Scheider auf Schneiders Spuren

Saarbrücken. Beim zweiten Mal ist alles leichter. Timo Scheider, 30, wirkt locker und gelöst. Keine Spur von der Anspannung des Vorjahres, als der Audi-Werksfahrer in der Woche vor der Titel-Entscheidung in die Berge auf eine Alm flüchtete, das Handy ausschaltete und komplett abtauchte

Saarbrücken. Beim zweiten Mal ist alles leichter. Timo Scheider, 30, wirkt locker und gelöst. Keine Spur von der Anspannung des Vorjahres, als der Audi-Werksfahrer in der Woche vor der Titel-Entscheidung in die Berge auf eine Alm flüchtete, das Handy ausschaltete und komplett abtauchte. "2008 war der Druck enorm, denn ich wollte erstmals Meister werden", sagt Scheider: "Jetzt bin ich mental befreiter." Dabei kann er etwas schaffen, was in 25 Jahren DTM erst einem Fahrer - dem St. Ingberter Bernd Schneider 2001 - gelungen ist: die Titelverteidigung.

Scheiders Chancen sind groß: Auf Teamkollege Mattias Ekström hat er zwölf Punkte Vorsprung, Mercedes-Rivale Gary Paffett liegt 14 Zähler zurück. Mit einem zweiten Platz in Dijon an diesem Sonntag (14 Uhr/ARD) wäre Scheider Meister. Doch auch zwei fünfte Plätze in den beiden ausstehenden Rennen reichen. Vom Punktesammeln à la Jenson Button in der Formel 1 hält Scheider aber nichts: "Auf Sparflamme zu fahren, ist nicht mein Ding. Ich fahre so schnell wie möglich - die Denksportaufgabe, welcher Platz unter welchen Bedingungen reicht, überlasse ich der Boxenmannschaft."

Die Vorbereitung auf das möglicherweise entscheidende Rennen verlief wie bei allen anderen Rennen auch. "Funktionierende Systeme soll man nicht ändern", sagt Scheider. Dazu gehört auch ein Ritual. "Es mag für manche schwer verständlich sein: Aber bevor ich einsteige, versuche ich, zu meinem Auto eine Verbindung aufzubauen. Ich streichele den Dachrahmen drei Mal, lege meine Stirn drauf - und spreche kurz mit dem Auto."

Es scheint sich auszuzahlen. Ein ums andere Mal verblüfft Scheider seine Kontrahenten mit Raketen-Starts. Beim Saisonfinale 2008 katapultierte er sich so zum Titel, und auch in Barcelona vor drei Wochen ließ Scheider alle Kontrahenten an der Ampel einfach stehen. "Das ist nichts Besonderes", spielt Scheider die Starts herunter. "Wir haben Gas, Bremse, Kupplung. Alles ist eine Frage des Timings. Ich habe einfach eine gewisse Selbstsicherheit in dem Prozedere und ein gutes Gefühl für den Druckpunkt der Kupplung." Und eine blitzschnelle Reaktion. Die ist das Ergebnis langen Trainings, auch abseits der Rennpiste. Scheider lacht: "Ja, schon mit meinem Moped habe ich früher immer versucht, als Erster wegzukommen, wenn die Ampel grün wurde."

Sein Weg zum Erfolg war dennoch lang, jahrelang fuhr Scheider im unterlegenen DTM-Opel nur hinterher. Ein einziges Mal hatte er Siegchancen - doch dann zog ein Mechaniker beim Boxenstopp ein Rad nicht richtig an. Auch Formel-1-Träume platzten. 2005 schien seine Karriere fast schon beendet. Doch Scheider kam wieder aus der Sackgasse heraus. Und bog 2008 endlich in die Erfolgsspur. Nun scheint er zum Wiederholungstäter zu werden. Die Strecke in Dijon scheint ihm jedenfalls zu liegen: Bei Testfahrten vor der Saison fuhr Scheider Bestzeit. "Schnelle und mittelschnelle Kurven kommen unserem Auto entgegen", sagt der Audi-Pilot.

Schon nach dem Sieg in Barcelona gratulierte ihm Mercedes-Sportchef Norbert Haug zum Titel. Scheider lehnte ab. Gut möglich, dass Haug am Sonntag wieder kommt. "Bevor ich einsteige, streichele ich mein Auto."

DTM-Spitzenreiter Timo Scheider

Hintergrund

Die DTM ist erstmals in Dijon zu Gast. Der 3,8 Kilometer lange Kurs wurde 1972 eröffnet und ist mit einem Schnitt von 200 Stundenkilometern die schnellste Strecke im DTM-Kalender. Von 1974 bis 1984 war Dijon sechs Mal Austragungsort eines Formel-1-Rennens. wip

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