Moguenara will alles riskieren

Saarbrücken · Weltjahresbestleistung und drohendes Olympia-Aus – das hat Weitspringerin Sosthene Moguenara aus Saarbrücken Ende Mai an einem Wochenende erlebt. Jetzt atmet die 26-Jährige auf. Sie ist fit für Rio.

Dieses ansteckende, offene Lachen hat sie wiedergefunden. Sosthene Moguenara freut sich riesig auf die Olympischen Spiele. In jedem Satz spricht die Erleichterung mit, dass sie rechtzeitig gesund geworden ist, dass das linke Sprunggelenk der Belastung standzuhalten scheint - und dass sie die Rückendeckung vom Deutschen Leichtathletik-Verband und vom Deutschen Olympischen Sportbund bekommen hat. "Es ist noch nicht perfekt. Ich bin vielleicht bei 85 Prozent", sagt Moguenara: "Beim Aufstehen und nach dem Training habe ich ein paar Wehwehchen, manchmal schwillt der Fuß noch an, aber ich habe ja auch noch ein paar Tage Zeit."

Die 26-Jährige vom LAZ Saar 05, gebürtig im Tschad, ist dankbar über jeden Tag bis zum 16. August, wenn im Olympiastadion von Rio der Vorkampf im Weitsprung stattfindet. Denn jeder Tag hilft ihr, die Sicherheit zu finden, die am 29. Mai auf einen Schlag verloren ging. Bei einem Werbedreh für die Leichtathletik-EM 2018 in Berlin war Moguenara auf einer Weichmatte unglücklich umgeknickt. "Ich wollte es gar nicht wahrhaben. Ich war voller Adrenalin und habe mir die ganze Zeit eingeredet, dass es so schlimm gar nicht sein kann", erinnert sie sich an die ersten Minuten nach dem Unfall.

Sofort fährt sie ins Krankenhaus, wartet mehr als vier Stunden, ehe ein Arzt draufschaut. Eine Diagnose erhält sie nicht. Noch am Abend steigt sie in den Flieger von Berlin nach Saarbrücken und wird direkt von Dr. Frank Krämer untersucht. "Er hat sich rührend um mich gekümmert, worüber ich sehr, sehr dankbar bin", sagt Moguenara, die sich einen Bänderriss, einen Anriss und eine Prellung im Sprunggelenk zuzieht - in ihrem Absprungbein. "Ich war nie ernsthaft verletzt. Ich habe nur den Doc angeschaut und gefragt: Was bedeutet das jetzt?"

Was es bedeutet, realisiert sie allerdings schnell. Eine der Hoffnungsträgerinnen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes droht den Saisonhöhepunkt zu verpassen. Zum Zeitpunkt der Verletzung ist Moguenara die Nummer eins der Welt mit 7,16 Metern - aufgestellt keine 24 Stunden zuvor bei der Kurpfalz-Gala in Weinheim. Mit dieser Weite ist sie die bisher drittbeste deutsche Weitspringerin nach Heike Drechsler (7,48) und Helga Radtke (7,21) - und eine Medaillenkandidatin in Rio de Janeiro.

"Ich bin schneller geworden, stärker geworden. Es hatte sich ausgezahlt, auf die Hallensaison zu verzichten und intensiv zu trainieren", sagt Moguenara: "Ich bin sehr froh, dass ich endlich umsetzen konnte, was ich drauf habe. Der Sprung war perfekt. Er wäre mir zwar bei einer Meisterschaft lieber gewesen, aber das kann man sich ja nicht aussuchen." Sie lacht wieder. So natürlich und ansteckend.

Erst Spitze der Weltrangliste, dann das drohende Olympia-Aus - und alles an einem Wochenende. Moguenara nimmt die Situation hin, wie sie ist. Meidet die Öffentlichkeit, die Presse und konzentriert sich voll auf die Reha und das Training mit Trainer Ulli Knapp. Auch die Unterstützung von Lebensgefährte Raphael Holzdeppe ist Gold wert. Der Stabhochsprung-Weltmeister von 2013 weiß, wie es ist, in einem Tief zu stecken. 2014 kommt er gar nicht auf die Beine, in dieser Saison hat er noch keinen Freiluft-Wettkampf bestritten - und darf ohne Norm nach Rio. "Er hat mich aufgebaut, mir immer Hoffnung gemacht", sagt Moguenara: "Und mir manchmal einen Klaps gegeben, wenn ich die Beine zum Schonen nicht hochgelegt habe."

Aktuell ist Schonen nicht mehr angesagt. Moguenara ist voll im Training. Am Wochenende fliegt sie für eine Woche ins Trainingslager nach Teneriffa. Danach kommt Rio. Einen Weitsprung-Wettkampf bestreitet sie vorher nicht mehr. Die nötige Erfahrung, auch mit dieser Situation umzugehen, hat sie. Sie war 2012 in London ("Es war größer als alles, was ich kannte"), bei Europameisterschaften und Weltmeisterschaften. Der ganz große Erfolg ist bislang ausgeblieben. "Reine Kopfsache", sagt Moguenara: "Ich war oft zu nervös, habe mir zu viele Gedanken gemacht." Jetzt nimmt ihr die Verletzung ein wenig Last von den Schultern. Als Nummer zwei der Welt hinter der US-Amerikanerin Brittney Reese (7,31) erwartet nach dieser Geschichte keiner eine Medaille. Moguenara aber kann auch ernst, nicht nur lachen. Was sie in Rio vorhat? "Ich werde alles riskieren. Alles. Egal was passiert."

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