Mit guter Laune raus aus der Krise

Berlin · Die Stimmung im deutschen Schwimm-Team ist prächtig – die Form aber auch? Bei der Heim-Europameisterschaft in Berlin müssen Paul Biedermann und Co. beweisen, dass sie die Krise hinter sich gelassen haben.

Nach den Debakeln bei Olympia 2012 und der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr wollen die deutschen Beckenschwimmer um Weltrekordler Paul Biedermann bei der EM in Berlin wieder in der internationalen Spitze auftauchen. Dabei helfen soll neben dem Heimvorteil auch die prächtige Laune im Team. "Alle sind heiß, wir fiebern der EM entgegen. Wir werden sehen, was wir am Ende tatsächlich ins Wasser zaubern können", sagt Bundestrainer Henning Lambertz. Die Vorzeichen für gelungene Wettkämpfe ab heute im Velodrom stünden gut: "Keiner ist krank, keiner verletzt, keiner in schlechter Stimmung."

Bei der Presserunde im Potsdamer Kongresshotel wird gescherzt und viel gelacht. Die WM-Achte Dorothea Brandt erlaubt sich sogar einen Seitenhieb auf den Bundestrainer , als sie bei der Aufzählung seiner Qualitäten sagt: "Er kann auch gut Fußballtennis spielen." Lambertz hatte sich im Trainingslager auf Sardinien eine Knieverletzung zugezogen und läuft seitdem an Krücken.

Für gute Laune sorgt auch der famose Start der Freiwasserschwimmer, in deren Erfolgsspur nun auch Biedermann und Co. nachlegen wollen. Doch ein ähnlicher Medaillenregen wie bei den traumhaften Titelkämpfen an selber Stelle vor zwölf Jahren (22 Mal Edelmetall) ist illusorisch. "Man sollte das nicht ständig miteinander vergleichen", meint Lambertz: "Man sollte auf das schauen, was wir drauf haben - und das ist eine ganze Menge."

Das offizielle Ziel lautet sechs bis acht Medaillen . Dafür müssen wieder die "alten Hasen " in die Bresche springen. Biedermann, Vizeweltmeister Marco Koch, der Olympia-Vierte Steffen Deibler, Brandt, Schmetterling-Schwimmerin Franziska Hentke - das sind wohl die einzigen Medaillenhoffnungen in den Einzelrennen.

Biedermann sieht sich nach dreiwöchiger Trainingspause in der Vorbereitung als "kleine Wundertüte". Die Rennen vor heimischen Publikum seien bei seinem ersten internationalen Wettbewerb auf der Langbahn seit zwei Jahren eine Extra-Motivation. "Das wird eine runde Sache", sagt er gelassen.

Ob Biedermann tatsächlich über 100, 200 und 400 Meter Freistil sowie in den Staffelrennen an den Start geht, ist noch nicht sicher. "Ich muss sehen, wieviel im Tank ist", sagt der 28-Jährige. Das Duell gegen Olympiasieger Yannick Agnel (Frankreich) über 200 Meter werde er sich aber nicht entgehen lassen. Gestern gab der DSV bekannt, dass Biedermann heute auf jeden Fall die 400 Meter in Angriff nehmen wird.

Eine klare Medaillenbank ist Marco Koch. Der Darmstädter, der vor einem Jahr mit Silber die einzige WM-Medaille des deutschen Teams gewonnen hatte, geht nach dem Verzicht seines ungarischen Widersachers Daniel Gyurta über 200 Meter Brust als Goldfavorit ins Rennen. Außerdem hat Koch seinen eigenen deutschen Rekord (2:08,33) im Visier: "Dafür reißen wir uns doch jeden Morgen den Arsch auf."

Steffen Deibler will dagegen endlich den Langbahn-Fluch beenden: Noch immer wartet der Kurzbahn-Weltrekordler auf seine erste internationale Einzel-Medaille. Vor einem Jahr in Barcelona verpasste der Hamburger WM-Bronze um acht Hundertstelsekunden, weil er zu schnell angegangen war. Das soll "nicht noch einmal passieren", sagt der 27-Jährige.

Überraschungen sind nicht zu erwarten. Das von Lambertz ins Leben gerufene Perspektivteam hat den Anschluss an die Spitze noch nicht geschafft. Einige Talente zogen zuletzt sogar den Zorn des Bundestrainers auf sich, weil sie in der Vorbereitung eine "laxe Einstellung" an den Tag gelegt und die EM-Qualifikation verpasst hatten. "Wir können innerhalb kurzer Zeit aus Kohle keine Diamanten machen", sagt Lambertz. Angela Maurer kämpfte mit allem, was sie hatte. Auf den letzten 250 Metern der 25 Kilometer beharkten sich die 39 Jahre alte Schwimmerin und die Ungarin Anna Olasz im Schlussspurt um Silber verbissen mit vollem Körpereinsatz. Im Ziel nutzte all die Erfahrung der WM-Zweiten aus Mainz nichts mehr: 0,4 Sekunden fehlten gestern auf Silber . "Ich bin superfroh, dass es eine Medaille geworden ist. Das ist für mich ein versöhnlicher Abschluss, dass ich es noch kann", sagte Maurer nach 5:19:21 Stunden im Wasser auf der Regattastrecke in Berlin-Grünau. Weltmeisterin Martina Grimaldi aus Italien lag ungefährdet vorn.

Andreas Waschburger kämpfte genauso verbissen - leider mit dem schlechteren Ende als Maurer. Der Saarbrücker verpasste beim Sieg des Franzosen Axel Raymond Bronze nur um 1,6 Sekunden. "Nach fünf Stunden mit der Holzmedaille rauszugehen, ist schon deprimierend", sagte der 27-Jährige ernüchtert. Nach Platz 20 über die zehn Kilometer verpasste "Waschi" damit sein erklärtes Ziel, aus Berlin eine Medaille mitzubringen.

Insgesamt verbuchte die Freiwasser-Sparte sechs Medaillen und damit mehr als in dem mit dem DOSB vereinbarten Zielkorridor von drei bis vier Mal Edelmetall. "Das war eine rundum gelungene EM", sagte Freiwasser-Bundestrainer Stefan Lurz nach einmal Gold, zweimal Silber und dreimal Bronze.

Isabelle Härle musste sich mit Bronze im Team-Event erst einmal anfreunden. "Scheiße, es ging nicht schneller", sagte die Einzel-Europameisterin spontan nach dem dritten Platz über fünf Kilometer am Samstag. Erst nach einigen Augenblicken fand die Essenerin ihr Lächeln wieder und freute sich über die Medaille. Rekordweltmeister Lurz, Härle und dem EM-Zweiten Rob Muffels fehlten 27 Sekunden auf das Trio aus den Niederlanden. Zweite wurde die Formation aus Griechenland. "Die Niederländer waren einen Tick besser, wir knapp Dritter, hätten aber auch Vierter werden können. Von daher muss man auch mit Bronze zufrieden sein", sagte Lurz, der auf die 25 Kilometer nach drei Medaillen verzichtete.

Zum Thema:

Auf einen BlickBei der Schwimm-EM in Berlin steht heute zunächst der Teamwettbewerb im Wasserspringen auf dem Programm (Beginn um 14 Uhr). Darüber hinaus starten die Beckenschwimmer mit Vorläufen sowie den Finals über 400 Meter Freistil der Männer, 400 Meter Lagen der Frauen sowie den 4x100-Meter-Freistilstaffeln der Männer und Frauen (ab 18 Uhr, live in der ARD ). red

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort