Mit unbeugsamen Typen ins Finale

Belo Horizonte · Deutschland spielt heute (22 Uhr), auf den Tag genau 24 Jahre nach dem letzten WM-Triumph, in Brasilien gegen das ganze Land um die Endspiel-Teilnahme. Die Spieler setzen auf das wiedererstarkte Kollektiv.

Jetzt oder nie - Deutschlands noch ungekrönte Generation um die von dritten Plätzen genervten Veteranen Miroslav Klose , Philipp Lahm , Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski fühlt die historische Chance auf den ersehnten WM-Triumph. Zwar schiebt Bundestrainer Joachim Löw den Brasilianern auch ohne Superstar Neymar die Favoritenrolle zu. Aber vor der "Gelben Wand" im Stadion von Belo Horizonte zittern die deutschen Spieler nicht. "Umso erfahrener man ist, umso mehr saugt man so ein Spiel auf. Man geht mit Freude rein", sagt Bastian Schweinsteiger .

Joachim Löw weiß, dass die fünf vorangegangenen WM-Partien ein Kindergeburtstag waren im Vergleich zum Halbfinale gegen die auf den Heimtriumph gepolten Brasilianer, die ihr gesamtes Volk im Rücken haben. "Wir spielen gegen das ganze Land", sagt der Bundestrainer und legt die Rollen für das heutige Duell (22 Uhr/ZDF ) fest: "200 Millionen Menschen, Fußball-Land, Rekordweltmeister, zu Hause - die Favoritenrolle und den Druck hat schon Brasilien", sagt Löw.

Zugleich bekräftigt er noch einmal den Anspruch seines Teams: "Unser gemeinsames Projekt ist noch nicht zu Ende. Wir wollen unbedingt noch mal in Rio im Maracanã-Stadion spielen. Am 13. Juli. Wir sind noch nicht fertig." Auch Brasilien soll die Stärke der im Laufe des Turniers gefestigten deutschen Elf zu spüren bekommen, wie Löw angriffslustig anmerkt: "Wir haben schon die Qualität, sie zu ärgern."

Mehr als das. Ein Brasilien ohne Neymar und ohne den gesperrten Leitwolf Thiago Silva ist in seiner Wucht empfindlich geschwächt. Trotzdem warnt Löw vor Trugschlüssen: "Das wird große Kräfte freisetzen bei den Brasilianern." Der begabte Willian vom FC Chelsea könnte für Neymar in die Startelf rücken (siehe auch Seite D2). Bayern-Profi Dante dürfte Thiago Silva im Abwehrzentrum vertreten.

Große Geheimnisse gibt es nicht mehr. Löw hat gegen Frankreich eine funktionierende Formation gefunden. Mit Kapitän Lahm rechts in der Viererkette und dem Duo Schweinsteiger und Sami Khedira im Mittelfeld. "Es ist wichtig, dass die zwei Spieler wieder zu hundert Prozent fit sind. Dann helfen sie der Mannschaft auch weiter", betont Lahm. "Ich bin bereit", versichert Schweinsteiger, notfalls auch für 120 Minuten und womöglich ein Elfmeterschießen. Ob Löw genau so wie gegen Frankreich, also auch mit Klose im Angriff, spielen wird, lässt er noch offen.

Auf den Tag genau 24 Jahre nach dem letzten der drei deutschen WM-Titelgewinne am 8. Juli 1990 in Rom will die "Generation 2014" füreinander durch die Hölle gehen - egal in welcher Aufstellung. "Wenn man sieht, einer braucht ein bisschen Hilfe, dann rennt der andere ein paar Meter mehr", sagt Jerome Boateng. Egoismen werden unterdrückt, etwa von dem zunächst gesetzten Abwehrchef Mertesacker, den Löw plötzlich auf die Bank setzte. "Es geht nicht immer um eine Person, um Per oder einen anderen Spieler, sondern darum, dass Deutschland Weltmeister wird", sagt Schweinsteiger: "Das Kollektiv ist entscheidend." Auch und besonders gegen Brasilien. Denn nach dem 8. Juli 1990 soll auch der 8. Juli 2014 als besonderes Datum in die Fußball-Historie eingehen.Besteigt das Land mit der stärksten Nummer eins den Thron, dann kann der Deutsche Fußball-Bund (DFB) die Feier des vierten WM-Titels schon einmal planen. Seine Konkurrenten Julio Cesar (Brasilien), Sergio Romero (Argentinien) und Jasper Cillessen (Niederlande) hat Manuel Neuer im bisherigen Turnierverlauf deutlich ausgestochen.

"Er beweist bei dieser Weltmeisterschaft, dass er momentan der beste Torhüter der Welt ist. Jeder weiß, dass er ein wunderbarer Fußballer ist, der gut mitspielen kann. Aber entscheidend ist, dass er in den wichtigen Situationen da ist und seiner Mannschaft die Siege rettet. Daran wird er letztlich gemessen", sagt der ehemalige Nationaltorhüter Oliver Kahn .

Der 28-jährige Neuer ist der mit Abstand kompletteste Torhüter der vier Halbfinalisten. Im Achtelfinale gegen Algerien riskierte er mehrfach Kopf und Kragen und stellte dabei auch sein enormes fußballerisches Können eindrucksvoll unter Beweis, im Viertelfinale gegen Frankreich rettete er dem DFB-Team mit starken Reflexen auf der Linie den Erfolg. So auch in der vierten Minuten der Nachspielzeit bei einem Schuss von Karim Benzema, den er mit der rechten Hand abwehrte. "Er ist ein Geschenk", bringt es sein Münchner Teamkollege Bastian Schweinsteiger vor dem heutigen Halbfinale gegen Rekordweltmeister Brasilien in Belo Horizonte auf den Punkt.

Dabei wird die Aufgabe für die Torhüter immer schwieriger. "Die Entwicklung bei den Bällen und den Schuhen ist rasant. Die Flugbahn gerade bei Schüssen aus der Distanz ist immer schwerer zu berechnen, die Dinger flattern immer mehr. Den Ball zu fangen, wird extrem schwer", sagt Ex-Weltmeister Bodo Illgner . Einige WM-Torhüter haben die gestiegenen Anforderungen aber mit Bravour gemeistert. Keylor Navas (Costa Rica), Guillermo Ochoa (Mexiko), Claudio Bravo (Chile) und Tim Howard (USA) zeigten überragende Leistungen. Aber sie sind nun mal mit ihren Teams ausgeschieden - Manuel Neuer dagegen nicht. Und er tut alles dafür, dass Deutschland eine große Chance hat, nach dem Titel zu greifen.

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Auf einen BlickDie wichtigsten Duelle gegen Brasilien: Das erste Mal (5. Mai 1963 in Hamburg): Es begann alles so gut gegen Brasilien, doch am Ende gab das Ergebnis im ersten Duell den Trend vor. Nach dem Führungstor von Jürgen Werner (45. Minute) verlor Deutschland gegen den amtierenden Weltmeister noch 1:2. Pelé bereitete den Ausgleich durch Coutinho vor (69.) und erzielte den Siegtreffer (72.). Der erste Sieg (16. Juni 1968 in Stuttgart): Das dritte Spiel brachte den ersten Sieg für die deutsche Mannschaft. Siggi Held (8.) und Bernd Dörfel (56.) erzielten die deutschen Tore, Tostao (57.) gelang nur noch der Anschlusstreffer. Der höchste Sieg (12. März 1986 in Frankfurt): Hans-Peter Briegel (2.) und Klaus Allofs (88.) führten die DFB-Elf in der Vorbereitung auf die WM in Mexiko zu einem 2:0. Es war der einzige Sieg gegen die Seleção mit zwei Toren Differenz. Die höchste Niederlage (24. Juli 1999 in Guadalajara/Mexiko): Beim Confed Cup 1999 in Mexiko blamierte sich der amtierende Europameister mit einer B-Elf bis auf die Knochen und verlor 0:4. Das Drama (30. Juni 2002 in Yokohama/Japan): Das Finale 2002 war das einzige WM-Duell. Es wurde zum Drama, für Deutschland im Allgemeinen, für Nationaltorwart Oliver Kahn im Speziellen. Dem überragenden Spieler des Turniers, der bis dahin nur ein Gegentor kassiert hatte, unterlief vor dem 0:1 durch Ronaldo (67.) der entscheidende Fehler, als er einen Schuss von Rivaldo abprallen ließ. Auch den zweiten Treffer erzielte der WM-Rekordtorschütze Ronaldo (79. Minute). sid

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