Perfektion ist Jungs einzige Chance

Berlin · Laura Jung wird am kommenden Donnerstag in Rio de Janeiro antreten. Will die Gymnastin vom TV St. Wendel dort auch im Sommer bei den Olympischen Spielen starten, muss sie einen perfekten Vierkampf abliefern.

"Ich mache mir keinen Stress und gehe die Sache ganz locker an", sagt Laura Jung vor dem größten Abenteuer ihres Sportlerlebens. Sie wirkt erstaunlich cool. Nach zwei intensiven Trainingswochen in Kienbaum wird die Gymnastin vom TV St. Wendel am Montagabend mit der Nationalmannschaft der Rhythmischen Sportgymnastik von Berlin nach Rio de Janeiro fliegen. Dort will sie am Donnerstag um einen Startplatz bei den Olympischen Sommerspielen kämpfen.

Weil die deutschen Gymnastinnen die direkte Qualifikation bei der WM 2015 in Stuttgart verpassten, wollen es die Einzelstarterinnen und die Nationalgruppe nun beim vorolympischen Test im zweiten Anlauf richten. "Im Einzel ist ein Platz unter den besten Sechs nötig. Es müsste aber ein kleines Wunder geschehen, wenn ich da oben reinrutsche", sagt die 13-malige deutsche Meisterin. Sie macht sich nichts vor. Nur wenn sie den perfekten Vierkampf turnt, könnte es klappen.

Doch die Konkurrenz ist groß, international und im eigenen Lager. Jana Berezko-Marggrander ist die zweite deutsche Starterin - und die Trainingspartnerin am Bundesstützpunkt in Fellbach-Schmiden, wo Jung seit acht Jahren lebt, zur Spitzenathletin reifte und gerade auch ein Praktikum absolviert. Die in Moskau geborene Freundin der Saarländerin hat die jahrelang unangefochtene Nummer eins von der Spitze verdrängt. Nur selten schafft es Jung noch, die deutsche Meisterin in einem Wettkampf zu bezwingen. Aber genau das muss ihr in Rio de Janeiro gelingen. Das Problem: Es kann sich pro Land nur eine Athletin qualifizieren. Eine Top-Platzierung allein würde also nicht reichen - Jung muss auch beste Deutsche werden.

Früher gelang ihr das bei bedeutenden Turnieren oft. Auch bei der WM 2011 in Montpellier, wo sie für Deutschland einen Startplatz für die Pre-Olympics in London ergatterte. Nach dem größten Erfolg folgte im Januar 2012 die größte Enttäuschung. Jungs Ticket für die Olympia-Qualifikation löste Berezko-Marggrander ein, die vom Verband nach der nationalen Ausscheidung den Zuschlag bekam. "Jana konnte ja nichts dafür, aber ich war so fertig, dass ich alles hinschmeißen wollte", erinnert sich Jung an damals. Nach kurzer Bedenkzeit machte sie aber weiter und griff wieder zu den geliebten Keulen. "Das ist mein Lieblingsgerät", erklärt sie.

Diesmal dürfen zwei Deutsche um das Olympia-Ticket kämpfen, aber nur eine kann es packen. Und Jung gilt nicht als Favoritin. "Es müsste alles glatt laufen, aber in diesem perfektionierten Sport liegen alle eng zusammen. Jeder Fehler wird bestraft", sieht sie eine kleine Chance. Vermutlich ist es auch ihre letzte Olympia-Chance. Mit 20 Jahren zählt sie zu den älteren Gymnastinnen. "Ich habe noch nichts entschieden, aber ich denke, die Karriere neigt sich so langsam dem Ende zu", sagt Jung, die es in Rio de Janeiro noch einmal wissen will. Der geringe Erwartungsdruck ist sicher ein Grund für die Coolness. Dies könnte ein Plus sein. "Ich möchte alles fehlerfrei durchturnen - für mich. Wenn es mit Olympia klappt, wäre es ein Traum. Wenn nicht, dann war die Reise nach Rio eben das kleine Olympia für mich", sagt Jung und startet in ihr Brasilien-Abenteuer - hochmotiviert und ganz locker.

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