf seiner Heimschanze gehüpft - geflogen konnte man das nun wirklich nicht mehr nennen - und hatte das Finale verpasst. In Innsbruck, wo er zwei seiner Weltcupsiege gefeiert hatte, von denen er insgesamt 53 und damit mehr als jeder andere geholt hat, beendete er für sich ganz persönlich die Vierschanzentournee.

Entnervt, frustriert, lustlos - eine große Karriere in einer schmalen Sackgasse. Schlierenzauer, der Gläserne, litt sichtlich an Körper und Seele. Er nahm sich eine Auszeit, nicht die erste freilich, und kehrte seither nicht in den Weltcup zurück. Auch deshalb, weil im folgenden März ein beim Skifahren in Kanada erlittener Kreuzbandriss hinzukam. Schlierenzauer sprach von "Schlussstrich", von "Auszeit", von "unbestimmter Zeit", von "Reißleine" und dem belastenden "Rucksack". Dramatisch klang das, man konnte und musste sich um den in vielerlei Hinsicht fragilen Tiroler Sorgen machen - zumindest aber das endgültige Karriere-Ende erwarten.

Die doppelte Ruptur - im Knie und in der Psyche - nahm Schlierenzauer als Chance: Er drückte auf Reset, stellte alles auf Null. "Ich habe durch die Verletzung und meine Auszeit die Möglichkeit bekommen, nachzudenken, zu reflektieren und analysieren, zu lachen und zu weinen", schrieb er in seinem Internet-Blog: "Ich hatte Zeit, mich zu fragen: Wer bin ich, was kann ich, was macht mich aus? Keine einfachen Fragen." Ob Schlierenzauer Antworten gefunden hat? Hart gearbeitet hat er jedenfalls, an der Basis, im Stiftgymnasium Stams vor allem, wo seine sagenhafte Karriere einst ihren Anfang nahm. Mit 16 hatte er 2006 in Lillehammer seinen ersten Weltcupsieg gefeiert, mit 22 Jahren alle großen Titel des Skispringens gewonnen: Olympiasieger, Weltmeister, Skiflug-Weltmeister, Vierschanzentournee-Sieger, Weltcup-Gesamtsieger.

Damals, 2012, hätte Schlierenzauer aufhören können, auf dem Höhepunkt wie beispielsweise Biathletin Magdalena Neuner . Er wollte es nicht, er konnte es nicht. Skispringen sei schließlich "einfach extrem schön, das Gefühl in der Luft unbeschreiblich". Und es ging natürlich um Geld: Vor allem sein Helmsponsor, ein österreichischer Flügelgetränk-Hersteller, hatte Schlierenzauer zum Skisprung-Millionär gemacht. Nun, mehr als drei Jahre nach seinem letzten Weltcup-Sieg, gibt sich Schlierenzauer noch eine Chance, die wohl letzte. Es gibt viel zu gewinnen: Bei der WM ab Ende Februar in Lahti, bei Olympia 2018 in Südkorea, bei der WM 2019 im heimischen Tirol, in Seefeld. Zu verlieren gibt es vor allem eines: Ruhm. Denn der ist, wie Schlierenzauer, extrem zerbrechlich.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort