Schatten der Vergangenheit Die Milliarden-Geschäfte mit dem Sport

Berlin. Als Reformer des Fußball-Weltverbandes Fifa hat sich Joseph Blatter in den vergangenen Monaten präsentiert. Die Fifa solle demokratischer, transparenter, moderner werden, versprach der 76-Jährige im Mai. Der Präsident unterfütterte diese Haltung mit ein paar wenigen strukturellen Veränderungen

Berlin. Als Reformer des Fußball-Weltverbandes Fifa hat sich Joseph Blatter in den vergangenen Monaten präsentiert. Die Fifa solle demokratischer, transparenter, moderner werden, versprach der 76-Jährige im Mai. Der Präsident unterfütterte diese Haltung mit ein paar wenigen strukturellen Veränderungen. Mit großen Worten und kleinen Schritten wollte er eine korruptionsfreie Zukunft im Verband einläuten. Doch mit einer gerichtlichen Veröffentlichung, die Einblicke über Hintergründe und die wahrscheinliche Mitwisserschaft von Blatter an Schmiergeldzahlungen gewährt, dürfte dessen Rolle als Erneuerer wenig glaubhaft sein.Auf der Internetseite der Fifa gab Blatter gestern indirekt zu, von Zahlungen des Rechtevermarkters ISL an Funktionäre gewusst zu haben: "Solche Provisionen konnte man damals sogar von der Steuer absetzen, heute wären sie strafbar." Er könne also nicht von Verstößen gewusst haben, die keine waren.

Dennoch: Die Vergangenheit hat den Schweizer eingeholt. Er ist ein Meister des Verkaufens, auch von schlechten Nachrichten. Wer aber soll ihm und der Fifa abkaufen, dass sie über das Urteil des Schweizer Bundesgerichts, eine Einstellungsverfügung offenzulegen, "erfreut" sei, wie es auf der Internetseite steht? Selbstbewusst stellt die Fifa das Dokument der Staatsanwaltschaft auf ihre Internetseite - als handelte es sich um Entlastungsmaterial. Doch stehen darin Zahlen, bei denen einem schwindlig werden kann.

Laut Gericht bezahlte die 2001 insolvent gegangene ISL zwischen 1989 und 1998 "Provisionen von CHF 122'587'308.93". Zwischen 1999 und 2001 kamen weitere 37,4 Millionen Franken hinzu. Insgesamt schüttete sie fast 160 Millionen Franken - 130 Millionen Euro - an Provisionen aus. Zu Zahlungsempfängern gehörte das ehemalige Fifa-Exekutivmitglied Ricardo Teixeira sowie der frühere Fifa-Präsident Joao Havelange. Teixeira wird von der Staatsanwaltschaft der Empfang von über zwölf Millionen Euro nachgewiesen, Havelange von über 1,5 Millionen.

Die Staatsanwaltschaft kennzeichnet in ihrem nun veröffentlichten Urteil die Mitverantwortung und Mitwisserschaft der Fifa - auch die von Blatter: "Die Kenntnis der Fifa von Schmiergeldzahlungen an Personen ihrer Organe kann nicht infrage gestellt werden". Die Fifa sagt: "In seinem Urteil bestätigte das Gericht, dass nur Namen von zwei ausländischen Funktionären offengelegt werden und der Fifa-Präsident, wie bereits in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft festgehalten (keine Schweizer beteiligt), nicht in den Fall verwickelt ist."

Blatter als oberster Funktionär ist maßgeblich verantwortlich dafür, dass die ISL-Einstellungsverfügung erst so spät offengelegt wurde. So hätte die Fifa als betroffene Partei die Veröffentlichung jederzeit selbst vornehmen können. Blatter gerät in Erklärungsnot - zumal transparente Verfahren in seinen Reformvorhaben einen wichtigen Platz einnehmen. Überhaupt hätte für ihn und die Fifa der Zeitpunkt der Veröffentlichung ungünstiger kaum sein können. Am Dienstag soll das neue Ethikreglement verabschiedet werden. Wenn Blatter Wort halten und die Fifa modernisieren will, müssten darin Formulierungen enthalten sein, die für ihn selbst Konsequenzen nach sich ziehen müssten.Hamburg. Vier Milliarden Euro Umsatz von 2007 bis 2010, 209 Mitgliedsverbände mit tausenden Funktionären rund um den Erdball, Steigerungsraten von 30 bis 50 Prozent von Turnier zu Turnier: Allein diese Zahlen lassen erahnen, dass der Welt-Fußballverband (Fifa) ein Problem mit der Lauterkeit seiner Geschäftspraktiken haben könnte. Seit Mittwoch ist gerichtlich dokumentiert, dass das Problem in höchste Führungszirkel reichte. Der frühere Fifa-Präsident Joao Havelange und sein Ex-Schwiegersohn Ricardo Teixeira aus Brasilien haben in den 90er-Jahren Schmiergeldzahlungen über mindestens 14,2 Millionen Schweizer Franken von der Marketingagentur ISL eingestrichen. Das haben Ermittlungen in der Schweiz, dem Sitz der Fifa, ergeben. Nun hat die Fifa den Beschluss veröffentlicht, nachdem ein Gericht den Einspruch der zwei beschuldigten Funktionäre abgewiesen hatte.

Fifa-Präsident Joseph Blatter gerät durch die Veröffentlichung in Bedrängnis: Der Schweizer Jurist diente Havelange 17 Jahre lang als Generalsekretär und löste ihn 1998 ab. Er muss von den Zahlungen gewusst haben, was der Ermittlungsbericht auch bestätigt.

1992, als laut Akten die ersten Schmiergelder flossen, begann Fußball richtig zu boomen. TV-Rechte, neben Sponsoren und Merchandising Haupteinnahmequelle der Fifa, wurden immer teurer verkauft. Zwischenhändler der Rechte war die Firma "International Sport and Leisure" (ISL), 1982 vom Adidas-Chef Horst Dassler gegründet und bis zum Konkurs 2001 mächtigster Rechtehändler in der Welt des Sports. Die nach Dasslers Tod 1987 zunehmend zerstrittene ISL-Führung übernahm sich bei den immer teureren Rechten und hinterließ 2001 Milliarden-Schulden.

Die Pleite der ISL, die unter wechselnden Firmierungen und Besitzverhältnissen mit Fifa, Internationalem Olympischen Komitee (IOC) und vielen Sportverbänden Verträge hatte, zog Prozesse nach sich, die Einblicke, aber ohne Namen und in der Regel ohne Strafen, in die Geschäftsmethoden erlaubten. Korruption in Verbänden beruhte auf "Kickback-Zahlungen": Ein Funktionär ermöglicht ein Geschäft und erhält einen Anteil am erwarteten Gewinn, oft kaschiert über Firmengeflechte und Stiftungen. In den 90er-Jahren soll die ISL so über 100 Millionen Franken Schmiergeld gezahlt haben.

Die Anfälligkeit von Fifa und IOC für Korruption liegt in ihrer Struktur: Beide sind als Vereine nach Schweizer Recht eingetragen und unterliegen kaum externer Aufsicht. Beide konstituieren sich aus je rund 200 Mitgliedsländern, die Stimmrecht ungeachtet ihrer Größe haben. Es ist vielfach dokumentiert, dass Wählerstimmen gegen Vergünstigungen gehandelt wurden. Lizenz- und Marketingrechte lieferten dafür perfekte Instrumente. Im Handel mit Medienrechten haben Fifa und IOC reagiert: Das IOC seit Mitte der 90er, die Fifa seit 2006, vertreiben ihre Lizenzen überwiegend selbst. dapd

Foto: gostoli/dapd

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