Heimliches Endspiel unterm Dach

Montréal · Damit der Titeltraum nicht wieder im Viertelfinale platzt, müssen die deutschen Fußballerinnen den Mitfavoriten Frankreich aus dem Weg räumen. Bundestrainerin Neid fordert „Präsenz und Leidenschaft“.

Den Hexenkessel im frankophilen Montréal zum Schweigen bringen, mit Kraft-Fußball einen der größten WM-Widersacher bezwingen und so den Titeltraum am Leben halten: Der Masterplan der deutschen Fußballerinnen für die Herkulesaufgabe im Viertelfinale gegen den Mitfavoriten Frankreich heute (22 Uhr/ZDF und Eurosport) steht.

Nach dem starken Achtelfinale gegen Schweden (4:1) und mit dem Olympia-Ticket in der Tasche geht die DFB-Auswahl entschlossen und voller Selbstvertrauen in das endspielwürdige Duell mit der Nummer drei der Welt. "Das wird ein Kampf, und wir wollen direkt zeigen, wer der Chef im Ring ist", sagte Simone Laudehr . Lena Goeßling schickte eine Kampfansage in Richtung Équipe Tricolore: "Wir wollen Frankreich keine Luft zum Atmen geben."

Damit sprachen die beiden Mittelfeldspielerinnen Bundestrainerin Silvia Neid aus der Seele, die einen Auftritt mit "Präsenz und Leidenschaft" forderte: "Es wird entscheidend sein, dass wir Frankreich nicht ins Spiel kommen lassen. Wenn sie ihr Kombinationsspiel aufziehen können, wird es ganz schwer." Und im Halbfinale würde es nicht leichter - hier droht das Duell mit dem zweimaligen Titelträger USA.

Dank der Qualifikation für Rio 2016 sei zwar "der erste Druck schon mal abgefallen", sagte Alexandra Popp . Doch das war für den zweimaligen Welt- und Europameister nur das erste Etappenziel: "Priorität Nummer eins ist der WM-Titel."

2011 war bei der Heim-WM in der Runde der letzten Acht gegen den späteren Weltmeister Japan Endstation. Vier Jahre später ist die deutsche Mannschaft breiter aufgestellt als vielleicht jemals zuvor. Vor allem aber hat sich das Binnenklima verändert. "Unser Mix harmoniert super. Wir haben viel Spaß, lachen viel", sagte Popp, die den EM-Triumph 2013 in Schweden verletzungsbedingt verpasst hatte und seit ihrer Rückkehr auch mehr Kommunikation des Trainerteams mit der Mannschaft registriert.

In der frankophonen Millionenmetropole müssen sich die Deutschen auch auf ein Heimspiel für die Französinnen einstellen. Doch das soll nur noch mehr Motivation geben. "Umso schöner ist es doch, wenn man ein Tor schießt und es wird immer leiser", sagte Laudehr, und Popp ergänzte: "Das ist auch mal ganz cool, wenn ein ganzes Stadion gegen einen ist. Das kann einen pushen."

Insiderinformationen über den hochgehandelten WM-Vierten von 2011, der in der Vorbereitung neben Deutschland auch die USA, Brasilien und Kanada besiegte, können die Paris-Legionärinnen Annike Krahn und Josephine Henning geben. "Das kann helfen - wobei sie mich natürlich auch kennen", sagte Krahn, neben der in der Innenverteidigung wohl Babett Peter für die gesperrte Saskia Bartusiak aufläuft.

Eine Umstellung wird auch der "Hallenfußball" im überdachten Olympiastadion. "Mit dem Kunstrasen hat das schon was von Indoor-Soccer", sagte Celia Sasic, für die das Spiel als Halbfranzösin ohnehin einen besonderen Beigeschmack hat. Der Respekt der Französinnen vor den deutschen Fußballerinnen ist groß. "Wir sind Weltranglistendritter. Das ist gut, aber es ist nichts im Vergleich zu den deutschen Erfolgen", sagte Verteidigerin Jessica Houara D'Hommeaux vor dem WM-Viertelfinale heute: "Wir kommen näher, aber Deutschland ist eine Dampfwalze." Dabei gelten die technisch und taktisch hervorragend ausgebildeten Französinnen schon seit Jahren als eines der besten Teams der Welt.

Auf Titel oder Medaillen warten Les Bleues bislang aber vergeblich - und den Stars wie Laura Georges (30), Camille Abily (30) oder Louisa Necib (28) läuft langsam die Zeit davon. "Es gibt Spielerinnen, die im Herbst ihrer Karriere sind. Für sie heißt es nun: jetzt oder nie", sagte Nationaltrainer Philippe Bergeroo.

2011 in Deutschland belegten Les Bleues den vierten Platz. Nun, vier Jahre vor der WM im eigenen Land, wäre ein besseres Abschneiden Gold wert, um die aufkeimende Frauenfußball-Begeisterung in der Grande Nation zu befeuern. Und die lässt sich an Zahlen ablesen: 2,8 Millionen TV-Zuschauer verfolgten in der Heimat das 3:0 im Achtelfinale gegen Südkorea.

Großes Plus des erfahrenen Teams ist der eingespielte Kern der Mannschaft. Deutschland ist aber alles andere als der Lieblingsgegner. Bei einem großen Turnier haben Les Bleues noch nie gegen die DFB-Auswahl gewonnen. Selbstvertrauen gibt aber das Testspiel in Offenbach im Oktober, das Frankreich verdient mit 2:0 für sich entschied. "Dieses Viertelfinale wird im Kopf entschieden", sagt Bergeroo, "und der Druck lastet nicht auf uns."

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Am RandeFei Wang war neun Jahre, als China bei der WM 1999 im Finale gegen die USA verlor. Das grandiose Ereignis in der Rose Bowl von Pasadena, dieser riesigen mit 90 185 Zuschauern gefüllten Schüssel, brannte sich in ihr Gehirn ein und eroberte ihr Herz. "Meiner Mama und meinem Papa habe ich nichts davon gesagt", erzählt die Torhüterin von Turbine Potsdam. "Aber ich habe diesen Gedanken immer in meinem Herzen behalten." Ihre Idole unterlagen dem US-Team 4:5 im Elfmeterschießen. In Kanada kann Wang heute für Revanche sorgen - sie trifft um 1.30 Uhr (ZDF ) in Ottawa mit China auf die USA. Die 25 Jahre alte Lehramtsstudentin der Universität in Peking ist Stammtorhüterin des chinesischen Teams und war in den vier bisherigen WM-Spielen der große Rückhalt, kassierte nur drei Treffer. Seit Januar spielt sie als erste Chinesin in der Bundesliga für Potsdam. "Wir haben unsere neue Nadine Angerer gefunden", schwärmt Potsdams Trainer Bernd Schröder. "Sie gehört für mich zu den besten Torhüterinnen der Welt." sid

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