Kaffee, Humor und eiserner Wille

Saarbrücken. Wieder so ein Tag, so ein 0-8-16-Tag. "Ein 0-8-16-Tag mit einem 0-8-16-Spiel", sagt Joachim Deckarm, Handball-Weltmeister von 1978, mit seinem verschmitztesten Lächeln. Seit Deckarms schwerem Unfall vor 33 Jahren sind Handballspiele nichts Alltägliches mehr für ihn

 Handball-Legende Joachim Deckarm genießt den Besuch der Jungautorinnen Sabine Bachmann, Katharina Balthasar und Hannah Senzig (von links) sichtlich. Foto: Oliver Dietze

Handball-Legende Joachim Deckarm genießt den Besuch der Jungautorinnen Sabine Bachmann, Katharina Balthasar und Hannah Senzig (von links) sichtlich. Foto: Oliver Dietze

Saarbrücken. Wieder so ein Tag, so ein 0-8-16-Tag. "Ein 0-8-16-Tag mit einem 0-8-16-Spiel", sagt Joachim Deckarm, Handball-Weltmeister von 1978, mit seinem verschmitztesten Lächeln. Seit Deckarms schwerem Unfall vor 33 Jahren sind Handballspiele nichts Alltägliches mehr für ihn. "Ich gehe nicht mehr zu 0-8-15-, sondern nur zu 0-8-16-Spielen", erklärt er seine unfreiwillig freiwillige Auswahl der Begegnungen, die er besucht. Die Anlässe sind nicht immer derart berauschend wie am 19. Januar 2007. Da feierte Deckarm in der ausverkauften Berliner Max-Schmeling-Halle als Ehrengast des WM-Eröffnungsspiels im deutschen Handball-Wintermärchen seinen 53. Geburtstag.

Zuletzt gab eine deutsche Ehrenauswahl unter Trainer Heiner Brand im badischen Ottersweier ein Benefizspiel für den an Leukämie erkrankte Arnulf Meffle (54), ebenfalls Weltmeister von 1978. Eine gute Gelegenheit für die 78er Mannschaft, sich wieder zu treffen und gleichzeitig zu helfen. Deckarm saß natürlich im Publikum.

Handball ist seine Leidenschaft

Solche Benefizspiele - gerade unter dem Motto "Handballer für Handballer" - zeigen, wie die deutsche Handball-Familie zusammenhält. Und kaum irgendwo fühlt sich Deckarm sowohl wie in diesem Kreise. "Handball war nicht meine Leidenschaft, Handball ist meine Leidenschaft", sagt er aus tiefster Überzeugung und meint nicht nur den Sport, sondern eben auch das, was bis in den privaten Bereich hineinwirkt.

Der Weg zu Joachim Deckarm führt über zahlreiche Stufen im Saarbrücker Haus der Parität. Hier lebt er seit fast genau zehn Jahren. Einer seiner freiwilligen Betreuer (FSJ), Lucas Fromme, öffnet die Tür. Das Wohnzimmer ist leer. Joachim mache gerade "seinen geliebten Mittagsschlaf". Die Wohnung mit den gelben Wänden ist eher schlicht eingerichtet, doch viele Fotos und Erinnerungen geben dem Raum den Hauch der Handball-Historie. Dann geht eine Zimmertür auf, und ein Mann mit einer lebensfrohen Ausstrahlung kommt herein. Der Händedruck ist fest. Deckarm hat ein gewinnendes Lächeln. Den mitgebrachten Kuchen muss der 58-Jährige freundlich ablehnen. Eine Erkältung mache ihm zu schaffen.

Was fragt man einen Handball-Weltmeister, der wohl schon so ziemlich alles gefragt wurde? Wie ein normaler Tag in seinem Leben beginne, vielleicht. Das Wichtigste am Morgen sei ein heißer Kaffee "mit einem Schuss Milch, jedoch ohne Zucker". Zucker muss nicht sein, lächelt er, er sei ja selbst "süß genug". Typisch Deckarm.

Den Tag verbringt "Jo" dann mit seinen zwei FSJ-lern, derzeit Lucas Fromme und Jonas Speicher. Die beiden arbeiten in Wechselschichten. Jährlich muss sich Deckarm an neue Betreuer gewöhnen; was für ihn allerdings mehr Freude als Belastung ist. Die meisten Jungs sind selbst Handballer aus dem Saarland, die Chemie stimme also immer. Zu vielen ehemaligen FSJ-lern hält Deckarm noch Kontakt, und so sind schon einige Freundschaften entstanden. Für die professionelle Pflege sorgt seine Hauptbetreuerin, Nicole Rosche. Rosche hat die gesamte Organisation im Alltag rund um den ehemaligen Weltklassespieler übernommen. Seine Betreuer begleiten ihn morgens stets beim Klettern oder beim Schwimmen, was zu seinem Bedauern nur zwei Mal in der Woche auf dem Plan steht. Physiotherapie ist auch sehr wichtig für ihn: "Das strengt zwar an, aber als Sportler bereitet sie mir auch sehr viel Spaß und Abwechslung." Und zudem hängt sein Lebensziel eng damit zusammen: Eines Tages wieder selbständig laufen können. Sein Lebensmotto "Ich will, ich kann, ich muss" hat nach dem schweren Unfall eine neue Qualität bekommen.

Lebensfroh und gut gelaunt

Das Mittagessen liefert ihm das Winterberg-Klinikum, jedoch isst er, zum Leidwesen seiner Betreuer, am liebsten Süßigkeiten, was er immer wieder verschmitzt betont. "Auflauf, aber mit Obst" sei eine seiner Lieblingsgerichte. Nach dem Essen ruht er sich ein wenig aus, nachmittags schaut er am liebsten die Sendung "Hart aber herzlich". Seinen Tag lässt Deckarm dann gemütlich mit der Tagesschau ausklingen. Nachts sind seine Betreuer nicht anwesend, jedoch hat er einen Notfallschalter, falls er Hilfe benötigt. So ist er zu keiner Zeit allein und fühlt sich "nie einsam".

Joachim Deckarm ist kein Mensch, der im Mittelpunkt stehen möchte. Nur verlegen gibt er auf Nachfrage seine beste Eigenschaft preis: seine Weltoffenheit. "Am wohlsten fühle ich mich in der Welt." Was Deckarm überhaupt nicht mag, ist Faulheit. "Faulen Menschen fehlt der Lebensmut, und die Perspektiven fehlen." Keine Frage, ihm selbst fehlt es weder an dem einen noch an dem anderen. "Das Leben ist kein Witz", sagt er und hält kurz inne, ehe er weiter spricht, "sondern lebenswert".

Es ist ein vom Schicksal gezeichneter Mann, der da spricht, doch er ist eine Frohnatur geblieben, die als wahres Vorbild dienen kann. Es ist ihm wichtig, dass seine Stimme gehört wird und sein Umfeld ihn ernst nimmt. Eine Horrorvorstellung ist es ihm, "wie kleiner Jungen behandelt zu werden". Das Gegenteil ist der Fall. Seine jungen Betreuer etwa, die mit ihren 18 Jahren noch recht am Anfang ihres Lebens stehen, beeindruckt er. Jonas Speicher etwa sagt: "Ich habe noch nie einen derart lebensfrohen Menschen getroffen, der sein Umfeld so stark mit seiner guten Laune ansteckt." "Faulen Menschen fehlt der Lebensmut, und die Perspektiven fehlen."

Joachim Deckarm

Zur Person

Joachim Deckarm ist am 19. Januar 1954 in Saarbrücken geboren. In den Jahren 1974, 1975 und 1976 war er deutscher Handballmeister mit dem VfL Gummersbach, 1974 und 1978 Europacupsieger. Er bestritt 104 Länderspiele, erzielte 381 Tore. Seinen Karriere-Höhepunkt erlebte er 1978 mit dem Gewinn des WM-Titels. Am 30. März 1979 änderte sich sein Leben schlagartig. Bei einem Europapokalspiel im ungarischen Tatabánya stieß er unglücklich mit einem Gegenspieler zusammen und knallte mit dem Hinterkopf auf den Boden. Er zog sich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zu und lag 131 Tage im Koma. red

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