„Phänomen“ lässt Italien träumen

Besançon · Vincenzo Nibali scheint bei der Tour de France nach dem Sturz-Aus von Alberto Contador unantastbar. Schon vor den ersten Hochgebirgsetappen ist im Kampf um das Gelbe Trikot eine Vorentscheidung gefallen.

Am Ende seiner Triumphfahrt nahm Vincenzo Nibali den rechten Daumen in den Mund und schickte eine Liebesbotschaft an seine kleine Tochter. "Meine Frau hat mir gesagt, dass Emma ganz ruhig wird und die Augen weit aufreißt, wenn sie meine Stimme im Fernsehen hört", erklärte der Italiener nach dem fulminanten Sieg auf der zehnten Etappe der 101. Tour de France . In den kommenden Tagen darf sich Rachele Nibali im heimischen Lugano auf weitere Unterstützung in der Betreuung des knapp fünf Monate alten Säuglings einstellen. Denn Nibali, der neue alte Träger des Gelben Trikots , ist beim wichtigsten Radrennen der Welt ein viel gefragter Mann.

Daran dürfte sich bis auf weiteres auch nichts ändern. Nibali hat sich vom Podestkandidaten zum absoluten Top-Favoriten auf den Tour-Gesamtsieg gemausert. Nach den sturzbedingten Ausfällen der beiden Top-Favoriten Christopher Froome und Alberto Contador wirkt der Kapitän des Astana-Teams unantastbar, die verbleibenden Gegner scheinen dagegen kaum konkurrenzfähig. "Meine Leistung war auf einem sehr hohen Niveau, vergleichbar mit der beim Giro 2013", sagte Nibali nach seiner Vorstellung zur Bergankunft in La Planche des Belles Filles.

Im Vorjahr gewann Nibali die Italien-Rundfahrt, nun machen sich die radsportverrückten Tifosi berechtigte Hoffnungen auf den ersten heimischen Tour-Sieger seit Marco Pantani , der 1998 erfolgreich war. "Italien kann endlich träumen", schrieb die Gazzetta dello Sport und beschwor das Ende der 16 Jahre währenden Durststrecke. "Nibali, Phänomen bei der Tour! Jetzt hat er das Rennen in der Hand", schrieb Tuttosport, und La Repubblica kam zu einem durchaus treffenden Schluss: "Nibali ist nach Contadors Rückzug ohne Rivalen."

Mit einer beeindruckenden Attacke zog der "Hai von Messina" auf der bis zu 20 Prozent steilen Rampe ins Ziel seinen Rivalen davon zu seinem zweiten Tagessieg bei der Tour 2014. Präsentiert sich Nibali im Hochgebirge ähnlich souverän, ist das Rennen um den Tour-Sieg so gut wie gelaufen. Spätestens nach den Alpen droht dann statt des erhofften Spektakels im Kampf um Gelb Langeweile. Der Australier Richie Porte (Sky) hat als Zweiter des Gesamtklassements nach der zehnten Etappe 2:23 Minuten Rückstand, auf Rang drei folgt der Spanier Alejandro Valverde (Movistar/2:47). "Es ist eine Schande, dass die Tour zwei Hauptdarsteller verloren hat", sagte Nibali, der vor allem mit Contador, dem am Montag bei einem Sturz das rechte Schienbein brach, mitfühlte: "Ich wünsche ihm nur das Beste."

Trotz der guten Ausgangslage versuchte Nibali, die hohen Erwartungen zu dämpfen. "Ich werde versuchen, das Gelbe Trikot zu behalten, aber ich bin nicht ohne Rivalen. Ich muss vorsichtig sein", sagte der 29-jährige Sizilianer. Gelingt ihm dies, und davon ist nach derzeitigem Stand auszugehen, kann Emma Nibali ihren Vater in knapp zwei Wochen als Tour-Sieger sprechen hören. Vielleicht sogar vor Ort, in seinen Armen auf den Champs-Élysées in Paris.

Der viermalige Zeitfahr-Weltmeister Fabian Cancellara (Schweiz) ist gestern aus der Tour ausgestiegen. Der dreimalige Paris-Roubaix-Sieger war mit dem Ziel angereist, die Kopfsteinpflaster-Etappe nach Arenberg zu gewinnen, hatte dies aber verfehlt.

letour.fr

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