Paralympics im Phantasialand

Sotschi · Im Schatten der Krim-Krise beginnen morgen in Sotschi die Paralympics. Längst hat die Veranstaltung durch Wladimir Putins Kriegsspiele Schaden genommen, der Sport ist längst in den Hintergrund gerückt.

Natürlich lässt Wladimir Putin sich diesen Auftritt nicht nehmen. Der Präsident der russischen Föderation wird morgen in Sotschi höchstpersönlich die Paralympics eröffnen - ungeachtet der Tatsache, dass mutmaßlich russische Einheiten ohne Hoheitsabzeichen seit Tagen die ukrainische Halbinsel Krim im Nordwesten von Sotschi kontrollieren. "Natürlich hat das die Paralympics längst erreicht", sagte Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS).

Das Wort "Boykott" macht seit Tagen die Runde, doch davon will Beucher aus Sicht der deutschen Delegation nicht sprechen. Allerdings behält sich der DBS Konsequenzen vor. "Wir dramatisieren nichts, analysieren nüchtern und bewerten die Sachlage jeden Tag neu", sagte Beucher, der von Putin erwartet, "dass er den Olympischen Frieden wahrt und die Olympische Charta achtet".

Den planmäßigen Ablauf der Paralympics durch einen Boykott zu gefährden, nennt Putin "den Gipfel des Zynismus". Die Paralympics seien "ein internationales Sportereignis, bei dem Menschen mit Behinderung sich selbst und der Welt beweisen können, dass es für sie keine Grenzen gibt". Wenn jemand dies zu verhindern versuche, sei das ein Beweis dafür, dass "es Menschen gibt, denen nichts heilig ist". In der ukrainischen Delegation wendet man sich angesichts dieser Heuchelei mit Grausen ab. Eine Sprecherin des Teams teilte gestern mit, man werde Sotschi verlassen, sollten sich die Russen nicht von der Krim zurückziehen: "Wir können nicht an Spielen in einem Land teilnehmen, das unser eigenes Land attackiert."

Willi Lemke, seit 2008 Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Sport, hält einen Boykott für das falsche Signal - so auch in diesem Fall. "Ich weiß nicht, ob diese Reaktion zielführend ist", sagte Lemke: "Mir ist es immer lieber, wenn die Menschen zusammenkommen und miteinander reden." Die Krise könne ohnehin am Ende nur am Verhandlungstisch auf politischer Ebene gelöst werden. Wie Lemke, so lehnen mehrere deutsche Politiker einen Boykott der Paralympics ab. Die Behindertenbeauftragte Verena Bentele (SPD), selbst zwölfmalige Paralympics-Siegerin, plant ihre Reise ans Schwarze Meer heute, will aber abwarten, ob das Auswärtige Amt eine andere Empfehlung ausspricht.

Derweil starten die 13 deutschen Athleten ohne konkretes Medaillenziel, aber mit reichlich Hunger auf Erfolge in die elften Winter-Paralympics in einem "etwas zu groß geratenen Phantasialand" (Beucher über die Wettkampf-Region Krasnaja Poljana). "Wir können mit den Besten mithalten und werden sicher nicht abstürzen", sagte Chef de Mission Karl Quade: "Die Russen werden am Ende deutlich vorne liegen. Wir wollen versuchen, an unser Ergebnis von Vancouver heranzukommen. Wir schicken eine kleine, aber feine Mannschaft nach Sotschi." Vor vier Jahren sammelte das deutsche Team in Kanada 13 Goldmedaillen und war am Ende die erfolgreichste Mannschaft - allerdings haben die Stars Gerd Schönfelder und Verena Bentele mittlerweile ihre Karrieren beendet.

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Auf einen BlickDie öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF werden etwa 21 Stunden im Fernsehen von den elften Paralympics in Sotschi berichten. Abgesehen von der Eröffnungs- und Schlussfeier sind aber keine Live-Bilder von den 72 Entscheidungen während der neun Wettkampftage aus Russland geplant. Den Moderatoren stehen mit Matthias Berg und Gerd Schönfelder zwei vielfache Paralympics-Sieger als Experten zur Seite. Das ZDF sendet beginnend mit der Eröffnungsfeier am 7. März bis zum 11. März und wird abgelöst von der ARD, die bis zur Abschlussfeier am 16. März aus Sotschi berichtet. In Vancouver vor vier Jahren hatten die Sender noch 19:50 Stunden übertragen, in Turin 2006 waren es lediglich 9:20 Stunden. Zusätzlich zu den TV-Übertragungen bieten ARD und ZDF ein umfassendes Onlineangebot an. sid

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