Tennis Ringen um eine radikale Reform

Orlando · Der traditionsreiche Davis Cup steht vor dem Aus. Heute wird über eine historische Änderung abgestimmt.

 5. Dezember 2010: Serbien mit Topspieler Novak Djokovic (untere Reihe, Mitte) geiwnnt erstmals den Davis Cup. Die Spieler und einige Funktionäre lassen sich nach dem Finalsieg gegen Frankreich Glatzen rasieren.

5. Dezember 2010: Serbien mit Topspieler Novak Djokovic (untere Reihe, Mitte) geiwnnt erstmals den Davis Cup. Die Spieler und einige Funktionäre lassen sich nach dem Finalsieg gegen Frankreich Glatzen rasieren.

Foto: dpa/Srdjan Suki

Hartford im US-Bundesstaat Connecticut. Es ist der 24. Juli 1987. 6:39 Stunden stehen sich Boris Becker und John McEnroe im Davis Cup gegenüber. Es ist kein Finale, kein Halbfinale, sondern „nur“ ein Relegationsspiel. Aber ein Kampf ums nackte Überlegen. McEnroe reizt Becker immer wieder mit Psychospielchen, die Atmosphäre ist extrem aufgeheizt. Am Ende setzt sich Becker in der historischen Partie mit 4:6, 15:13, 8:10, 6:2, 6:2 durch. Allein der zweite Satz dauert zweieinhalb Stunden. „Es war das größte Match, das ich je gespielt habe“, sagt Becker später.

Mit einer Deutschland-Fahne dreht Becker am nächsten Tag, nach dem Sieg gegen Tim Mayotte und dem festehenden 3:2-Erfolg, ein paar Ehrenrunden im „feindlichen Hartford“. Teamkameraden und Landsleute jubeln ihm zu, der Rest der Halle ist still. Die USA muss zum ersten Mal aus der Weltgruppe absteigen. Es ist Davis Cup pur, was sich damals im Hexenkessel von Hartford abspielt.

Doch Szenen wie diese sind rar geworden. Und geht es nach den Plänen des Tennis-Weltverbandes ITF, wird es solche in Zukunft auch nicht mehr geben. Vom kommenden Jahr an will ITF-Boss David Haggerty den traditionsreichen Teamwettbewerb komplett umkrempeln. Statt über drei Gewinnsätze soll es pro Partie nur noch über zwei Gewinnsätze gehen, statt vier Einzeln und einem Doppel soll es nur noch zwei Einzel und ein Doppel geben.

Der größte Einschnitt ist allerdings im Modus geplant. Denn nach einer Vorrunde im Februar mit Heim- und Auswärtspartien nach altem Muster qualifizieren sich zwölf Teams für eine Finalwoche, die im November am Ende der Tennis-Saison an einem neutralen Ort ausgetragen wird. 18 Teams sollen dann zunächst in sechs Dreiergruppen und danach im K.o.-System den Champion ausspielen. Es ist nichts anderes als eine Davis-Cup-Revolution, die Haggerty und seine Mitstreiter da planen. „Wir sichern damit die Zukunft des Davis Cups“, sagt Haggerty: „Die Spieler reden schon jetzt über einen Erfolg im Davis Cup so wie über einen Grand-Slam-Titel. Das wird nach der Reform noch viel mehr so sein.“

In der von Fußballstar Gerard Piqué geführten Investmentfirma Kosmos hat Haggerty einen potenten Sponsor gefunden, der drei Milliarden Dollar für 25 Jahre verspricht, wenn die Vertreter heute auf der Generalversammlung des Weltverbandes in Orlando/Florida über das ehrgeizige Projekt abstimmen. „Geld, das den nationalen Verbänden zugute kommt, um in die Entwicklung des Tennissports auf der ganzen Welt zu investieren“, sagt Haggerty in bester Werbesprache.

Der Amerikaner benötigt eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Reform. 147 Nationen dürfen abstimmen, je nach Größe des Verbandes ist die Anzahl der Stimmen verteilt. Deutschland als immer noch größter Verband der Welt besitzt wie die Veranstalter-Nationen der vier Grand-Slam-Turniere zwölf Stimmen – und wird diese gegen die Pläne einsetzen. „Wir werden definitiv dagegen stimmen“, sagt DTB-Boss Ulrich Klaus: „Weil wir finden, dass so der Geist des Davis Cups komplett verloren geht.“

Vor allem die Tatsache, dass es nur noch in der Vorrunde Heim- und Auswärtsspiele gibt, stößt in Deutschland auf Ablehnung. „Wir wollen auch weiterhin die Möglichkeit haben, den Tennisfans in Deutschland unsere besten Spieler zu präsentieren“, sagt Klaus. Darüber hinaus ist für den DTB-Präsidenten beim Deal mit Kosmos noch vieles unklar: „Uns liegen nach wie vor nicht alle Informationen vor.“

Unterstützung bei seiner ablehnenden Haltung findet der DTB bei einigen Verbänden in Europa, vor allem aber in Australien. Denn erst vor einigen Monaten haben die Australier zusammen mit der Herren-Tour ATP die Wiedergeburt des World Team Cups publik gemacht, der viele Jahre im Düsseldorfer Rochusclub stattfand. Von 2020 an sollen Anfang Januar 24 Nationen den inoffiziellen Mannschafts-Weltmeister ermitteln – nur zwei Monate nach der geplanten neuen Davis-Cup-Woche. Dass das nicht funktionieren wird, ist allen klar. Der Machtkampf beginnt.

„Dass der Davis Cup Reformen bedarf, wissen wir. Aber die radikale Variante, die jetzt auf dem Tisch liegt, kann nicht die Lösung sein“, sagt Klaus, der seit dem Wochenende in Florida weilt und bis zur Abstimmung noch Überzeugungsarbeit leisten will. „Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, weitere Nationen auf unsere Seite zu ziehen“, sagt der DTB-Präsident.

Die Franzosen zum Beispiel. Der frühere Weltklassespieler Yannick Noah malt bereits ein düsteres Szenario und hat sich via Twitter vorab schon bei dem längst verstorbenen „Erfinder“ des Davis Cups, Dwight Filley Davis, entschuldigt: „Sie verkaufen die Seele eines historischen Wettbewerbs. Es tut mir leid.“

 DTB-Präsident Ulrich Klaus ist strikt gegen die Reform.

DTB-Präsident Ulrich Klaus ist strikt gegen die Reform.

Foto: dpa/Axel Heimken

Aber es gibt auch Befürworter der Reform – etwa die Stars Rafael Nadal und Novak Djokovic. „Niemand von den Topspielern kann sich vier Wochen im Jahr für sein Land zur Verfügung stellen. Das war früher anders, da gab es weniger Turniere, aber heute geht das nicht mehr“, sagt der Serbe Djokovic. Er selbst triumphierte mit seinem Land 2010 im Davis Cup. Vor 16 000 Zuschauern in Belgrad. Und ließ sich unmittelbar nach dem Finale, wie alle anderen Teamkollegen auch, eine Glatze rasieren. Auch das ist Davis Cup.

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