SVE-Trainer Karsten Neitzel „In mir brodelt es immer“

Saarbrücken · Karsten Neitzel, der neue Trainer der SV Elversberg, fühlt sich im Saarland schon nach gut drei Wochen richtig wohl.

 Der neue SVE-Trainer Karsten Neitzel erzählte im SZ-Redaktionsgespräch von seiner Jugend in der DDR sowie seiner Zeit beim SC Freiburg und in Japan.

Der neue SVE-Trainer Karsten Neitzel erzählte im SZ-Redaktionsgespräch von seiner Jugend in der DDR sowie seiner Zeit beim SC Freiburg und in Japan.

Foto: Thomas Wieck

„Hallo, ich bin der Kalle. Los geht’s.“ Mit diesen Worten trat Karsten Neitzel vor gut drei Wochen zum ersten Mal als Trainer des Fußball-Regionalligisten SV Elversberg vor seine Mannschaft. Beim Besuch in der Sportredaktion der Saarbrücker Zeitung lief das ähnlich ab. „Wir sitzen hier alle wegen Fußball, und da duzt man sich. Wenn die Spieler mich siezen, werde ich bald wahnsinnig. Ich muss es ihnen noch einmal sagen. Die Jungen trauen sich anscheinend noch nicht so richtig. Ich sehe vielleicht älter aus, aber ich bin erst 49 Jahre alt“, sagt Neitzel und lacht.

Von der Begrüßung bis zum „Warmwerden“ mit dem Neuen der SVE dauert es gefühlt eine Minute. Neitzel ist direkt, geradeaus, nimmt kein Blatt vor den Mund und hat jederzeit einen lockeren Spruch parat. Im August 2016 wurde der Fußball-Lehrer beim Drittligisten Holstein Kiel freigestellt. „Es kamen Angebote von der ersten bis zur vierten Liga, aber einiges hat sich zerschlagen. Richtig cool bleibt man nie in so einer Auszeit. Man ist Trainer und will wieder arbeiten“, sagt Neitzel.

Mit Kiel hat der gebürtige Dresdner vor zwei Jahren die Relegation zur 2. Bundesliga in der Nachspielzeit verloren. Auch die SVE ist zweimal in Folge in der Relegation (zur 3. Fußball-Liga) gescheitert. „Je mehr man diese Niederlagen zum Thema macht, desto schlimmer wird es. Positiv denken ist angesagt. Wie geil wäre es denn, wenn wir dieses Jahr den Aufstieg schaffen? So denke ich.“ Am meisten Verbesserungspotenzial sieht er im Kopf eines Fußballers: „Gewonnen und verloren wird zwischen den Ohren.“

Neitzel hat das Fußballspielen in der ehemaligen DDR gelernt. „Jeden Dienstag eine Stunde lang mit dem linken Fuß den Ball gegen eine Wand jonglieren. Da bist du fast wahnsinnig geworden. Am Ende konnte ich aber links wie rechts spielen“, erinnert er sich. Strukturgeprägt mit klaren Regeln und so gut wie keine Freiheiten – so waren die DDR-Fußballjahre, die ein Teil von Neitzels Fußball-Philosophie sind. „Gegen den Ball will ich Struktur und Verantwortung sehen. Im Spiel nach vorne gibt es alle Freiheiten.“

Der Erfahrungsschatz des 49-Jährigen ist groß. Elfeinhalb Jahre war Neitzel Co-Trainer unter Volker Finke beim SC Freiburg und trainierte gleichzeitig die U23 des Vereins, arbeitete eng zusammen mit dem damaligen U19-Trainer Christian Streich, heute Bundesliga-Trainer der Freiburger, der damals immer mit dem Fahrrad ins Training fuhr „In Freiburg ist alles bodenständig. Das ist der Grund für den Erfolg des Vereins“, sagt Neitzel. Mit Finke wechselte Neitzel für zwei Jahre nach Japan, in ein völlig anderes Land, mit völlig anderer Kultur. „Dort hat ein Vorort zwei Millionen Einwohner. Zuerst kommt der Beruf, dann die Arbeitskollegen und dann erst die Familie. Nicht umsonst gibt es in Japan die höchste Scheidungsrate im Rentenalter. Dann merken die erst, was sie zu Hause für einen Drachen sitzen haben“, haut Neitzel den nächsten lockeren Spruch raus. „Die Ansprache an die Mannschaft lief in Japan nur mit Dolmetscher ab, du hast nie gewusst, was der den Jungs wirklich erzählt. Es war eine verrückte Zeit, die ich nicht missen möchte. Aber in Japan leben wäre nichts für mich.“

Bei der SV Elversberg braucht Neitzel keinen Dolmetscher. Der neue Cheftrainer sagt klipp und klar, was er denkt – im Training und während des Spiels, positiv wie negativ. Dabei springt Neitzel an der Seitenlinie nicht mehr wie früher auf und ab. „Ich habe eine neue Hüfte, ich sitze lieber. Aber in mir brodelt es immer. Wenn ich aufstehe, wird es meistens ernst“, sagt Neitzel und räumt auf mit einem Seitenlinien-Klischee. „Wenn du da draußen rumturnst wie ein Verrückter, dann heißt es, er bringt Unruhe ins Spiel. Wenn du nur ruhig dasitzt, heißt es, er schläft ein. Das legt jeder aus, wie er möchte. Entscheidend ist und bleibt der Erfolg.“

Neitzel lässt in erster Linie offensiv spielen, kennt die Regionalliga Südwest eigentlich kaum und will deshalb auch keine Favoriten auf die ersten beiden Plätze nennen. „Ich bereite mich auf jeden Gegner gleich vor, egal ob ich ihn kenne oder nicht. Der 1. FC Saarbrücken wird mit seinen Verstärkungen wohl oben mitspielen. Wir wollen auch in der Verlosung sein.“

Zeit, um sich in Elversberg zurechtzufinden, braucht der Neue nicht. Das erwartet er auch von den Spielern. „Wir brauchen Zeit – das ist eine gern genommene Ausrede von Trainern. Davon halte ich nichts. Wir wissen, was in unserem Job zu tun ist und haben sechs Wochen Zeit in der Vorbereitung. Danach muss der Laden funktionieren.“

Der Laden der SVE hat zehn neue Spieler, somit ist die Hälfte des Kaders neu. „Das hatte ich bei der U23 in Freiburg in jeder Saison. Das spielt keine Rolle.“ Auch keine Rolle spielt, dass das Durchschnittsalter einer möglichen SVE-Startelf fast 30 Jahre haben kann. „Ist mir völlig wurscht. Das Entscheidende ist der Teamgeist. Ich habe Spieler auf der Bank gelassen, obwohl sie in acht Spielen zuvor eingewechselt wurden und immer ein Tor geschossen haben. Wenn diese Spieler so funktionieren und alle an einem Strang ziehen, hat man in puncto Teamgeist viel erreicht“, sagt Neitzel. Wer neuer Kapitän wird, weiß er noch nicht. „Den soll die Mannschaft wählen. Das ist ihr Vertreter, nicht meiner.“

In Elversberg und im Trainingszentrum der SVE im französischen Großblittersdorf findet Neitzel sich schon heimisch: „Es ist alles da, und wenn etwas fehlt, wird es sofort organisiert. Ich bin mit allem mehr als zufrieden.“ Fehlen nur noch die Liga-Punkte und der Kick des Wettbewerbes. „Es gibt für mich nichts Größeres, als nach einem gewonnenen Auswärtsspiel im Bus nach Hause zu fahren, auf dem Laptop noch einmal das Spiel zu gucken und mitzubekommen, wie sich die Jungs hinten im Bus freuen.“

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