Löw und seine vier Fragezeichen

Ascona · Das 1:3 gegen die Slowakei brachte Joachim Löw kaum neue Erkenntnisse für die heutige Nominierung seines EM-Kaders. Der Bundestrainer sieht einige Härtefälle, darunter Kapitän Bastian Schweinsteiger.

 Joachim Löw und seine Assistenten Thomas Schneider und Andreas Köpke (von links) haben gestern viel diskutiert. Foto: gebert/dpa

Joachim Löw und seine Assistenten Thomas Schneider und Andreas Köpke (von links) haben gestern viel diskutiert. Foto: gebert/dpa

Foto: gebert/dpa

Joachim Löw erlaubte sich nach dem verhagelten EM-Test gegen die Slowakei einen nicht ernst gemeinten Scherz, und doch steckte in seinem knappen Satz viel Wahrheit. Am "Dienstag, 23.59 Uhr und 45 Sekunden" werde er seine Entscheidung treffen, wer denn nun die 23 deutschen Spieler für die EM in Frankreich (10. Juni bis 10. Juli) sind, sagte er nach dem 1:3 (1:2) beim Wasser-Ball in Augsburg. 15 Sekunden später läuft die Frist ab.

Auch wenn Löw seine vier Streichkandidaten deutlich früher davon unterrichten wird, dass für sie der EM-Traum geplatzt ist, zeigt diese Aussage: Löw rätselt selbst, wem er das Turnier zutrauen kann. Reicht es für Kapitän Bastian Schweinsteiger ? Schafft es Weltmeister Mats Hummels ? Was ist mit Marco Reus oder Karim Bellarabi? Und sind die vier Jungen, von denen drei gegen die Slowakei debütierten, schon soweit?

Löw tut sich beim Beantworten dieser Fragen schwer: "Verdient hat es niemand, dass er nach Hause fahren muss. Alle Spieler haben ein sehr, sehr gutes Niveau, deshalb wird es schwierig für mich." So schwierig, dass er sich die Entscheidung allein nicht aufbürden will. Gestern beriet sich der Bundestrainer zunächst mit der medizinischen Abteilung um Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. "Ich möchte das Okay vom Arzt, dass es mit den betroffenen Spielern in den nächsten Wochen keine Probleme geben wird", sagte er.

Die Kernfragen für Löw, von ihm selbst formuliert: "Wer ist denn wirklich voll belastbar? Wie lange geht's bei Mats Hummels oder bei Bastian Schweinsteiger oder Marco Reus ?" Hummels meinte, dass es nach seinem Muskelfaserriss in der Wade sogar für das zweite Gruppenspiel gegen Polen am 16. Juni eng werde - der Weltmeister wackelt. Gleiches gilt für Schweinsteiger, von dem niemand im DFB-Tross sagen kann, wann er wieder mit der Mannschaft trainieren wird.

"Bastian war auf dem Platz und hat mit dem Ball gearbeitet", berichtete Löw. Ob der bald 32 Jahre alte Anführer noch ein Turnier, sein siebtes, im Kreuz hat? Löw weiß es nicht. In diesem Jahr hat Schweinsteiger bei Manchester United gerade mal zwei Spiele bestritten, nur eines seit 2. Januar - und da auch nur 20 Minuten. Die EM-Teilnahme des Helden von Rio scheint eine Illusion. Es sei denn, Löw gewährt ihm - wie bei der WM 2014 - einen Sonderstatus. Damals, sagte Schweinsteiger, sei sein Zustand übrigens "noch schlechter" gewesen.

Eine mögliche Entscheidung pro Schweinsteiger hat Löw mit seiner "Zwei-Phasen-Theorie" vorbereitet. Er brauche für Frankreich zwei Mannschaften, sagte er - eine für die Gruppenphase mit dem Auftakt am 12. Juni gegen die Ukraine, eine für die K.o.-Phase. Dann, hofft er, stehen Schweinsteiger und Hummels bereit. Diese Qualität haben auch Reus (Adduktorenprobleme) und Bellarabi (Zerrung), zumindest der Leverkusener aber muss zittern. Genau wie das Nachwuchs-Quartett mit Julian Brandt, Joshua Kimmich, Leroy Sané und Julian Weigl. Aufgedrängt hat sich gegen die Slowakei keiner, was aber auch den Platzverhältnissen geschuldet war.

Neben den Personalien wird sich Löw über das System Gedanken machen. Die defensive Dreierkette, mit der Löw in der Vorrunde plant, offenbarte nach dem gelungenen Test gegen Italien (4:1) arge Schwächen. Auch bei Standards war das DFB-Team anfällig. "Das müssen wir auf alle Fälle nochmal trainieren", sagte Abwehrchef Jerome Boateng. Ein Test bleibt noch vor der EM, am Samstag in Gelsenkirchen gegen Ungarn - dann mit dem endgültigen Kader.

Jeden Anflug einer Diskussion über die beiden Torhüter hinter dem gesetzten Manuel Neuer erstickte Joachim Löw im Keim. "Ich mache ihm keinen Vorwurf", sagte der Bundestrainer über die unglückliche Aktion von Marc-André ter Stegen beim 1:3 (1:2) gegen die Slowakei: "Das kann passieren. Der Platz war nass, der Ball rutschig. Ich weiß, dass er so einen Ball normalerweise hält, das wird das Vertrauen in ihn nicht beeinträchtigen." Beim Treffer durch Juraj Kucka war ter Stegen die harmlose Direktabnahme durch die Hände geglitten. "Ich sehe den Ball nicht mehr vor lauter Wasser, aber natürlich ist das mein Fehler", sagte er.

Der Fauxpas dürfte am Selbstvertrauen des 24-Jährigen nicht nagen. Ter Stegen hatte sich ja schon weder vom missratenen DFB-Debüt in der Schweiz (3:5/Mai 2012), noch den drei Gegentoren gegen Argentinien (August 2012) oder dem Aussetzer in den USA (Juni 2013) nach einem banalen Rückpass langfristig hemmen lassen.

Auch Bernd Leno muss keine Debatte um seine Nominierung fürchten, wenngleich seine ersten 45 Minuten im DFB-Trikot ähnlich unglücklich verliefen wie einst bei ter Stegen. Zumindest beim zweiten Treffer sah der Torwart von Bayer Leverkusen nicht ganz glücklich aus. Leno hatte von Löw den Vorzug vor dem Saarländer Kevin Trapp (Paris St. Germain) erhalten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort