Klinsmanns Reifeprüfung

Natal · Jürgen Klinsmann hat keinen leichten Stand. Im ersten WM-Spiel in Brasilien heute (24 Uhr) gegen Ghana muss ein Sieg her, um die immer lauter werdende Kritik in den USA verstummen zu lassen.

Jürgen Klinsmann machte gute Miene zum bösen Spiel. "Regen , Regen , überall Regen . Aber egal, wir sind bereit", sagte der Nationaltrainer der USA nach der Landung in Natal und lächelte tapfer. Doch die gute Laune könnte dem ehemaligen Bundestrainer schon bald vergehen. Denn im Team-Hotel sollte Klinsmann besser nicht US-Fernsehen schauen. Oder Zeitungen lesen. Oder im Internet surfen.

"Du hast gesagt, dass wir nicht gewinnen werden. Wozu sind wir also in Brasilien ? Um zu verlieren? Ich hoffe, du wirst gefeuert", lautet noch einer der harmloseren Kommentare auf Klinsmanns Facebook-Seite. Auslöser dafür war ein einziger Satz. "Der WM-Titel ist unrealistisch für die USA", hatte der 49-Jährige vor dem heutigen Auftakt gegen Ghana (24 Uhr/ARD ) gesagt. Wörter, die im US-Verständnis einer Kapitulation gleichkommen.

Sogar bis in die Late-Night-Shows schaffte es Klinsmann in den USA. "Klinsmann ist eine Spaßbremse", sagte Comedian Jimmy Kimmel und warf mit Spott um sich: "Warum hat ein US-Team einen deutschen Trainer? Brauchen wir wirklich einen Typen, der David Hasselhoff für einen Sänger hält?" Auch die Nicht-Nominierung von US-Star Landon Donovan haben viele Fans Klinsmann noch nicht verziehen, das Klima für den Deutschen wird langsam rauer.

Helfen kann da vorerst nur ein Sieg gegen Ghana . Jenes Team also, auf das die US-Mannschaft schon bei den vergangenen beiden Weltmeisterschaften traf - und jeweils verlor. "Einige meiner Spieler haben noch eine Rechnung offen", sagte Klinsmann, der Ghanas Generalprobe gegen Südkorea (4:0) im Stadion verfolge. Sein Urteil: "Ghana ist die Nummer eins oder zwei in Afrika."

Angesichts der folgenden Duelle mit Portugal und Deutschland hat Klinsmann die Begegnung bereits als "K.o.-Spiel" bezeichnet. "Statistisch gesehen vergrößern sich die Chancen auf ein Weiterkommen enorm, wenn wir einen oder drei Punkte holen", sagt auch der Ex-Gladbacher Michael Bradley. In der Tat haben seit 1998 nur vier von 46 Teams nach einer Auftakt-Niederlage noch das Achtelfinale erreicht.

Bradley ist einer von vier Spielern im US-Team, die schon beim Achtelfinal-Aus gegen Ghana vor vier Jahren (1:2 nach Verlängerung) in der Startelf standen. Bei den Afrikanern sind es immerhin sechs, darunter auch die damaligen Torschützen Kevin-Prince Boateng und Asamoah Gyan . Auf US-Seite mit dabei waren Tim Howard, Clint Dempsey und Jozy Altidore. Von einer Revanche will Torhüter Howard aber nichts wissen. "Das ist es nicht, was uns motiviert. Ghana hat eine gute Mannschaft, aber wir sind noch ein kleines Stück besser", sagt Howard.

Ähnlich sieht das Klinsmann. "Wir sind nicht mehr der Außenseiter", befand der US-Coach vor seiner ersten Reifeprüfung: "Natürlich sind Portugal und Deutschland die Favoriten, aber wir trauen uns das absolut zu." Den wichtigsten WM-Test immerhin, die Begegnung gegen "Ghana-Ersatz" Nigeria, gewannen die USA dank zweier Treffer von Altidore mit 2:1 und zeigten eine gute Vorstellung - auch wenn das Ghana-Spiel ungleich schwerer wird.

Jürgen Klinsmann jedenfalls könnte ein ähnliches Ergebnis gut gebrauchen, nicht nur wegen der Kritik von Fans und Medien. Immerhin_ Ein paar treue Anhänger hat "Klinsi" auch im Amerika noch. Einer wünschte dem Deutschen auf der Facebook-Seite dann auch das, war er in den kommenden Wochen durchaus brauchen könnte: "Good luck, Herr Klinsmann!"

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Am RandeGhanas Topspieler Kevin-Prince Boateng trifft im WM-Vorrundenspiel gegen die USA heute auch auf seinen ehemaligen Schalker Teamkollegen Jermaine Jones , der sich über Jahre als wenig zimperlicher Bundesligaprofi einen Namen gemacht hat. "Ich habe ihm schon gesagt, dass ich ihm den Ball durch die Beine spiele. Er hat gesagt: Dann wirst du danach nicht mehr laufen können", sagte Boateng. Die Gruppenauslosung hatten beide ironischerweise sogar zusammen im Schalker Mannschaftsbus am Fernseher verfolgt - und Minuten vorher noch gewitzelt, was wohl passieren würde, wenn Ghana und die USA wie schon 2006 und 2010 erneut aufeinandertreffen. dpa

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