Handball-WM in Deutschland Mit einer Medaille aus dem Schattendasein

Hamburg · Die deutschen Handball-Frauen starten an diesem Freitag in die Heim-WM und wollen die Fans in Deutschland begeistern.

Der Vater von Emily Bölk lud Ende Oktober, als die Nationalmannschaft der Frauen gegen die Niederlande testete, ein paar Geschäftspartner in die Magdeburger Getec-Arena. Und die Gäste waren erstaunt, mit welchem Tempo und mit welcher Wucht die besten Handballerinnen der Republik ihre Sportart betreiben. „Die waren total überrascht“, erzählt die 18-Jährige vom Buxtehuder SV: „Die dachten tatsächlich, dass wir da den Ball durch die Halle murmeln.“

Für die kommende Heim-Weltmeisterschaft hat sich die Auswahl von Trainer Michael Biegler fest vorgenommen, auf ähnliche Weise neue Fans für ihren Sport zu gewinnen. Sie betrachten das Turnier, das am Freitag in Leipzig mit dem Spiel Deutschland gegen Kamerun (19 Uhr/Sport1) eröffnet wird, als große Chance. „Ich erhoffe mir von der WM, dass die Aufmerksamkeit und die medialen Reichweiten größer werden, dass daraufhin mehr Sponsoren Interesse zeigen, das ist ja alles ein Kreislauf“, sagt Bölk, die im halblinken Rückraum zu den großen Hoffnungen des Turniers zählt.

Das ehrgeizige Ziel: das Halbfinale in Hamburg. „Wir wollen möglichst in die Endrunde einziehen und zu den besten vier Teams gehören“, sagt Bundestrainer Michael Biegler: „Das muss unser Anspruch als große Handballnation und als Ausrichter sein.“ Doch auch wenn die Mannschaft um Kapitän Anna Loerper (TuS Metzingen) und Torfrau Clara Woltering (BVB Dortmund) im Vorjahr mit Rang sechs bei der EM in Schweden ihr Potenzial andeutete, wäre das Halbfinale schon eine Sensation. Schließlich ist mit Anne Hubinger (Thüringer HC) eine wichtige Kraft im halbrechten Rückraum ausgefallen.

Vor allem kämpfen „die Ladies“, wie Biegler sie nennt, mit ungleichen Waffen gegen die Großmächte des Frauenhandballs. Während der Sport in Deutschland ein Dasein in der Nische fristet, weil die mediale Nachfrage nicht vorhanden ist, schöpfen Nationen wie Dänemark, die Niederlande oder Norwegen aus dem Vollen. Im norwegischen Fernsehen garantieren die Handballerinnen Spitzenquoten im Fernsehen. Auch in den Niederlanden sahen Millionen zu, als Torhüterin Tess Wester & Co. bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro um eine Medaille kämpften. Die staatliche Förderung in diesen Ländern ist so umfassend, dass sich die Handballerinnen dort als Vollprofis auf ihren Sport konzentrieren können.

Hierzulande ist das anders. „Wenn man in Deutschland erzählt, dass man Handballerin ist, dann kommt automatisch die Frage: Ach ja? Und womit verdienst Du Dein Geld?“, erzählt Loerper, die einige Zeit bei Tvis Holstebro ihr Geld verdiente: „Eine solche Frage würde in Dänemark niemand stellen!“ Alle Nationalspielerinnen treiben parallel zum Sport ihre Berufsausbildung voran. „Hochachtung, wie die Ladies ihren Alltag managen“, sagt Biegler, der nach der WM den Bundesligisten SC DhfK Leipzig mit dem Saarländer Yves Kunkel übernimmt.

Beim Deutschen Handball-Bund (DHB) ist man heilfroh, wenn nun wenigstens der Spartensender Sport1 die WM-Spiele live überträgt. Erst für den Fall eines Halbfinaleinzugs würden die Öffentlich-Rechtlichen mit einer Live-Übertragung einsteigen. Auch deshalb wäre der Auftritt der Ladies in Hamburg so wichtig für die Zukunft des deutschen Frauenhandballs.

Diese Frauen-WM sei so etwas wie die letzte Patrone, erklärte der für den Leistungssport zuständige DHB-Vizepräsident Bob Hanning im März 2016, als Biegler als neuer Bundestrainer vorgestellt wurde. Im Falle eines Misserfolgs könne man Frauenhandball gleich ganz abhaken. Hanning selbst interessiert sich offenkundig nur mäßig für das Frauenspiel, weil es ökonomisch und medial so unbedeutend ist.

Das Gespann Biegler und DHB-Sportdirektor Wolfgang Sommerfeld hat in den letzten 18 Monaten sehr viel erreicht. „Früher waren wir ein Haufen, heute sind wir eine Mannschaft“, sagt Flügelspielerin Svenja Huber (BVB). Alle Spielerinnen sind voll des Lobes über die knorrige Art des Trainers. „Biegler hat ganz feine Antennen und nimmt unglaublich viel wahr“, lobt Huber. Und dann hat Biegler allein mit seiner Wortschöpfung der „Ladies“ eine neue Marke kreiert, die tatsächlich die Aufmerksamkeit des Frauenhandballs geringfügig erhöhte.

Aber am Ende sind sie bei der Heim-WM auf einen spektakulären Erfolg angewiesen. Sie brauchen eine Medaille, um von einem Aufschwung des Frauenhandballs weiter zu träumen. Emily Bölk, hoffen sie (nicht nur) in Buxtehude, könnte sich zum neuen Gesicht des deutschen Frauenhandballs entwickeln. „Eine Spielerin mit solch einer Strahlkraft haben wir in Deutschland lange nicht mehr gehabt“, sagt ihr Clubtrainer Dirk Leun. Viele Eltern schickten Briefe, in denen stehe: „Meine Tochter möchte irgendwann so sein wie Emily.“

Auch vor diesem Hintergrund zählt sie zu den wenigen Handballerinnen, die einen Ausrüstervertrag mit einem Sportartikelhersteller (Puma) haben. Der Teenager macht sich freilich keine Illusionen darüber, wie beschwerlich der Weg aus der Nische ist. Eine der letzten Frauen, die im Jahr 1993 den letzten Weltmeister-Titel für Deutschland gewann, also lange vor der Geburt Emily Bölks, erzählte ihr von der Ankunft nach dem großen Triumph von Oslo. Damals gab es keinen Empfang, nur die engsten Freunde warteten. Die Zeitzeugin heißt Andrea Bölk. Ihre Mutter.

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