"Mami, ich will mit!"

Freigericht. Vanessa, süße drei, stellt sich auf die Zehenspitzen, als ihre Mutter die Laufschuhe schnürt. "Mami, ich will mit!", kräht sie. Irina Mikitenko, Deutschlands erfolgreichstes Marathon-Ass und die größte Hoffnung für die Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2009 in Berlin, schüttelt den Kopf: "Das geht nicht. Aber die Oma kommt gleich und passt auf dich auf

Freigericht. Vanessa, süße drei, stellt sich auf die Zehenspitzen, als ihre Mutter die Laufschuhe schnürt. "Mami, ich will mit!", kräht sie. Irina Mikitenko, Deutschlands erfolgreichstes Marathon-Ass und die größte Hoffnung für die Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2009 in Berlin, schüttelt den Kopf: "Das geht nicht. Aber die Oma kommt gleich und passt auf dich auf." Für die 36-Jährige sind nicht die 42,195 Kilometer die wahre Herausforderung, sondern der Alltag zu Hause im hessischen Freigericht. Bis zu 230 Kilometer Training in der Woche, der Haushalt, die Kinder Vanessa und Alex, 14, die PR-Termine, die Rennen und die Trainingslager außerhalb der Schulferien. "Alleine hätte ich keine Chance: Alexander ist Papa, Manager, Trainer, Koch und Masseur", sagt sie über ihren Mann, der als Metallarbeiter im Schichtdienst auch noch einen Acht-Stunden-Tag hat. Als die beiden 1996 als Spätaussiedler aus Kasachstan kamen, rannte Mikitenko jedes Wochenende für ein paar Hundert Mark bei Straßenläufen. Spätestens im vergangenen Jahr hat sich für die frühere 10000-Meter-Spezialistin einiges geändert - auch finanziell. Mikitenko gewann den Marathon in Berlin und den in London und kassierte im November in New York als Siegerin der World-Marathon-Majors-Serie die höchste Gage ihrer Karriere: 358400 Euro (500000 Dollar). "Ach, eigentlich ist alles gleich geblieben", sagt sie und schaut sich in der bescheidenen Küche um, während ihr Mann ein paar Erdnüsse knabbert und Vanessa die Haare kämmt: "Trainieren, arbeiten, Kinder großziehen." Ohne die Unterstützung ihrer Eltern, erklärt sie, wäre sie allerdings verloren. Denn zwei Mal am Tag macht Mikitenko das, was weit über 20 Millionen Deutsche regelmäßig, aber weitaus langsamer tun: laufen. Damit die für den TV Wattenscheid startende deutsche Rekordhalterin beim Marathon möglichst schnell ins Ziel kommt. "Mein Vater sagt immer: Ich fahre mit dem Auto nicht so viele Kilometer wie du läufst", meint Mikitenko und lächelt. Alle fünf, sechs Wochen braucht sie neue Schuhe. In den Wäldern um Freigericht kennen die Jogger schon das nur 1,62 Meter große und 48 Kilogramm leichte Energiebündel, das an allen vorbeihuscht. Samstags, wenn Mikitenko ihr Höchstpensum von 35 Kilometern abspult, radeln Alexander oder Alex mit, weil sie Getränke und bei Regen und Kälte auch mal trockene Klamotten braucht. "Manchmal ist das schon anstrengend", sagt ihr Filius. Der Stolz auf seine Mutter strahlt nicht nur aus seinen Augen, er hängt auch am Treppenhaus des Einfamilienhauses, handgemalt: "London + Berlin, du bist die Beste." Alexander Mikitenko sagt: "Eigentlich müssten wir alle mehr zusammen machen. Aber ins Schwimmbad gehen oder so, das ist nur im Trainingslager drin." Seine Frau streift die Trainingsjacke über und seufzt. "Die Kinder kennen es nicht anders. Sie wissen: Bei uns gibt's kein Wochenende." Schwierig sei es, wenn Vanessa einmal krank ist. "Da hab' ich schon den Gedanken: Wieso machst du das alles, wieso bist du nicht wie andere, normale Mütter?" Dann gibt sie der Kleinen einen Abschiedskuss und trabt los, die Hauptstraße entlang, bis die Dämmerung sie verschluckt. Der Silvesterlauf in Trier steht bevor, am 26. April rennt sie wieder in London. Und am 23. August, an ihrem 37. Geburtstag, steht der WM-Marathon in Berlin an.

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