Deutsche Fußball-Nationalmannschaft Wenn der Ex-Chef seinen Nachfolger kritisiert

Berlin · Der frühere Bundestrainer Jürgen Klinsmann nimmt heute seine Tätigkeit als TV-Experte beim Fernsehsender RTL auf.

Die neue TV-Rolle von Jürgen Klinsmann verspricht Brisanz: Ab sofort nimmt Joachim Löws Vorgänger den aktuellen Bundestrainer öffentlich unter die Lupe. Als Deutschlands Chefkritiker Nummer eins aber sieht sich der ehemalige Weltmeister Klinsmann nicht. „Ich bin kein Besserwisser. Ich diskutiere gern über Fußball. Das, was wir sehen, werden wir sagen, ob es gut ist oder nicht gut“, beschrieb der 54-Jährige seine Funktion als Fernseh-Experte.

„RTL ist eine schöne Aufgabe, auch um wieder mal nahe dran zu sein. Länderspiele sind immer Höhepunkte. Dann weiß ich wieder mehr, was in Europa passiert“, erklärte Klinsmann vor seinem ersten Einsatz beim Test der deutschen Nationalmannschaft am heutigen Mittwoch gegen Serbien. Möglich machten das Klinsmann-Engagement zwei Rechtepakete, die RTL beim europäischen Verband Uefa erwarb. Insgesamt 28 Spiele der DFB-Auswahl mit Qualifikationspartien für WM und EM sowie Testspiele sind darin enthalten.

Bei sieben Spielen bis zur EM-Endrunde 2020, die dann wieder von ARD und ZDF übertragen werden, wird Klinsmann den Neustart seines einstigen Assistenten Löw mit dem Nationalteam bewerten. „Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, Position zu beziehen“, sagte der gebürtige Schwabe zwar. Doch schon seine Beschreibung des derzeitigen Zustandes der Nationalelf und des deutschen Fußballs insgesamt zeigt, dass Klinsmann auch nicht als Schönredner auftreten wird: „Das ist ein Pulverfass“, erklärte der 108-malige Nationalspieler. Die Entwicklung seit einem Jahr sei „besorgniserregend“.

Welche Prognose er für den Neustart des Löw-Teams wagen würde? „Mehr Hoffnung als Prognose“, antwortete Klinsmann: „Die Hoffnung ist, dass richtig Feuer drin ist, dass die Mannschaft wirklich zu einem Neuanfang durchstartet.“ Löw habe es „allemal verdient, den gravierenden Auftritt bei der WM in Russland zu korrigieren“, sagte der Wahl-Amerikaner. „Fußball-Deutschland will wieder zur Crème de la Crème gehören. Da hast du immer eine Trainerdiskussion. Das weiß auch Jogi“, sagte Klinsmann.

Dass sich Löw, der von seinem Ex-Chef Klinsmann 2006 quasi in den Job des Bundestrainers geschoben wurde, mit der Ausmusterung seines Weltmeister-Trios Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng „selbst nochmals unter Druck setzt“, sei normal, bemerkte Klinsmann. „Du musst Erfolg haben, egal was du tust. Jetzt noch viel mehr. Nicht nur als Nationalmannschaft bist du am Boden. Sondern der gesamte deutsche Fußball ist auf niedrigem Niveau. Du musst schon fragen, warum fährt unser Zug so langsam und andere schießen an uns vorbei?“

Sender RTL hofft auf einen Klinsmann-Effekt. „Die Werbewirksamkeit wird maßgeblich natürlich durch den Kern eines Events bestimmt, und das ist der Sport selbst“, sagte RTL-Sportchef Manfred Loppe. „Aber natürlich registriert die Werbewirtschaft immer positiv, wenn prominente und damit zugkräftige Protagonisten im Team sind.“ Über die Kosten des gesamten RTL-Engagements redet niemand. Es gibt nur Schätzungen, wonach der Preis für eines der Fußballpakete mit der Nationalmannschaft knapp über 100 Millionen Euro liegen soll.