Leichtathletik „Mui“ ist wieder da – nach langen Jahren

Saarbrücken · Mittelstrecken-Läuferin Mawoin Beavogui vom LAZ Saarbrücken startet an diesem Wochenende bei der deutschen Hallenmeisterschaft in Leipzig über 800 Meter. Die 31-Jährige war zehn Jahre komplett raus aus dem Leistungssport.

   Mawoin Beavogui war in der Jugend deutsche Meisterin. Nach langer Pause flammte mit dem Umzug ins Saarland die Liebe zur Leichtathletik wieder auf.  Foto: Schlichter

Mawoin Beavogui war in der Jugend deutsche Meisterin. Nach langer Pause flammte mit dem Umzug ins Saarland die Liebe zur Leichtathletik wieder auf. Foto: Schlichter

Foto: Andreas Schlichter

Der Blick des kleinen Tyrece geht durch die Leichtathletik-Halle an der Hermann-Neuberger-Sportschule in Saarbrücken. Der Achtjährige sucht seine Mutter. Mawoin Beavogui vom LAZ Saarbrücken dreht im Training ihre Runden. Die Mittelstrecken-Läuferin bereitet sich auf die deutsche Hallenmeisterschaft an diesem Samstag und Sonntag, 22. und 23. Februar, in Leipzig vor. Die 31-Jährige sprintet 100 Meter. Dann trabt sie 100 Meter. Sprintet wieder 100 Meter. Und trabt wieder 100 Meter. Das Ganze wiederholt sie achtmal. „Mittelstrecken-Training ist nicht ohne. Es ist bewunderswert, wie sie das alles als alleinerziehende Mutter meistert“, sagt LAZ-Trainer Jürgen Schneider über die Mama von Tyrece.

Für den Achtjährigen ist die Leichtathletik-Halle, in der seine Mama trainiert, das zweite Wohnzimmer. Der Drittklässler von der Saarbrücker Grundschule Füllengarten ist fast jeden Tag mit seiner Mutter an der Hermann-Neuberger-Sportschule. Der Knirps „trainiert“ dort mit den saarländischen Topathleten. Während seine Mama auf der Laufbahn Kilometer frisst, schaut er sich bei den verschiedensten Topathleten in der Halle spielerisch vieles ab. Erstaunlich, wie ausgeprägt seine koordinativen Fähigkeiten bereits sind. „Ich will Sprinter werden“, sagt Tyrece etwas außer Atem, nachdem er zwischen zwei Lichtschranken einen Sprint über 30 Meter hingelegt hat – und auf der Stoppuhr an der Hallenwand 4,63 Sekunden angezeigt werden: „Mein Ziel sind die 3,6.“ Jürgen Schneider, der auch Sprint-Landestrainer des Saarländischen Leichtathletik-Bundes ist und einst in Diensten des VfB Stuttgart Fußball-Profis wie Jürgen Klinsmann schneller gemacht hat, hört das und sagt: „Der Kleine, der wird in zehn Jahren allen davonrennen.“

Zehn Jahre – so lang ist Mawoin Beavogui keiner Konkurrentin mehr auf der Laufbahn weggerannt. Denn sie war komplett weg von der Bildfläche. Die ehemalige deutsche Jugendmeisterin brannte im Alter von 17 Jahren über 800 Meter die Zeit von 2:06,09 Minuten in die Laufbahn. Damals lief sie noch für den TV Wattenscheid. „Ich denke, es hätte vielleicht für eine Olympia-Teilnahme gereicht“, sagt sie heute über ihr damaliges Leistungsvermögen. Doch ihr Leben sollte eine andere Richtung einschlagen.

Mawoin Beavogui stammt aus Guinea in Westafrika. Ihr Vater Balla ist Bauingenieur. Der heute 51-Jährige wanderte 1994 nach Europa aus. Über Frankreich kam er nach Deutschland. Und holte nach fünf Jahren seinen Sohn Djavily und seine Tochter Mawoin nach. Seine Frau Marie blieb in Guinea. „Meine Mutter habe ich seit dem nicht gesehen“, erzählt Mawoin Beavogui, die statt Mittelstrecken-Läuferin eigentlich Tennis-Spielerin werden sollte. „Papa wollte das, weil er die Williams-Schwestern mochte“, erzählt die 31-Jährige und schmunzelt dabei. Doch schnell zeichnete sich ihr läuferisches Talent ab.

Aber es folgten Rückschläge. Sie war zwei Jahre raus aus dem Sport, weil ein Beckenschiefstand ihr Probleme bereitete – und zunächst nicht erkannt worden war, dass ein Bein kürzer als das andere ist. „Danach bin aber wieder eine Zeit von 2:08 gelaufen“, erzählt Mawoin Beavogui, die Kingsley Omoregbee kennenlernte. Der Sport rückte für die gelernte Schneiderin in den Hintergrund. Das Paar gründete eine Familie. Tyrece kam auf die Welt. „Der Sport war Geschichte“, sagt die 31-Jährige, „ich habe den Sport abgehakt, habe nichts mehr gemacht“.

Ihre beste Freundin blieb dem Leistungssport treu. Mawoin Beavogui hatte als 13-Jährige auf dem Geburtstag einer Freundin Sosthene Moguenara aus dem Tschad kennengelernt. „Wir sind wie Geschwister. Sie ist Teil meines Lebens.“ Und war auch der Grund, warum Mawoin Beavogui nach der Trennung von Kingsley Omoregbee und vor drei Jahren wie Phönix aus der Asche wieder auf der Laufbahn auftauchte.

Die Weitspringerin Sosthene Moguenara vom TV Wattenscheid ist die Freundin von Stabhochsprung-Weltmeister Raphael Holzdeppe vom LAZ Zweibrücken. Über sie zog es Mawoin Beavogui im September 2016 ins Saarland, wo sie nun in Saarbrücken wohnt und in einem Fitness-Studio arbeitet. „Aber der Umzug war ohne Gedanke an den Sport“, wie sie erzählt. Jedoch war sie mit ihrer besten Freundin oft in der Trainingshalle. Und vor drei Jahren machte es dabei klick. „Beim Zuschauen ist das Kribbeln wieder gekommen. Ich wollte dann aus Spaß mal schauen, wie weit ich komme“, sagt die sympathische 800-Meter-Läuferin, die zu trainieren begann und mittlerweile wieder wie früher jeden Tag die Laufschuhe schnürt. Sie sagt mit einem verschmitzten Lächeln: „Die ersten Monate waren richtig hart. Ich habe mich halt wie eine Mama gefühlt, die sich zehn Jahre nicht bewegt hat.“

Doch die Schinderei hat sich gelohnt. „Mui“, wie Mawoin Beavogui genannt wird, ist wieder da. Bei den interregionalen Hallenmeisterschaften im Januar in Luxemburg lief sie mit 2:12,51 Minuten persönliche Jahresbestleistung. Und bei der süddeutschen Meisterschaft vor Kurzem in Sindelfingen rannte sie mit 2:13,66 Minuten zur Silbermedaille. Jetzt steht die deutsche Meisterschaft an diesem Wochenende in Leipzig an. „Das hätte ich mir vor drei Jahren nicht erträumt . . . In Leipzig kann ich ohne Druck einfach Spaß haben. Ich habe gelernt, nicht mehr so verbissen ranzugehen, will einfach nur laufen.“

 Der acht Jahre alte Tyrece möchte schneller sprinten als Usain Bolt.

Der acht Jahre alte Tyrece möchte schneller sprinten als Usain Bolt.

Foto: Julia Schulligen

Das will der kleine Tyrece auch. Und zwar  irgendwann mal schneller als der achtmalige Olympiasieger Usain Bolt. Der Achtjährige hat seine Mama mittlerweile in der Leichtathletik-Halle an der Saarbrücker Sportschule entdeckt. Der kesse Knirps schaut sie an und sagt: „Auf der Langstrecke schlägt sie mich, im Sprint schlage ich sie.“

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