"Rasten kann ich, wenn ich tot bin"

Saarbrücken. "Was ist Heimat?" Lutz Pfannenstiel zögert. Kann einer überhaupt eine Heimat haben, der in den letzten 19 Jahren für über 20 Vereine auf sechs verschiedenen Kontinenten gespielt hat? Manchmal so kurz, dass es kaum lohnte, sich eine feste Wohnung zu suchen

 Lutz Pfannenstiel hat auf sechs Kontinenten im Tor gestanden und dementsprechend viel zu erzählen. Das tat er im Rahmen der Trainerfortbildung des Saarländischen Fußballverbandes. Foto: dpa

Lutz Pfannenstiel hat auf sechs Kontinenten im Tor gestanden und dementsprechend viel zu erzählen. Das tat er im Rahmen der Trainerfortbildung des Saarländischen Fußballverbandes. Foto: dpa

Saarbrücken. "Was ist Heimat?" Lutz Pfannenstiel zögert. Kann einer überhaupt eine Heimat haben, der in den letzten 19 Jahren für über 20 Vereine auf sechs verschiedenen Kontinenten gespielt hat? Manchmal so kurz, dass es kaum lohnte, sich eine feste Wohnung zu suchen. Und selbst bei den Vereinen, wo er Zeit gehabt hätte, sich vielleicht heimisch zu fühlen, brach er spätestens nach ein oder zwei Jahren die Zelte ab.

"Heimat", setzt der 37-Jährige wieder an - und trotz all der Jahre fern dieser Heimat ist der tief-bayerische Akzent nicht zu überhören: "Heimat ist für mich nicht orts-, sondern personengebunden. Das ist dort, wo meine Eltern sind, in Zwiesel." Also nicht die brodelnde Metropole Singapur oder die warmen Gefilde Brasiliens, wo er beim CA Hermann Aichinger seinen Rekord als erster Spieler, der auf allen Kontinenten gespielt hat, vollendete. Sondern das beschauliche Zwiesel in Bayern - dort, wo man einen wie ihn wohl weniger Globetrotter, sondern etwas altbacken Wandervogel nennen würde. "Ich freue mich immer, wenn ich bei meinen Eltern bin. Vielleicht ist das auch ein wenig nachholen nach den letzten 19 Jahren", sagt Pfannenstiel.

Angefangen hat alles bei Penang FA in Malaysia, seiner ersten Station im Ausland als damals 20-Jähriger. Er weiß nicht, ob er den Schritt rückblickend bereuen soll, statt als hoffnungsvolles Talent zum FC Bayern lieber in die Fremde gegangen zu sein: "Natürlich fragt man sich immer, ob man die richtige Wahl getroffen hat." Es folgten Transfers zu Namenlosen wie Haka Valkeakoski in Finnland, Dunedin Technical in Neuseeland oder Vllaznia Shkodra in Albanien, aber auch ein Gastspiel bei Nottingham Forest. Auf den Philippinen saß Pfannenstiel, der 1996 im Saarland gelandet wäre, hätte ihm die SV Elversberg nicht abgesagt, wegen angeblicher Wettmanipulationen für dreieinhalb Monate im Gefängnis, andernorts war er Zeuge, als sein Clubpräsident einen Schiedsrichter verprügelte. Es waren auch immer gänzlich neue Kulturen, in die er sich einfühlen musste.

Eines blieb ihm jedoch - auch wegen seiner selbst gewählten Unrast und Entfernung zum europäischen Mittelpunkt der Fußball-Welt - lange verwehrt: die Anerkennung als Fußballer. Im Ausland war er der Ausländer, in Fußball-Deutschland immer der Exot, der angesichts seines Anekdoten-Schatzes gern gesehener Gesprächsgast war, aber als Sportler lange nicht ernst genommen wurde.

Doch je mehr sich der Fußball globalisierte, desto mehr gewann sein Erfahrungsschatz an Bedeutung: "Durch die Globalisierung haben sich die Perspektiven auch im Fußball verschoben und sind vielschichtiger geworden. Und Perspektiven habe ich genug", sagt Pfannenstiel.

Doch noch hält es ihn in der Fremde, die für ihn schon lange nicht mehr fremd ist. Er arbeitet in Namibia als Sportdirektor bei den Ramblers und als Torwarttrainer der Nationalmannschaft. Hinzu kommt sein Engagement gegen den Klima-Wandel, die Trainer-Ausbildung beim Deutschen Fußball-Bund und die Tätigkeit als TV-Experte. Also wieder oder besser gesagt immer noch der rastlose Lutz Pfannenstiel, der zwischen Europa und dem Rest der Welt pendelt: "Natürlich ist das Stress, und manchmal denke ich mir, dass es zu viel wird. Aber rasten kann ich immer noch, wenn ich tot bin."

Es wird ihn weitertreiben, in immer neue Länder und Kulturen, in neue Stadien, neue Vereine, neue Umkleidekabinen. Und vielleicht zieht es ihn irgendwann wieder ganz nach Deutschland. Er hat einmal gesagt, dass es sein Traum wäre, einmal in Deutschland als Trainer zu arbeiten: "Irgendwann vielleicht." Auszuschließen ist es nicht. Etwas auszuschließen, das scheint bei Pfannenstiel ohnehin auszuschließen zu sein.

Auf einen Blick

Lutz Pfannenstiel war in dieser Woche im Rahmen der Trainerfortbildung des Saarländischen Fußballverbands als Gastdozent in Saarbrücken. Zu Stande gekommen war der Kontakt über Verbandstrainerin Margret Kratz, die 2009 Frauen und Mädchen in Namibia trainierte, ihn vor Ort kennen lernte und mit ihm zusammenarbeitete. jbö

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