Ruhestand statt Wettkämpfe

Aachen · Der Wunderhengst Totilas ist im Sport Geschichte. Das teuerste Dressurpferd der Welt wird künftig nur noch als Deckhengst zum Einsatz kommen. Die jüngste Verletzung machte seine sportliche Karriere zunichte.

Der Wunderhengst tritt von der großen Bühne ab: Nach seinem Aus bei der Reit-EM in Aachen wegen eines Knochenödems am linken Hinterbein wird das teuerste Dressurpferd der Welt nicht mehr in den Sport zurückkehren. Das beschlossen die Besitzerfamilie Rath/Linsenhoff sowie Mitbesitzer Paul Schockemöhle . Das Aus war wegen der Schwere der Verletzung erwartet worden.

"Aufgrund dieser erneuten Verletzung haben wir gemeinsam eine Entscheidung gegen den aktiven Sport getroffen. Totilas wird in Zukunft nicht mehr in den Turniersport zurückkehren", hieß es. Der Rapphengst solle auf dem Anwesen der Linsenhoffs in Kronberg bei Frankfurt seine Verletzung ausheilen und einen "sanften Übergang" in den Ruhestand erhalten.

Nur noch Deckhengst

Soweit wie möglich soll das in den Niederlanden gezogene Ausnahmepferd weiterhin als Deckhengst bei Paul Schockemöhle zur Verfügung stehen. Europas größter Pferdehändler hatte den Hengst 2010 dem niederländischen Reiter Edward Gal für zehn Millionen Euro abgekauft. Ein Deckeinsatz des Hengstes kostet Züchter 4000 Euro, im Erfolgsfall werden 4000 weitere Euro fällig.

Die Sportrechte an dem 15 Jahre alten Pferd erwarb die Familie Rath/Linsenhoff für rund fünf Millionen Euro. Sohn Matthias Rath übernahm Ende 2010 als Reiter den Hengst, dessen Stern bei der WM 2010 in Kentucky/USA mit dreimal Gold aufgegangen war. Rath konnte jedoch nie die Erfolge von Gal bestätigen und gewann bei Championaten einmal Teamsilber 2011 bei der EM in Rotterdam und jetzt Mannschaftsbronze in Aachen .

Dass nun das Aus kam, war nicht mehr überraschend. Nach dem Teamwettbewerb bei der EM in Aachen am vergangenen Donnerstag war bekannt geworden, dass Totilas ein Knochenödem erlitten hatte. Kritik kam auf, weil es Anzeichen gab, dass das Tier verletzt in den Wettkampf geschickt worden sei. Rath und der deutsche Verband bestritten dies bis zuletzt. Vielleicht aber hatte auch die heftige und negative Debatte in der Öffentlichkeit Einfluss auf die Entscheidung der Besitzer.

Die Familie Rath/Linsenhoff war sich bei ihrer Entscheidung offenbar bewusst, wir groß die Enttäuschung bei vielen Dressurfans sein würde. "Wieviel der Dressursport diesem Hengst zu verdanken hat, ist schwer in Worte zu fassen. Noch nie zuvor hat ein Dressurpferd solche Massen, ob pferdeaffin oder nicht, ob jung oder alt, begeistert und berührt", hieß es in der Mitteilung. Totilas hatte die Menschen vom ersten Auftritt an fasziniert und gerührt. Sein außerordentliches Vermögen im Viereck und vor allem seine enorme Ausstrahlung fesselten Pferdefreunde wie Laien auf der ganzen Welt gleichermaßen. Nach der WM 2010 wurde er wie ein Popstar gefeiert und zum "Michael Jackson der Dressur" getauft. Man konnte Schals, Kaffeetassen und Futternäpfe mit seinem Konterfei kaufen.

"Die Entscheidung ist schwer gefallen, aber wir halten diesen Schritt für klug und richtig. Leider stand die gemeinsame sportliche Karriere von Matthias Rath und Totilas von Beginn an unter keinem glücklichen Stern", sagte Sportdirektor Dennis Peiler vom deutschen Reit-Verband (FN): "Wir wünschen dem Pferd schnelle Genesung und Matthias, dass er mit seinen Nachwuchspferden den Anschluss an die Spitze bald herstellen kann." Nach einer Seuchen-Saison wollen die deutschen Springreiter beim EM-Heimspiel Gold gewinnen. "Wir fangen jetzt wieder bei null an", sagte Bundestrainer Otto Becker vor den ersten Ritten seines Quartetts am heutigen Mittwoch in Aachen : So erfolglos wie zuletzt waren die deutschen Springreiter schon lange nicht mehr. Nach der verpassten WM-Medaille 2014 gelang in der laufenden Saison kein einziger Sieg in der Nationenpreis-Serie, und die verpasste Qualifikation für das Final-Turnier ist fast schon peinlich.

Die Enttäuschungen haben sich aufgestaut. Nach dem klar verpassten Sieg im Heim-Nationenpreis in Mannheim war Ludger Beerbaum der Kragen geplatzt. "Das kann nicht mit Pech begründet werden", kritisierte der erfolgreichste Reiter der letzten 30 Jahre: "Wir kriegen es seit langem nicht mehr hin." Der 51-Jährige forderte mit Blick auf die EM: "Es muss jetzt mal ein Ruck durch uns gehen. Wir müssen uns zusammenreißen." "Ich bin froh, dass Ludger das gesagt hat", kommentierte Becker die deutlichen Worte: "Er hat ausgesprochen, was alle gedacht haben."

Neben den jüngsten Misserfolgen sorgt die Erwartungshaltung bei einer EM im eigenen Land für zusätzlichen Druck. "Aber das darf keine Rolle spielen", sagte der Bundestrainer: "Das sind ja alles erfahrene Reiter." Jeder hat schon mal den Weltcup gewonnen, und jeder war schon mal Erster der Weltrangliste. Beerbaum hat wie Christian Ahlmann und Meredith Michaels-Beerbaum bereits goldene Medaillen im Einzel und in der Mannschaft gewonnen. Daniel Deußer, mit 34 Jahren der Jüngste, ist der einzige Reiter im Gastgeber-Team, der noch keinen EM-Sieg in seiner Vita stehen hat.

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