Mammut-Aufgebot mit Überraschungen

Frankfurt · Für Borussia Dortmunds Erik Durm kam die Berufung in das vorläufige 30-köpfige Aufgebot für die Fußball-WM in Brasilien völlig unerwartet. Dennoch freut er sich natürlich – mit ihm freut sich auch der 1. FC Saarbrücken.

Joachim Löw setzt bei seiner WM-Mission bei zentralen Figuren auf das Prinzip Hoffnung, hat aber mit Mario Gomez und Renè Adler zwei prominente Sorgenkinder aussortiert. Gomez, seit der EM 2008 bei jedem Turnier dabei, und Adler als einstige Nummer 1 im Tor gehören nicht zur Liste der 30 Spieler, die der Bundestrainer vor der Abreise ins Fußball-Traumland Brasilien noch um sieben Mann reduzieren muss.

"Hinter jedem dieser Namen steht ein klares Ja", erklärte ein entspannt wirkender Löw bei der Bekanntgabe des vorläufigen Aufgebots in der Verbandszentrale in Frankfurt. Der Fußballlehrer mühte sich, 39 Tage vor dem ersten WM-Spiel am 16. Juni gegen Portugal, die düstere Stimmung zu vertreiben, für die er selbst mit seinen "Kopfschmerzen" über die Verfassung wichtiger Akteure gesorgt hatte. "Die Situation hat sich verbessert zu unseren Gunsten", bemerkte Löw.

Doch ein paar Fragezeichen gäbe es schon noch, räumte der Bundestrainer ein. Vor allem bei Sami Khedira, den Löw trotz halbjähriger Verletzungspause im Gegensatz zu Gomez weiter die Chance einräumt, pünktlich in WM-Form zu kommen. Der defensive Mittelfeldspieler von Real Madrid sei "wegen seiner Persönlichkeit und Erfahrung unverzichtbar", unterstrich Löw: "Form und Fitness sind sehr zentrale Kriterien. Aber es gibt keine Regel ohne Ausnahme, diese Ausnahme haben wir gemacht bei Sami Khedira." Auch bei zuletzt maladen Spielern wie Benedikt Höwedes, Marcel Schmelzer oder Marcell Jansen "müssen wir noch mal sehen", erklärte Löw. Der bald 36-jährige Klose soll trotz mehrerer Verletzungspausen in seinem siebten großen Turnier nochmals helfen.

Nach dem Test am kommenden Dienstag in Hamburg gegen Polen, für den durch das DFB-Pokalfinale und Verpflichtungen der Auslandsprofis nur zehn Spieler aus dem WM-Kader zur Verfügung stehen, will Löw festlegen, welche 25 oder 26 Profis mit ins Trainingslager nach Südtirol reisen. Am 2. Juni, einen Tag nach dem Spiel gegen Kamerun, muss er sich auf sein endgültiges 23-köpfiges Aufgebot festlegen. Bis dahin will Löw mit gleich sechs Neulingen "frisches Blut" in den Kader bringen. Erstmals nominiert für das A-Team wurden der Dortmunder Linksverteidiger Erik Durm, die Schalker Mittelfeldspieler Max Meyer und Leon Goretzka sowie der Hoffenheimer Angreifer Kevin Volland. Ohne Länderspielerfahrung sind zudem der Augsburger Offensivspieler André Hahn und Verteidiger Shkodran Mustafi von Sampdoria Genua. Volland als einziger echter Stoßstürmer neben Klose hat dabei die besten Chancen, Brasilien tatsächlich zu erleben.

Den Verzicht auf Gomez begründete Löw mit den dessen Verletzungen in dieser Saison. "Er hat seit September nur 280 Minuten gespielt", sagte Löw. Er traue ihm nicht zu, unter den extremen Bedingungen in Brasilien in der Lage zu sein, "körperlich zu bestehen". Gomez berichtete auf Facebook vom Anruf des Bundestrainers: "Die hässlichste Saison meiner Karriere endet mit einem weiteren Rückschlag." Zu den frustrierten Akteuren zählen auch Gladbachs Max Kruse, der Leverkusener Sidney Sam, Dortmunds Sven Bender und der Hamburger Heiko Westermann, die ebenfalls Absagen bekamen.Er hatte gerade vier Läufe über die linke Seite gemacht, erinnert sich Andreas Fellhauer an Erik Durm. Der kam 2007 von der SG Rieschweiler in der Nähe von Pirmasens zum 1. FC Saarbrücken. Im Trikot der B-Junioren des FCS spielte Durm in der Saison auf links. "Offensiv", wie Fellhauer noch weiß: "Da hatte er das Pech, dass er auch immer eine Halbzeit direkt vor meiner Trainerbank spielen musste." Und als Durm den fünften Lauf über die linke Seite nicht machte, wurde Fellhauer an der Linie auch mal laut: "Ich habe gerufen, dass er den Lauf machen soll." Vielleicht war Fellhauer auch etwas zu laut. In jedem Fall antwortete Durm: "Trainer, ich bin doch kein Esel."

Nein, das ist Erik Durm nicht. Er ist Nationalspieler, spielte in dieser Saison für Borussia Dortmund in Bundesliga und Champions League und steht seit gestern im vorläufigen Aufgebot der Nationalmannschaft für die WM in Brasilien. "Die Überraschung und die Freude ist natürlich gigantisch", sagte der 21 Jahre alte Jungprofi. Es sei "eine große Ehre", dabei zu sein. "Ich möchte mich in jedem Training beweisen und zeigen, dass der Bundestrainer mich zurecht berufen hat", meinte Durm. Und der lobte Durm gestern ausdrücklich: "Gerade seine Champions-League-Spiele gegen Real Madrid, also auf allerhöchstem Niveau, haben uns überzeugt. Erik hat die Chance verdient, dabei zu sein - auch weil Marcell Jansen und Marcel Schmelzer angeschlagen waren. Im Trainingslager werden wir feststellen, welche Spieler diese Position am besten ausfüllen."

Durm wird hart daran arbeiten. Fleiß zeichnete ihn auch schon in seiner Jugendzeit beim FCS aus. Das bestätigt Fellhauer. "Er hatte damals bereits hervorragende Ausdauerwerte, war beidfüßig und lernwillig. Er hatte alle Voraussetzungen, Profi zu werden." Das sagt auch sein A-Juniorentrainer Bernd Rohrbacher: "Es gibt ja viele, die sagen, dass sie Profi werden wollen. Erik hat man das geglaubt." Unter ihm als Trainer wurde Durm Torschützenkönig, ehe ein Angebot aus Mainz kam. Im Juli 2010 folgte der Wechsel in die Jugendabteilung des FSV. "Ich habe gute Erinnerungen an Saarbrücken. Es war der erste größere Verein, für den ich gespielt habe", sagte Durm kürzlich.

Noch als A-Jugendlicher absolvierte Durm in Mainz am 4. Dezember 2010 gegen die SV Elversberg sein Regionalliga-Debüt in der 2. Mannschaft. Es blieb sein einziger Einsatz in der Saison 2010/2011, im Jahr danach startete er aber durch, erzielte in 32 Spielen 13 Tore. Das Angebot, einen Profivertrag beim FSV zu unterschreiben, lehnte Durm allerdings ab - und ging in die U23 des BVB, für die er in der 2. Mannschaft allerdings nicht wirklich gut traf. BVB-Trainer Jürgen Klopp sah aber sein Talent, zog ihn hoch und stellte ihn auf die linke Seite defensiv. Und auf dieser Position spielt er nun in der Nationalmannschaft. Ein Esel ist er also wahrlich nicht.

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Auf einen BlickBundestrainer Joachim Löw hat 30 Spieler aus 14 Vereinen in den vorläufigen Kader für die WM vom 12. Juni bis 13. Juli in Brasilien berufen. Der vorläufige deutsche WM-Kader (30): Tor (3): Manuel Neuer (FC Bayern), Roman Weidenfeller (Borussia Dortmund), Ron-Robert Zieler (Hannover) Abwehr (11): Jérôme Boateng, Philipp Lahm (beide FC Bayern), Erik Durm, Kevin Großkreutz, Mats Hummels, Marcel Schmelzer (alle Dortmund), Matthias Ginter (SC Freiburg), Benedikt Höwedes (Schalke), Marcell Jansen (Hamburg), Per Mertesacker (FC Arsenal), Shkodran Mustafi (Sampdoria Genua).Mittelfeld (14): Lars Bender (Bayer Leverkusen), Julian Draxler, Leon Goretzka, Max Meyer (alle Schalke 04), Mario Götze, Toni Kroos, Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger (alle FC Bayern München), André Hahn (FC Augsburg), Sami Khedira (Real Madrid), Mesut Özil, Lukas Podolski (beide FC Arsenal), Marco Reus (Borussia Dortmund), André Schürrle (FC Chelsea). Angriff (2): Miroslav Klose (Lazio Rom), Kevin Volland (Hoffenheim). Der Kader für das Länderspiel am 13. Mai in Hamburg gegen Polen: Tor: Zieler, Marc-André ter Stegen (Borussia Mönchengladbach). Abwehr: Sebastian Jung (Eintracht Frankfurt), Ginter, Christian Günter (SC Freiburg), Höwedes, Mustafi, Antonio Rüdiger (VfB Stuttgart), Oliver Sorg (SC Freiburg). Mittelfeld/Angriff: Maximilian Arnold (VfL Wolfsburg), Sebastian Rudy (Hoffenheim), Bender, Draxler, Goretzka, Hahn, Christoph Kramer (Mönchengladbach), Meyer, Volland. dpa/sid

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