Nach dem Karriere-Ende holte das „Silbermädchen“ doch noch Gold

Sie ist eine der erfolgreichsten Sportlerinnen in der Geschichte des Saarlandes überhaupt: Weltmeisterin, dreifache Silbermedaillen-Gewinnerin bei Olympia, EM-Zweite und fünf Mal deutsche Meisterin. Therese Zenz hat im Kanu nahezu alles erreicht, was man erreichen kann. Dabei fing alles mit einem Zufall an. Denn eigentlich wollte Zenz ja Handball spielen. Die heute 83-Jährige erinnert sich noch genau. "Ich war im Handballverein, und unser Trainer war Kanute. Irgendwann hat er mal gesagt: Therese, du hast so viel Kraft. Fahr doch einfach mal mit." Zenz lacht: "Ich habe ihm gesagt: ,Aber ich habe doch gar kein Boot.' Er antwortete: ,Du brauchst kein eigenes. Komm einfach und fahr.' Das habe ich dann auch gemacht."

 Silberpfeil: 1960 gewann Therese Zenz bei den Olympischen Spielen in Rom innerhalb von nur 80 Minuten zwei Mal Silber. Es waren gleichzeitig die letzten Rennen ihrer Karriere. Dieses Foto vom Einer-Finale nutzt sie heute als Autogramm-Karte.Fotos: Ruppenthal (2), Zenz

Silberpfeil: 1960 gewann Therese Zenz bei den Olympischen Spielen in Rom innerhalb von nur 80 Minuten zwei Mal Silber. Es waren gleichzeitig die letzten Rennen ihrer Karriere. Dieses Foto vom Einer-Finale nutzt sie heute als Autogramm-Karte.Fotos: Ruppenthal (2), Zenz

Und wie. Bei ihrem ersten Trainingsrennen hängt die Mettlacherin prompt alle ab, paddelt einsam vorneweg. "Dabei hatte ich eigentlich gar keine Ahnung", sagt sie. "Ich wusste nicht mal, wo das Ziel ist. Vom Ufer aus haben sie mich angefeuert. Und gerufen: weiter, weiter, weiter." Und Therese fuhr. Unermüdlich. Allen anderen auf und davon.

Einziger WM-Titel des Saarlands

Schnell wird klar: Zenz ist ein Riesen-Talent. Nachdem sie bei einer Regatta in Saarbrücken den Sieg einfährt, lautet die Schlagzeile in der SZ "Neuer Stern am Kanu-Himmel." "Ich hatte mich selbst gewundert, dass die anderen nicht mehr hinterherkamen", sagt Zenz und schmunzelt. Nur wenige Monate später startet sie 1952 bereits bei den Olympischen Spielen in Helsinki für das damals autonome Saarland. Zenz ist gerade mal 19 - und in allen Rennen die Jüngste. Doch das ist nicht das einzige Ungewöhnliche. Denn: Gefahren wird auf dem Meer. Für die Mettlacherin eine riesige Umstellung. Bislang hatte sie immer nur auf der ruhigen Saar trainiert, jetzt musste sie plötzlich nicht nur gegen die Konkurrentinnen kämpfen, sondern auch gegen die ungewohnten Wellen. Dennoch hält Zenz gut mit. Im Vorlauf wird sie Dritte, im Rennen liegt sie lange aussichtsreich auf Position fünf. Dann wird ihr Boot von einer großen Welle getroffen - und Zenz verliert an Boden. Immerhin: Am Ende wird sie in einem Weltklasse-Feld gute Neunte.

Es sind diese Spiele, welche die Sportlerin entscheidend prägen. "Es war ein tolles Erlebnis, dort mit dabei zu sein", erinnert sie sich heute noch gerne zurück. "1952 in Helsinki habe ich begriffen, was Olympia bedeutet und was richtiger Sport heißt. Als ich bei der Siegerehrung die Siegerin Sylvi Saimo sah, dachte ich mir: Da will ich auch mal hin."

Der Ehrgeiz ist entfacht. Von nun an trainiert Zenz noch härter. Noch verbissener. Acht Stunden arbeitet sie bei Villeroy & Boch in Mettlach als Mosaik-Legerin, lässt Bilder für Kirchen, Schulen oder Bäder entstehen. Vor und nach der Schicht geht es raus aufs Wasser.

Zwei Jahre später steht die Sportlerin der Kanufreunde Mettlach tatsächlich ganz oben. Nicht bei Olympia, aber bei der Weltmeisterschaft. Im französischen Macon fährt sie im Einer-Kajak über 500 Meter zum Sieg - und schreibt somit Sportgeschichte: Es ist das erste und einzige Mal, dass bei einer Weltmeisterschaft die Flagge des Saarlandes gehisst wird.

Der Empfang zu Hause wird zum Triumphzug. Dicht gedrängt warten Tausende Saarländer am Bahnhof in Saarbrücken auf die Rückkehr, feiern "unsere Therese". Danach geht's zu Ministerpräsident Johannes Hoffmann (Joho) - und schließlich in Johos Wagen im Auto-Korso durchs halbe Land nach Mettlach. "Dort hatten sie extra ein Zelt aufgebaut, weil es keinen Saal gab, der groß genug war", erinnert sich Zenz. "Alle waren auf den Beinen. Das war unglaublich."

Auch heute noch wohnt Zenz in Mettlach, nicht weit weg vom V&B-Werk, wo sie lange Jahre gearbeitet hat. Und noch immer erreichen die 83-Jährige Autogrammwünsche aus aller Welt. "Dabei ist das doch alles schon so lange her. Ich verstehe das gar nicht", wundert sich Zenz. In diesem Jahr sind es sogar noch mal ein paar Anfragen mehr geworden. "Vor Olympischen Spielen steigert sich das immer ein bisschen", sagt sie. Ein paar Karten mit einem Foto ihres letzten Rennens 1960 in Rom hat sie noch. "Es sind die letzten Karten. Und neue werde ich auch keine mehr machen lassen."

Dabei ist sie für viele ihrer Generation immer noch ein bekanntes Gesicht. Neulich etwa musste sie nach einem Sturz zur Kur. "Da kam ein junger Mann auf mich zu und fragte: ,Sind Sie Therese Zenz? Meine Mutter hat sie erkannt.'" Zenz lacht.

Neben der Goldmedaille und der Popularität bringt ihr der WM-Titel noch etwas: "Der alte Herr von Boch empfing mich nach der WM - und gewährte mir Extra-Urlaub zum Trainieren." Es ist die einzige Vergünstigung, die sie erhält. Geld gibt es nicht. "Meine Eltern haben das meiste finanziert."

Der WM-Titel stachelt Zenz noch zusätzlich an. In jeder freien Minute ist sie nun auf der Saar unterwegs. Eisern. Sogar im Winter, wenn das Wasser eiskalt ist. Es kümmert sie nicht, wenn die Mettlacher den Kopf schütteln. Dazu Gymnastik und immer wieder Dauerläufe hinauf zur Burg Montclair. Ihr Antrieb? Ein unbändiger Ehrgeiz. "Ich wollte mich immer selbst besiegen", erzählt Zenz. "Bei schlechtem Wetter, wenn meine Mutter gesagt hat, dass ich drinbleiben soll, bin ich extra raus. Wenn ich gemerkt habe, dass ich an einem Tag faul bin, habe ich besonders viel gemacht." Beruf, Training, Wettkämpfe. Ein Mann? "Dafür blieb irgendwie keine Zeit", sagt Zenz und schmunzelt. "Und später waren dann die Interessanten alle verheiratet."

Immer nach Gefühl trainiert

Frühe Talentsichtung im Kindesalter, Kaderförderung, wissenschaftlich ausgearbeitete Trainingspläne - so sieht heute die Karriereplanung bei Sportlern aus. Bei Zenz war das anders. "Ich habe immer nach Gefühl trainiert", sagt sie. Trainer Nickel Ziegler lässt ihr den Freiraum. Nur 1959 hatte sie mal kurz einen anderen Betreuer. "Ein paar Monate lang - der wollte mich unbedingt trainieren. Aber das hat nicht funktioniert. Im Winter, ein halbes Jahr vor Olympia, habe ich ihm gesagt: Das bringt nichts. So schlecht wie jetzt war ich noch nie. Von da an habe ich wieder allein trainiert." Ihr Erfolgsgeheimnis? "Das ist eigentlich ganz einfach: Ich habe immer alles mit viel Liebe und Engagement gemacht. Und ich bin immer an meine Grenzen gegangen."

Schon früh ist Zenz bei ihren Konkurrentinnen für ihre Spezialität gefürchtet. Ihr eilt der Ruf als "die Frau mit dem mörderischen Endspurt" voraus. "Mir war immer klar, dass die letzten Meter ausschlaggebend sein können, deshalb habe ich das trainiert", sagt Zenz. Und zermürbt damit reihenweise die Gegnerinnen. "Ich habe nicht mehr nach rechts gesehen und nicht mehr nach links. Ich habe nur noch reingehauen." Zahlreiche Regatten entscheidet sie auf den letzten Metern zu ihren Gunsten. Auch das WM-Rennen 1954. Ironie des Schicksals: Ausgerechnet bei den zwei vielleicht wichtigsten Rennen muss sie sich auf den letzten Metern geschlagen geben.

Melbourne 1956. Der 1. Dezember ist ein heißer Tag: Die Sonne brennt, es sind rund 30 Grad. Kanufinale bei den Olympischen Sommerspielen, die kurioserweise vom 22. November bis 8. Dezember stattfinden. Zenz gilt als Favoritin über die 500 Meter. Seit zwei Jahren ist sie auf dieser Strecke ungeschlagen. Sie spürte den Druck: "Alle Welt erwartete Gold von mir." Und im Vorlauf untermauert sie das. Im Endspurt lässt sie die 80 Meter vor dem Ziel noch führende Russin Jelisaweta Dementjewa stehen und gewinnt mit drei Sekunden Vorsprung klar. Auch im Finale läuft es zunächst rund. Zenz geht mit einer Bootslänge in Führung, das übrige Feld liegt dicht geschlossen zusammen. Dann holt Dementiewa auf, kommt dichter heran. 100 Meter vor dem Ziel erhöht die Russin plötzlich die Schlagzahl, kommt 20 Meter vor dem Ziel mit Zenz auf gleiche Höhe - und sichert sich mit einem letzten Schlagwirbel den Sieg und die Goldmedaille. "Es war so eng, dass zunächst keiner gewusst hat, wer gewonnen hatte", erinnert sich Zenz. "Die Zuschauer nicht, wir nicht. Die Russin kam sogar zu mir und gratulierte mir. Sie hatte gedacht, ich hätte gewonnen." Erst das Zielfoto entscheidet - zugunsten von Dementjewa.

Vier Jahre später, 1960 in Rom, holt Zenz wieder Silber. Diesmal ist es sogar noch knapper. Gegnerin Antonina Seredina ist körperlich klar überlegen und geht am Start in Führung. Doch Zenz hält dagegen, Stück für Stück schiebt sie ihr Boot an das der Russin heran. Nach 300 Metern übernimmt die Mettlacherin die Führung. Wieder kommt es zu einem dramatischen Kopf-an-Kopf-Rennen, das die Zuschauer von den Sitzen reißt. Wieder muss am Ende das Zielfoto entscheiden. Und wieder hat Zenz Pech. Diesmal fehlen sogar nur 0,14 Sekunden. Ein Wimpernschlag. Nie ist ein Saarländer knapper an einer olympischen Goldmedaille vorbeigeschrammt. Enttäuschung? Zenz lächelt. Nein, sagt sie. "Ich hätte gerne Gold geholt. Aber Silber bedeutet mir im Endeffekt genauso viel wie Gold - es war ja ganz knapp." Sie macht eine Pause, dann sagt sie: "Mein Ziel war es immer, vorne mit dabei zu sein. Und das bei Olympia geschafft zu haben, ist ein tolles Gefühl. Ich bin halt das Silbermädchen." 80 Minuten später macht die Saarländerin diesem Namen alle Ehre, sichert sich im Zweier gemeinsam mit Ingrid Hartmann ihre dritte olympische Silbermedaille. Es ist ihr letztes Rennen, danach legte sie das Paddel aus der Hand. "Wenn man das so viele Jahre gemacht hat, hat man irgendwann keine Lust mehr", erklärt sie.

Die Angst der Russen vor Zenz

Mehr als 70 Regatten hat Zenz insgesamt in ihrer Karriere gewonnen, über Jahre hinweg war sie die große Botschafterin des Saarsports in aller Welt. Die Olympia- und WM-Medaillen bewahrt sie heute in einer Vitrine im Schlafzimmer auf, die meisten Pokale stehen im Keller. Das entspricht ihrer bescheidenen Art. Auch, dass sie zunächst gar kein Teil dieser Olympia-Serie sein wollte. "Ist doch schon so lange her", sagt sie. Doch die Erfolge sind bei vielen Saarländern unvergessen. Gleich nach dem Start der Serie kam von Lesern der Hinweis: Vergesst die Therese Zenz nicht. Das hatten wir bei keinem anderen Sportler.

 Therese Zenz (links) und Antonina Seredina lieferten sich 1960 ein packendes Finale. Rechts: Daniela Walkowiak aus Polen, die Dritte.

Therese Zenz (links) und Antonina Seredina lieferten sich 1960 ein packendes Finale. Rechts: Daniela Walkowiak aus Polen, die Dritte.

 Therese Zenz mit einer ihrer drei olympischen Medaillen. „Ich war halt das Silbermädchen“, sagt sie.

Therese Zenz mit einer ihrer drei olympischen Medaillen. „Ich war halt das Silbermädchen“, sagt sie.

Und Olympia-Gold? Ja, das hat sie sich vier Jahre nach ihrem Karriere-Ende dann doch noch geholt. 1964 in Tokio. Zenz war mittlerweile vom Deutschen Kanu-Verband als Betreuerin eingestellt worden. "Die Russinnen kamen vor dem Rennen zu mir. Die hatten Angst davor, dass ich jetzt Trainerin war", erinnert sich die Mettlacherin und lacht. Prompt gewann der deutsche Zweier Gold . Und auch wenn sie als Trainerin am Ende dafür keine Medaille bekam - es war gefühlt auch ihr Triumph. Es war das späte Gold des Silbermädchens.

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