Im freien Fall zu Bronze

Barcelona · Die erste WM-Entscheidung im Klippenspringen bot Nervenkitzel, und Anna Bader durfte sich zwar nicht über das erhoffte Gold, aber über Bronze freuen. Der Auftritt aus 20 Metern Höhe machte Lust auf mehr.

Als Anna Bader gestern nach ihrem freien Fall aus 20 Metern wieder auftauchte, strahlte sie über das ganze Gesicht. Die 29-Jährige hatte bei der spektakulären Weltmeisterschafts-Premiere der Klippenspringer im Hafen von Barcelona Gold verloren, aber ihre erste WM-Medaille gewonnen. "Es war fantastisch", sagte die Serien-Europameisterin. Doch das Lachen täuschte ein wenig: "Ich hätte mir schon Gold gewünscht." Die Extremsportlerin war auf dem Stahlgerüst neben den Segel-Yachten im Port Vell als Favoritin angetreten. Die ehemalige Wasserspringerin aus Mainz, die sich als Klippenspringerin mangels Konkurrenz seit Jahren mit Männern misst, musste sich bei ihrem ersten großen Wettbewerb mit weiblicher Konkurrenz hinter Cesilie Carlton und Ginger Huber (beide USA) mit Platz drei zufrieden geben.

Die mehreren tausend Zuschauer auf den Tribünen, der Hafenmole und den Booten hatten den Atem angehalten, als Bader vor ihrem ersten Sprung in Schwindel erregender Höhe in den Handstand ging und einen eineinhalbfachen gestreckten Salto hinlegte. Zwei Taucher begleiteten alle Springerinnen unter Wasser, um bei Unfällen sofort eingreifen zu können. Beim Klippenspringen tauchen die Athleten mit den Füßen zuerst ein, weil die einwirkenden Kräfte auf die Nackenmuskulatur bei einem Kopfsprung zu groß wären.

Der Schwimm-Weltverband Fina hatte den Trendsport erstmals ins offizielle Programm aufgenommen, weil er die Telegenität nutzen wollte. Das Konzept ging auf: Tausende schauten im Hafen von Barcelona zu, bei jedem Sprung ging ein Raunen durchs Publikum, die Fernsehbilder gehörten zu den spektakulärsten der Weltmeisterschaft. Bader, die vor dem WM-Debüt ihrer Sportart mit Nacktfotos im Playboy-Magazin auf sich aufmerksam gemacht, hofft nun auf eine olympische Zukunft. "Das wäre der Hammer", sagte die 29-Jährige, "ich glaube, dass es nicht von heute auf morgen passieren wird. Aber es wäre ein Traum". Am Ende ihres WM-Debüts gönnte sie sich dann noch eine besondere Belohnung: "Paella und Sangria, das muss auf jeden Fall gefeiert werden."

Um WM-Medaillen hätte Bader schon eher springen können, wenn sie beim "normalen" Wasserspringen geblieben wäre - sie gehörte zum B-Kader der Nationalmannschaft. Doch sie wollte im wahrsten Sinn des Wortes höher hinaus. In einem Jamaika-Urlaub lernte sie die Faszination des Klippenspringens kennen, als sie sich mit Einheimischen von Felsen ins karibische Meer stürzte. Die Sprünge vom Zehn-Meter-Turm reizten Bader danach immer weniger. 2005 wurde sie in der Schweiz "wie aus Versehen Europameisterin". Sechs weitere Titel folgten - jeweils ohne Konkurrenz: "Ich bin bei den Männern mitgesprungen." Keine Medaille, keine positive Überraschung und keine Erklärung. Der WM-Auftritt der deutschen Beckenschwimmer in Barcelona erinnert frappierend an das Olympia-Debakel 2012 ohne Edelmetall. "Die Parallelen kann man nicht von der Hand weisen und man muss überlegen", sagt Chefbundestrainer Henning Lambertz. Wie vor zwölf Monaten in London trumpft Schmetterling-Ass Steffen Deibler stark auf, wie damals ist Britta Steffen keine Hoffnungsträgerin mehr. Und wie bei den Olympischen Spielen fehlt ein mitreißender Auftritt eines Starters aus der zweiten Reihe.

70 Prozent der Schwimmer sollten ihre Zeit von den deutschen Meisterschaften im April verbessern - geschafft haben es nach drei Wettkampftagen zwei von mehr als einem Dutzend Startern: Deibler, der mit 23,02 Sekunden deutschen Rekord schwamm, und Hendrik Feldwehr, der über 100 Meter Brust die Anforderung erfüllte - über 50 Meter blieb er gestern in 27,59 Sekunden hinter dem Ziel zurück und verfehlte um eine Hundertstelsekunde das Halbfinale.

Dass es reihenweise Rückschläge gibt, spricht stark für einen grundlegenden Fehler im System. "Irgendwo ist da irgendwas, was wir nicht wissen, was wir nicht finden. Ich glaube nicht, dass das die Trainingsmethodik ist. Es machen nicht auf einmal 25 Trainer, die beteiligt sind, alles verkehrt", rätselt Lambertz. Besonders bedenklich ist, dass selbst die im Vergleich zu den Vorjahren entschärften WM-Normen nicht erreicht wurden.

Lambertz ist erst ein gutes halbes Jahr im Amt und um seine Mission nicht zu beneiden. "Die ganze Individualität, die wir zugelassen haben, egal ob Norden, Süden, Osten, Westen, egal ob alte Trainer, junge Trainer, Frauen, Männer, ganz erfahrene Kollegen, ganz frische Neulinge - das kann ja nicht sein, dass alle auf einmal alles falsch machen", sagt Lambertz.

Ein paar Prozente kann vielleicht eine andere Mentalität herauskitzeln, wie sie etwa Freiwasser-Rekordweltmeister Thomas Lurz in der Mannschaftssitzung hervorhob. "Er hat gesagt: ,Ich gehe da rein und habe das Gefühl, entweder ich gewinne oder ich sterbe. Bevor ich nicht gewinne, muss man mich fast umbringen'", verriet Lambertz: "Das ist die Einstellung, die wir brauchen. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Neulinge in diesem Becken das wieder lernen. Dass es nicht dieses sich Ergeben ist, sondern kämpfen, kämpfen, kämpfen bis zum letzten Moment." Und der ist in Barcelona erst am Sonntag.

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Auf Einen BlickDer Nachwuchs räumt bei der Schwimm-Weltmeisterschaft in Barcelona ab. Katie Ledecky aus den USA ist mit 16 Jahren die jüngste Titelträgerin über 1500 Meter Freistil. In 15:36,53 Minuten unterbot sie gestern Abend den Weltrekord um sechs Sekunden. Olympiasiegerin Ruta Meilutyte aus Litauen gewann über 100 Meter Brust die Goldmedaille. Mit der Siegerzeit von 1:04,42 Minuten blieb die 16-Jährige aber etwas über ihren am Tag zuvor im Halbfinale aufgestellten Weltrekord (1:04,35 Minuten). sid/dpa

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