Nach dem großen Interview bleiben nur Verlierer zurück

Austin. Lance Armstrongs halb garer Offenbarungseid im TV auf dem Stuhl von Amerikas Beichtmutter Oprah Winfrey wurde spätestens am Samstag zu einem narzisstischen Schauspiel. Der geständige Doping-Sünder sprach nicht nur tränenreich über seine Kinder, auch verglich er seine lebenslange Sperre mit einer "Todesstrafe"

 Blutdoping gehört wohl immer noch zu einer gängigen Praxis im Radsport, der von Lance Armstrongs Interview nicht profitiert hat. Foto: Rumpenhorst/dpa

Blutdoping gehört wohl immer noch zu einer gängigen Praxis im Radsport, der von Lance Armstrongs Interview nicht profitiert hat. Foto: Rumpenhorst/dpa

Austin. Lance Armstrongs halb garer Offenbarungseid im TV auf dem Stuhl von Amerikas Beichtmutter Oprah Winfrey wurde spätestens am Samstag zu einem narzisstischen Schauspiel. Der geständige Doping-Sünder sprach nicht nur tränenreich über seine Kinder, auch verglich er seine lebenslange Sperre mit einer "Todesstrafe". Weder sich noch dem gesamten Radsport, den Armstrong wie kein Zweiter in Verruf gebracht hat, tat der Texaner damit einen Gefallen.

Statt die notwendige, grundlegende Aufarbeitung einzuleiten, hat der siebenmalige Tour-de-France-Sieger Armstrong nach dem Interview einen dunklen Schatten über dem Radsport gelassen. "Ich habe keine Minute davon gesehen. Warum auch? Er hat das gesagt, was alle schon wussten. Wenn keine anderen Namen fallen, ist es einfach eine Show, was dort gemacht wurde", sagte Deutschlands Top-Sprinter André Greipel enttäuscht.

So durften von der US-Antidoping-Agentur (Usada) ebenfalls belastete Weggefährten Armstrongs über dessen Nicht-Aussagen freudig in die Hände klatschen. Der frühere Chef des Radsport-Weltverbands (UCI), Hein Verbruggen, sah in dem Interview den vermeintlichen Beweis der eigenen Unschuld im Zuge eines Korruptionsskandals. Verbruggen soll Armstrongs System gedeckt und gegen eine Spende von 125 000 Dollar eine positive Dopingprobe bei der Tour de Suisse 2001 unter den Tisch fallen gelassen haben. Armstrong betritt dies in dem Interview.

Zu vieles bleibt also ungeklärt, weil neben Armstrong zu viele Personen nicht all ihr Wissen offenbaren. Jan Ullrich etwa, einst jahrelang Armstrongs Rivale, schweigt weiter über die eigene Vergangenheit und verpasst damit eine Chance. "Ich werde sicherlich nicht Lance Armstrongs Weg gehen und vor einem Millionen-Publikum sprechen, auch wenn einige das von mir immer wieder fordern und vielleicht auch erwarten", sagte der einzige deutsche Tour-de-France-Sieger. Die Vergangenheit interessiere ihn nicht mehr. "Ich lebe im Hier und Jetzt - und das sehr glücklich", sagte Ullrich.

So haftet auch den Radprofis der aktuellen Generation weiterhin ein Glaubwürdigkeits-Problem an. Jetzt, so die Meinung vieler aktiver Fahrer, müsse das Kapitel schnell abgehakt werden. Schluss mit Armstrong, genug von der dunklen Vergangenheit. Der Doping-König ist gestürzt, auf in eine strahlende, saubere Zukunft. Doch weit gefehlt.

Der Eindruck, dass der Radsport auch heute keinesfalls frei ist von Betrügern, hat sich durch die Armstrong-Show nicht verflüchtigt. Im Gegenteil. Nichts hat der Texaner offenbart über Hintermänner und Helfer. Zu wenig besonders über seine zweifelhafte Verbindung zur bis heute nicht reformierten UCI, die sich mit einer Vorreiterrolle im Anti-Doping-Kampf brüstet.

In die gleiche Kerbe schlagen da Aussagen des früheren Rabobank-Profis Thomas Dekker, selbst überführter Epo-Sünder. Dieser gab gerade in einem Interview an, dass in der niederländischen Mannschaft von 1996 bis 2012 systematisch gedopt worden sei. Die Mannschaftsärzte hätten beim Doping assistiert, die Fahrer seien von der Teamleitung zum Betrug aufgefordert worden. Besonders die Aussagen, dass bis ins Vorjahr Doping praktiziert worden sei, erschrecken. Zumindest diejenigen, die an die immer wieder proklamierte Trendwende im Radsport glauben. sid

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort