Laufen zwischen Sport und PartyEvents sind keine "Gegner der Vereine""Über kurz oder lang werden einige Läufe auf der Strecke bleiben"

Dillingen. Wer heute eine Veranstaltung, ein Fest, einen Wettbewerb oder selbst ein Spektakel ankündigt, der ist von gestern. Nichts geht mehr, ohne den Zusatz "Event". Das Saarland will eine Event-Halle bauen, Tickets für Konzerte oder Fußballspiele gibt es auf der Internetplattform "eventim.de"

 Er zählt mittlerweile zu den Klassikern im saarländischen Laufkalender, weil er die mit Abstand meisten Teilnehmer anzieht: Der Firmenlauf in Dillingen hat regelmäßig fünfstellige Teilnehmerzahlen. Foto: Wieck

Er zählt mittlerweile zu den Klassikern im saarländischen Laufkalender, weil er die mit Abstand meisten Teilnehmer anzieht: Der Firmenlauf in Dillingen hat regelmäßig fünfstellige Teilnehmerzahlen. Foto: Wieck

Dillingen. Wer heute eine Veranstaltung, ein Fest, einen Wettbewerb oder selbst ein Spektakel ankündigt, der ist von gestern. Nichts geht mehr, ohne den Zusatz "Event". Das Saarland will eine Event-Halle bauen, Tickets für Konzerte oder Fußballspiele gibt es auf der Internetplattform "eventim.de". Auch die saarländische Laufszene macht vor der "Eventisierung" nicht halt.

Das liegt vor allem an Ralf Niedermeier und seiner Event-Agentur "niedermeier plus". Seitdem der von ihm veranstaltete Wochenspiegel-Firmenlauf Teilnehmerzahlen erreicht, die normale Lauf-Veranstaltungen um das Zehnfache übersteigen, stellt sich die Frage, was andere Volksläufe falsch, beziehungsweise er richtig macht.

Zunächst die Fakten: Im vergangenen Jahr nahmen 45 235 Teilnehmer an Volksläufen teil. Der Firmenlauf war mit 12 114 Läufern im Ziel die mit Abstand bestbesuchteste Veranstaltung. Auf den weiteren Plätzen folgen die Schullaufmeisterschaften in Losheim mit 3 800 Teilnehmern, die drei Marathons in St. Wendel (1 763 Teilnehmer), Saarbrücken (1 461) und Merzig (1062). Die einzigen Zehn-Kilometer-Straßenläufe, die die Tausender-Marke knackten, sind der Martinslauf in Losheim und der Saarbrücker Silvesterlauf.

Der Firmenlauf in Dillingen nimmt in jeder Hinsicht eine Sonderstellung ein. Er ist der Lauf mit den schnellsten Einzelzeiten des Saarlandes (17 Läufer unter 17 Minuten über fünf Kilometer). Gleichzeitig ist er auch der durchschnittlich langsamste Lauf. Von 12 000 Teilnehmern schaffen 10 000 keinen Schnitt von fünf Minuten pro Kilometer.

Und er ist mit der teuerste Lauf des Landes. 52 Euro kostet das Startgeld einer Vierer-Mannschaft. Wer das mit den Teilnehmerzahlen multipliziert, kommt auf eine stattliche Summe. "Dafür stimmt aber auch das Preis-Leistungsverhältnis, die Bahnfahrt ist ja im Preis mit drin", sagt Ralf Niedermeier. Gibt aber auch zu, dass seine Werbe-Ausgaben im "deutlich sechsstelligen Bereich" liegen.

Event-Läufe wie der Firmenlauf haben auch deutschlandweit wahnsinnig hohe Teilnehmerzahlen. Der von Niedermeier veranstaltete Firmenlauf in Kaiserslautern zieht ohne Zeitmessung 7000 Leute an, heute Abend wird der Santa-Lauf stattfinden. 700 als Nikolaus verkleidete Läufer werden, auch ohne Zeitnahme, durch Dillingen rennen. Der Firmenlauf in Frankfurt am Main hatte sogar 70 000 Teilnehmer.

Alle diese Läufe haben eines gemeinsam: Sie bieten Bands, DJs, die obligatorische Samba-Gruppe, das Massenerlebnis. Sie sind Events. Und werben damit nicht zu knapp. Der Volkslauf, der am Sonntagmorgen an der Saar entlang oder durch den Kirkeler Wald führt, kann da nicht mithalten. Während nach den Event-Läufen zur After-Run-Party geladen wird, gibt es nach Volksläufen Kaffee und Kuchen. Das eine klingt nach Spaß und Action, das andere nach Seniorennachmittag.

Obwohl es prinzipiell im Kern um die gleiche Sache, nämlich Laufen, geht, sind die Unterschiede gravierend. Machen die Rahmenbedingungen wirklich soviel aus? Die Antwort liegt in der Tatsache, dass es vielen eben nicht um Laufen im sportlichen Sinne geht. Während bei Volksläufen eher Läufer mit einem sportlichen Ziel antreten, spielt dies bei Event-Läufen nur eine untergeordnete Rolle. Dort zählen Party, Spaß, Miteinander. Ralf Niedermeier gibt zu, dass "einfach jeder" mitmachen kann und keine "bierernste Bestzeitenjagd" stattfinden soll. Es geht um das Event, der Sport ist nur das Mittel zum Zweck. Firmenläufe sind Partys mit Laufcharakter, keine Läufe mit Partycharakter. Eventuell jedenfalls.

Herr Niedermeier, warum ziehen Ihre Veranstaltungen, besonders der Firmenlauf, soviel mehr Menschen an, als andere?

Ralf Niedermeier: Ich glaube, das Gesamtkonzept stimmt. Der Wochenspiegel-Firmenlauf ist eine Mischung aus Laufveranstaltung, Betriebsausflug und Party. Er spricht sehr viele Leute an. Ich glaube, 13 500 der 15 000 Starter des Firmenlaufs haben noch nie an einem normalen Volkslauf teilgenommen.

Wie kommen Sie darauf?

Niedermeier: Das hat viele Gründe. Zum einen ist die Laufstrecke mit fünf Kilometern kürzer als bei normalen Straßenläufen über zehn Kilometer. Dadurch können mehr Teilnehmer die Strecke schaffen. Zum anderen stimmt das Rahmenprogramm. Bands, DJs, Moderatoren von Sat.1 und dem ZDF. Die Leute wollen nicht mehr nur sonntagmorgens in einem einsamen Wald laufen.

Der Firmenlauf in Kaiserslautern und der Santa-Lauf in Dillingen, die auch von Ihnen veranstaltet werden, finden ohne Zeitnahme statt. Inwiefern zählt dabei noch der sportliche Aspekt?

Niedermeier: Schwierige Frage. Die Zeitmessung ist tatsächlich eher kontraproduktiv. Viele unserer Teilnehmer wollen nicht möglichst schnell sein. Es gibt eben mehr Aspekte des Sports als nur der Leistungsgedanke: Bewegung, Wohlfühlen, Spaß in der Gruppe. Natürlich ist es nicht ganz in unserem Sinne, wenn jemand vor dem Lauf zwei Bier trinkt und die fünf Kilometer dann geht. Aber anders hätte er die zwei Bier vielleicht in der Kneipe getrunken und wäre keine fünf Kilometer gegangen.

Muss denn ein Lauf heute eine Party sein?

Niedermeier: Das kann ein Aspekt sein, muss aber nicht. Der Hochwald Gourmet Marathon in Saarbrücken beispielsweise betont ja die kulinarische Seite und hat mit Party wenig zu tun. Wichtig ist, dass ein Lauf etwas hat, was ihn von der Masse abhebt, ein Alleinstellungsmerkmal.

Ist der klassische, vom Verein organisierte Volkslauf, ein veraltetes Konzept?

Niedermeier: Nein, so denke ich nicht. Wir verstehen uns auch nicht als Gegner der Vereine, sondern erweitern das Angebot. Viele kommen erst durch den Firmenlauf zum Laufsport. Diese Leute gehen dann vielleicht später zu einem Lauftreff und starten bei Volksläufen.

Warum sinkt dann bei fast jedem Volkslauf die Teilnehmerzahl?

Niedermeier: Zum einen, weil es eben mehr Volksläufe gibt als früher. Außerdem schaffen auch viele die zehn Kilometer nicht. Die gehen nicht zu den Läufen, weil der Maßstab zu hoch ist. Das Leistungsniveau ist insgesamt zurückgegangen, weil nicht mehr so viel Zeit ins Training investiert wird. Deshalb sind auch Läufe ohne Zeitnahme so attraktiv. Herr Groß, was unterscheidet Läufe, die von Agenturen veranstaltet werden, von normalen Vereins-Volksläufen?

Joachim Groß: Vor allem die verfügbaren finanziellen Mittel. Sponsoren springen unheimlich auf diese Veranstaltungen an. Dadurch kann zum Beispiel die Werbung finanziert werden. Da kann kein normaler Verein mithalten.

Liegt es nur an der Werbung, dass so viel mehr Leute zum Beispiel beim Firmenlauf starten?

Groß: Nein, sicher nicht nur. Diese Veranstaltungen sind natürlich auch gut organisiert. Aber viele sind auch nur auf die Party aus und haben wenig Interesse an dem Lauf an sich.

Stört Sie das?

Groß: Nein, aber der sportliche Aspekt steht meiner Meinung nach nicht im Vordergrund. Das ist aber auch nicht schlimm. Es hat eben nur noch wenig mit einem Volkslauf zu tun. Zum Firmenlauf gehen viele Leute eher untrainiert hin.

Aber es könnte doch sein, dass viele Menschen erst durch solche Veranstaltungen mit dem Sport beginnen?

Groß: Das denke ich nicht. Nach meiner Erfahrung kommt von denen keiner zum Laufen. Da es eigentlich nur Gelegenheitssportler sind, die meist nur dieses eine Mal für ihre Firma laufen. Aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren.

Können traditionelle Volksläufe trotzdem etwas von diesen Event-Läufen lernen?

Groß: Ja, ich denke schon. Es wäre tatsächlich hilfreich, die Streckenlänge zu reduzieren, auch mal einen Fünf-Kilometer-Hauptlauf zu veranstalten. Das Leistungsniveau in der Masse ist insgesamt stark zurückgegangen. Schnelle Strecken sind nicht mehr so entscheidend wie früher. Darauf muss man als Veranstalter reagieren. Auch die Marathons verkommen immer mehr zu Halb- oder Teammarathons. In St. Wendel laufen ja nur 300 den Marathon und 1500 den Halbmarathon. Das ist in Saarbrücken ähnlich.

Wie wird sich die Volkslaufszene im Saarland künftig entwickeln?

Groß: Die Teilnehmer-Zahlen sind insgesamt steigend, auch wegen des Firmenlaufes. Allerdings werden wir nächstes Jahr die Rekordzahl von 82 Veranstaltungen im Saarland haben. Ich denke, über kurz oder lang werden einige Läufe auf der Strecke bleiben.

Heute Abend rennen 700 als Nikolaus verkleidete Läufer beim Santalauf ohne Zeitnahme durch Dillingen. Verstehen Sie das?

Groß: Jeder kann ja machen, was er will. Und wenn die Leute dabei Spaß haben, ist es auch in Ordnung.

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