Pechsteins siebter Prozess könnte historische Dimensionen erreichen

Berlin · Der Gerichts-Marathon von Claudia Pechstein erreicht die siebte Instanz. Der Bundesgerichtshof verhandelt heute darüber, ob er ihre Schadenersatzklage über fünf Millionen Euro gegen den Eislauf-Weltverband zulässt.

 Für Claudia Pechstein geht es vor Gericht um ihren Ruf – und um fünf Millionen Euro, die sie als Schadenersatz fordert. Foto: Stache/dpa

Für Claudia Pechstein geht es vor Gericht um ihren Ruf – und um fünf Millionen Euro, die sie als Schadenersatz fordert. Foto: Stache/dpa

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Die Zeitung "New York Times" schreibt von erwarteten "Schockwellen" für die Sportgerichte. Der Rechtsstreit zwischen der Eisschnell-Lauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein und dem Eislauf-Weltverband ISU vor dem Bundesgerichtshof (BGH) könnte Wirkung weit über Karlsruhe hinaus haben. Die ISU hatte im Januar 2015 den Prozess am Oberlandesgericht (OLG) München verloren und wandte sich mit ihrer Revision an den BGH in Karlsruhe, wo heute ab elf Uhr eine Verhandlung mit möglicherweise historischer Tragweite stattfindet.

Die 44 Jahre alte Berlinerin will nicht nur ihre Chance auf fünf Millionen Euro Schadenersatz für ihre Dopingsperre ohne positiven Befund erhöhen, sondern damit die internationale Sportgerichtsbarkeit auf den Kopf stellen. "Normalerweise rechne ich immer mit dem Schlimmsten, weil ich vor Gericht öfter mal verarscht worden bin. Diesmal bin ich aber guter Dinge", sagte Pechstein. Sie habe schon schlaflose Nächte gehabt, schilderte Matthias Große die angespannte nervliche Lage seiner Lebensgefährtin.

Rückenwind erhält Pechstein von Sportrechtlern. "Das OLG-Urteil halte ich für richtig. Und richtige Urteile sollten auch vor dem BGH halten", sagte Michael Lehner. "Sportgerichte bleiben unersetzbar, aber sie müssen ausgewogener entscheiden", sagte Lehner - und forderte Reformen im internationalen Sportgerichtshof CAS. Es könne nicht sein, dass der Vorsitzende Richter vom CAS selbst bestimmt wird und Urteile der Zustimmung des CAS-Generalsekretärs obliegen.

Mario Merget von der Berliner Kanzlei "CMS Hasche Sigle", der seine Dissertation zum Sportrecht schrieb, hält ein Urteil pro Pechstein für realistisch. Er warnt aber, dass "durch die Wahlmöglichkeit zwischen Sport- und Zivilgerichten eine einheitliche Doping-Rechtsprechung auf Jahre kompliziert" würde.

Seit 2009 war Pechstein vor Sportgerichten und dem Schweizer Bundesgericht unterlegen. Nun geht es vor der höchsten Zivilgerichts-Instanz Deutschlands um die Neuaufnahme des Falles vor dem OLG München. "Uns geht es darum zu zeigen, dass Sportler nicht Menschen zweiter Klasse sind", bekräftigte Rechtsbeistand Thomas Summerer. "Ich war nie ganz pessimistisch, aber die Ausgangslage war verkorkst durch unsägliche Entscheidungen der Schweizer Sportgerichte", sagte Summerer, der Sprinterin Katrin Krabbe vor 15 Jahren in einem Prozess gegen den Leichtathletik-Weltverband vertrat - und 1,5 Millionen Mark für sie erstritt.

Historische Dimensionen erkennen auch von der "New York Times" befragte Experten im ersten Doping-Prozess des BGH. "Das wird einen ebensolchen Effekt haben wie die Bosman-Entscheidung", sagte Richard Ings, Ex-Leiter der australischen Anti-Doping-Agentur. 1995 hatte die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Fall des belgischen Profis die Transfer-Modalitäten im Fußball revolutioniert. Eine BGH-Entscheidung zugunsten der Sportlerin würde "definitiv Schockwellen durch die Sportschiedsgerichtsbarkeit senden". Pechstein erklärte, dass ihr "hinter vorgehaltener Hand" von der ISU-Spitze bestätigt worden sei, dass "man sich geirrt hat. Doch niemand hat den Mut, diesen Fehler einzugestehen". Die ISU hatte Pechstein 2009 per indirektem Beweis gesperrt, weil sie ihre schwankenden Blutwerte als Indiz für Doping einschätzte. Vor drei Jahren führten internationale Hämatologen den Nachweis, dass ihre Retikulozyten-Werte durch eine geerbte Anomalie begründet sind.

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