Löw bastelt an Überfall-Taktik"Ich bin kein Mitläufer"

Danzig. Schluss mit Freizeit und Frauenprogramm. Im Regen pfiff Joachim Löw in Danzig die heiße K.o.-Phase für die deutsche Fußball-Nationalelf an. Zwei Tage vor dem EM-Viertelfinale gegen Griechenland hetzte der Bundestrainer seine Spieler wieder über den Trainingsplatz

 Deutschlands Trainer Joachim Löw braucht gegen Griechenland nicht unbedingt noch einen Geistesblitz. Seine Taktik für das Viertelfinale am Freitag hat er bereits im Kopf. Foto: Jens Wolf/dpa

Deutschlands Trainer Joachim Löw braucht gegen Griechenland nicht unbedingt noch einen Geistesblitz. Seine Taktik für das Viertelfinale am Freitag hat er bereits im Kopf. Foto: Jens Wolf/dpa

Danzig. Schluss mit Freizeit und Frauenprogramm. Im Regen pfiff Joachim Löw in Danzig die heiße K.o.-Phase für die deutsche Fußball-Nationalelf an. Zwei Tage vor dem EM-Viertelfinale gegen Griechenland hetzte der Bundestrainer seine Spieler wieder über den Trainingsplatz. "Jetzt geht es schon in die Endphase der Vorbereitung", erklärte Löw mit Blick auf die kurze Zeit bis zum Europameisterschafts-Viertelfinale an diesem Freitag (20.45 Uhr/ZDF) gegen den Sensations-Meister von 2004."Wir müssen hochkonzentriert sein und dürfen nicht schon einen Schritt weiterdenken. Das ist die große Gefahr", betonte gestern Mittelfeld-Antreiber Sami Khedira. Die erste längere Freizeit während des Turniers hatten die deutschen Stars mit Ausflügen in die Danziger Altstadt und in den Ostsee-Urlaubsort Sopot genutzt, "um mal abzuschalten und den Kopf frei zu bekommen", wie Khedira berichtete.

Der Wahl-Madrilene besichtigte mit seinem Vereinskollegen Mesut Özil die Mole in Sopot. Die Bayern Mario Gomez und Bastian Schweinsteiger genossen mit ihren Freundinnen die Danziger Altstadt. "Jetzt wird die Anspannung wieder hochgefahren", berichtete Khedira aus dem DFB-Camp.

Der finale Weg Richtung Kiew ist für das Löw-Team klar abgesteckt. Erst wollen die selbst ernannten Titelanwärter mit Intelligenz und einer Überfall-Taktik das griechische Bollwerk knacken. Dann lockt im Halbfinale ein Fußball-Klassiker - gegen England oder Italien. Nach dem Durchmarsch durch die Gruppenphase gaben sich die Titelanwärter selbstbewusst. "Uns in die Knie zwingen, das werden die Griechen definitiv nicht schaffen", erklärte Khedira. Der entspannt wirkende Bundestrainer will gegen den Überraschungs-Viertelfinalisten seine bisherige Taktik verfeinern und möglicherweise die Hellenen mit personellen und taktischen Kniffen überrumpeln. "Ich scheue mich nicht davor, weitere Entscheidungen zu treffen und zu verändern, weil wir gute Spieler in der Hinterhand haben", erklärte Löw.

Bisher lag der Chef der deutschen Titelmission mit seinem Personal- und Taktik-Puzzle goldrichtig. Die Mischung aus schnellem Offensiv-Fußball und konsequenter Arbeit nach hinten in allen Mannschaftsteilen will der akribisch planende Bundestrainer nicht ändern, "damit man gewappnet ist und nicht im Hurra-Stil nach vorne läuft". Denn genau darauf wartet der Gegner.

Khedira verriet eine zentrale Forderung des Cheftrainers: "Mannschaftstaktisch müssen wir cleverer und intelligenter spielen, um besseren Zugriff auf den Gegner zu bekommen." Wenn dies nicht gelingen würde, könnte das in der Turnier-Endphase zu einer "großen Gefahr" werden, fürchtet Khedira. "Wir können uns noch steigern gegen defensiv eingestellte Gegner. Nicht der Pass bestimmt den Laufweg, sondern der Laufweg bestimmt den Pass", bemerkte Löw, der selbst als Bundestrainer noch nie gegen die Griechen gespielt hat. Überhaupt ist die DFB-Elf in ihrer 104 Jahre alten Länderspiel-Geschichte erst acht Mal auf Griechenland getroffen: Fünf Partien wurden gewonnen, eine Niederlage gab es noch nicht.

Das soll auch so bleiben: "Wir haben einen Erfolgsgedanken im Team, darin kommt Ausscheiden nicht vor", betonte Thomas Müller.

"Killer-Instinkt entwickeln" und "intelligenter laufen" sieht Khedira als entscheidende Punkte. Geduld und Bewegung bezeichnete der 25-Jährige zudem als probates Mittel, um den Abwehrblock der Griechen knacken zu können: "Wenn man statisch steht, wird es sehr schwierig. Wir haben sehr gute Lösungen und müssen sie nur noch umsetzen." Die Mannschaft habe sich seit der WM 2010 deutlich weiterentwickelt: "Wir spielen ruhiger und viel cleverer, gehen nicht mehr so leichtsinnig mit unserem Spiel um."

Löw setzt zudem auf den möglichen Heimvorteil in Danzig, wo das deutsche Team während des Turniers wohnt. "Wir haben uns bisher wahnsinnig wohlgefühlt hier", lobte er die polnischen Gastgeber. dpa

Herr Hummels, das Turnier könnte für Sie eigentlich nicht besser laufen. Sie spielen fix in der Innenverteidigung. Ihre Leistungen werden hoch gelobt.

Mats Hummels: Es ist alles eingetroffen, was ich mir erhofft hatte.

Das dürfte auch Jürgen Klopp freuen, Ihren Heimtrainer.

Hummels: Nach jedem Spiel gibt es Kontakt. Das ist immer sehr unterhaltsam, weil er rhetorisch nicht so schlecht ist.

"Die Anforderungen, um im Fußball ein Intellektueller zu sein, sind natürlich niedriger als anderswo." Der Satz stammt von Ihnen. Sehen Sie sich als Fußball-Intellektueller?

Hummels: Überhaupt nicht. Wenn ich meinen Freundeskreis durchgehe, dann bin ich der Einzige, der kein Abitur gemacht hat. Natürlich fußballbedingt.

Aber das hätten Sie geschafft.

Hummels: Mit der richtigen Einstellung (lacht). Ich habe schon immer versucht, möglichst flüssig zu reden. Das ist der Anspruch an mich selbst. Ich sehe darin keine besondere Begabung. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich keine Nervosität verspüre, wenn ich mit den Medien rede.

Das liegt sicherlich auch an Ihrem familiären Hintergrund. Ihre Mutter ist Sportjournalistin, Ihr Vater Jugendfußballtrainer.

Hummels: Was ich sage, kommentieren meine Eltern eigentlich gar nicht. Die einzige Meinung, auf die ich Wert lege, ist letztlich meine eigene.

Gibt es bei der EM ein Blockdenken nach dem Motto: Da der Bayern-Block, hier die BVB-Profis?

Hummels: Dieses Blockdenken gibt es. Meist hängt man eben mit den Leuten ab, mit denen man tagtäglich zu tun hat. Aber es ist nicht so, dass bei der Nationalmannschaft vier verfeindete Gruppen sitzen würden.

Die Alphatiere kommen aus dem Bayern-Block. Wo stehen Sie in der Hackordnung?

Hummels: Ich bin kein Mitläufer. Ich möchte zum Spiel etwas beitragen, offensiv und defensiv. Ich will nicht einfach nur den Ball abgeben zum Nebenmann, der nur vier Meter entfernt steht. Dass Basti und Miro etwas zu sagen haben, das ist klar. Aber es gibt außerhalb des Spielfelds kaum eine Situation, wo so eine Hackordnung wichtig wäre. Relevant ist, was jeder in 90 Minuten auf dem Platz zeigt. So entstehen Hierarchien. Es ist mir wichtig, dass ich im Ansehen vor allem meiner Mitspieler steige. Die Öffentlichkeit ist dabei nicht so wichtig.

Nicht? Nach einem kritischen Artikel im "Spiegel" reagierten Sie nach dem Portugal-Spiel mit einem Medien-Boykott . . .

Hummels: Dieser Fall war krass, weil viel falsch geschrieben wurde. Meine Mutter hat den "Spiegel" seit 20 Jahren im Abo. Sie hat überlegt, das Abo zu kündigen. Ich fand die Berichterstattung extrem negativ vor der EM. Da wollte ich ein Zeichen setzen.

Aber es gab doch Anlass zur Kritik, weil es für Sie im Nationalteam nicht gut lief.

Hummels: Das waren Testspiele, wo der Defensivgedanke nicht bei allen so ausgeprägt war. Wo die Offensiven sagen: Okay, das ist ein Freundschaftsspiel, konzentrieren wir uns heute aufs Toreschießen. Dann sieht man in der Defensive natürlich schlecht aus. Außerdem wollte ich zu viel. Ich wollte nicht einfach nur normal spielen, sondern besonders gut. Ich wollte besondere Momente kreieren, auffallen, da ich wusste, ich war nicht drin in der Mannschaft. Und ich wollte rein. Das hat zu Fehlern geführt.

Wie sammeln Sie sich nach einem schlechten Spiel wieder?

Hummels: Ich lese mir nach einem Spiel immer alles durch, was so geschrieben wird.

Sie durchforsten wirklich alles?

Hummels: Ja, meistens. Im Hotel kann man nach dem Spiel nicht viel anderes machen als zu lesen und im Internet zu sein.

Tun Sie sich das an, um aus den Bewertungen zu lernen?

Hummels: Ich will wissen, wie das in der Öffentlichkeit gesehen wird. Ob man außerhalb Dinge wahrnimmt, die ich innerhalb des Teams wahrnehme. Oft gibt es da Unterschiede.Foto: Brandt/dpa

"Wir dürfen nicht schon einen Schritt weiterdenken."

Sami Khedira

Hintergrund

Die deutschen Nationalspieler Thomas Müller und Sami Khedira haben die kritisierten Schiedsrichter bei der EM-Vorrunde in Schutz genommen und sich angesichts einiger Fehlentscheidungen für technische Hilfen ausgesprochen. "Aus der Sicht des Spielers ist es schon bitter, wenn das nicht gesehen und man benachteiligt wird. Solange wir Menschen sind, passieren Fehler", sagte Müller. Jüngster Vorfall war das Tor für die Ukraine, das im Spiel gegen England (0:1) nicht gegeben worden war (siehe Seite D 2). Die Zeitlupe zeigte, dass der von John Terry herausgeschlagene Ball die Linie überquert hatte. "Grundsätzlich sind technische Hilfsmittel richtig und wichtig", sagte Müller. Ähnlich sah es Khedira: "Jeder hat eine andere Meinung über technische Hilfsmittel. Ich denke, schaden würde es uns nicht." dpa

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