Fußball Kuntz setzt auf Authentizität als Erfolgs-Faktor

Saarbrücken · Der Neunkircher fühlt sich als U21-Nationaltrainer pudelwohl. Den EM-Titel sieht er als Produkt eines unglaublichen Zusammenhalts.

 Symbolfoto.

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Foto: dpa/Simon Hofmann

Viel bessere Laune als Stefan Kuntz kann man nicht verbreiten. Das ist auch kein Kunststück, schließlich spürt der 54-Jährige immer noch jeden Tag dieses Glücksgefühl, mit der deutschen U21 Fußball-Europameister geworden zu sein. Gut vier Wochen ist es jetzt her, dass er als Bundestrainer mit den „Jungen Wilden“ des Deutschen Fußball-Bundes im EM-Finale in Krakau 1:0 gegen das favorisierte Spanien gewann. Kuntz hat viel erlebt als Spieler, Trainer, Funktionär – aber „das ist etwas, das lange anhält“, erzählt der Neunkircher beim SZ-Redaktionsbesuch: „Ich habe eine innere Zufriedenheit.“

Diese Zufriedenheit speist sich nicht nur aus dem Titelgewinn, sondern liegt auch in der Art und Weise begründet, wie dieser Triumph zustande kam. Gerade hat Kuntz im Urlaub sich noch einmal das Finale in Ruhe angeschaut, später den Spielern, die aus Altersgründen in der nächsten U21-Auswahl nicht mehr mit von der Partie sein können, Sprachnachrichten aufs Handy geschickt. „Alle haben geantwortet“, sagt Kuntz voller Stolz.

Dieses Gemeinschaftsgefühl trug die Mannschaft bei der EM vor allem im letzten Gruppenspiel gegen Italien, als die Deutschen 0:1 verloren und trotzdem weiterkamen. „Das war der Knackpunkt“, sagt Kuntz: „Die Jungs waren richtig sauer, weil sie zum einen nicht so gut gespielt haben und zum anderen hilflos waren, weil wir auch auf das Ergebnis des anderen Gruppenspiels angewiesen waren. Als wir es dann doch geschafft haben, wusste ich, dass es weit gehen kann.“ Die Euphorie des anschließenden Halbfinalsiegs im Elfmeterschießen gegen England trug das Team mit zum Sieg gegen Spanien, und Kuntz trug auch mit erfrischenden Interviews zur guten Stimmung bei. Die U21 wollte „die Herzen der Menschen erreichen“, sagt Kuntz – und das hatten sie geschafft. Auch dank ihres Trainers, der die Authentizität vorlebt.

Seinen Fußball-Lehrer-Schein hat Kuntz schon seit Ewigkeiten. Im Frühjahr 2000 absolvierte er mit alten Weggefährten aus der Fußball-Nationalmannschaft wie Jürgen Klinsmann, Matthias Sammer oder Jürgen Kohler einen „Sonderlehrgang“. Mit dabei war auch Joachim Löw, heute seines Zeichens Weltmeister-Trainer. Löw blieb damals direkt im Trainergeschäft, Kuntz probierte es nur gut drei Jahre bei Borussia Neunkirchen, dem Karlsruher SC, Waldhof Manheim und LR Ahlen (bis November 2003). Nach einer Auszeit beschloss er, „nie mehr Trainer“ sein zu wollen. „Dieser Satz hängt mir bis heute nach“, sagt Kuntz und wehrt sich: „Das ist jetzt 14 Jahre her. Da kann man seine Meinung schon mal ändern. Davon ab habe ich immer auf dem Platz gestanden bei den Vereinen, bei denen ich tätig war.“

Kuntz wurde Funktionär – erst Manager bei Regionalligist TuS Koblenz (2005), dann beim damaligen Bundesligisten VfL Bochum (2006 bis 2008), schließlich Vorstandsvorsitzender beim 1. FC Kaiserslautern. Bei allen Stationen hat er viel gelernt, was ihm jetzt beim Unternehmen Titelgewinn geholfen hat. „Du musst Menschen führen, sie packen, die Herzen der Menschen erreichen“, sagt Kuntz. Oft fällt das Wort „Zusammenhalt“. Seine „Jungs“ packte er mit einer direkten Ansprache. „Ich habe ihnen von Anfang an gesagt: Ihr könnt mit mir über alles reden – aber ihr müsst reden“, erzählt Kuntz. Dabei räumt er nebenbei mit dem weit verbreiteten Klischee des verwöhnten Jungprofis auf, der nur sein prall gefülltes Bankkonto im Kopf hat. „Ganz und gar nicht, das hat mich auch überrascht“, erzählt Kuntz: „Wenn du mit 19 eine Million verdienst, kaufst du deine Jeans halt nicht bei H&M. Die Jungs haben heute aber keinerlei Rückzugsmöglichkeit. Sobald die die Haustür aufmachen, werden sie erkannt. Da muss man sich schon ein bisschen in die Jungs reinversetzen. Die sind nie allein – nur wenn sie zuhause die Tür zumachen.“ Oder halt eben an einem spielfreien Wochenende zum Shoppen nach Mailand fliegen, ohne erkannt zu werden.

Dass Kuntz nach der Erfolgsgeschichte von Polen die „neue“ U21 in die EM-Qualifikation führen wird, steht außer Zweifel. Zwar hat er noch keinen neuen Vertrag unterzeichnet, aber „wir hatten schon ganz gute Vorgespräche“, sagt Kuntz. In den nächsten Wochen sollen die Gespräche finalisiert werden. „Der Austausch mit Joachim Löw ist stetig, und er ist gut“, sagt Kuntz. Mit Bundestorwarttrainer Andreas Köpke und Team-Manager Oliver Bierhoff hat Kuntz zusammen gekickt, mit ihnen den letzten EM-Titel 1996 bei den „Großen“ geholt. Bei einem Treffen zum 20-jährigen Jubiläum im vergangenen Jahr war denn auch die Idee mit Kuntz als U21-Chef und Nachfolger von Horst Hrubesch gereift – kein Fehler, wie der Titel in Polen beweist. Oder wie es Kuntz mit einem Grinsen formuliert: „Wenn du gewinnst, hast du sowieso alles richtig gemacht.“

Am 5. September beginnt die neue EM-Qualifikationsrunde für die U21 mit dem Spiel in Osnabrück gegen den Kosovo. Kuntz steht schon jetzt im Austausch mit seinem Team, mit Bundesliga-Trainern, mit künftigen Spielern, schaut sich viele Spiele an. Den kommenden Neuaufbau sieht er als große Herausforderung an. „Du musst wahnsinnig flexibel sein, gerade weil vieles so kurzfristig passiert“, sagt Kuntz: „Das macht es spannend ohne Ende.“ Ein paar Tage vor dem Spiel wird er seine neue U21 zum Lehrgang begrüßen und mit ihnen auf dem Rasen arbeiten, worauf er sich besonders freut: „Auf dem Platz ist es am einfachsten, zu 100 Prozent Stefan Kuntz zu sein“. Gute Laune inbegriffen.

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