Dopingskandal in Russland Große Geheimhaltung vor dem Doping-Urteil

Lausanne · Das Internationale Olympische Komitee entscheidet heute in Lausanne über einen Komplett-Ausschluss Russlands bei den Winterspielen 2018.

Komplett-Ausschluss, Start unter neutraler Flagge, Geldstrafe: Wie hart wird Russland für sein Doping-Vergehen bestraft? Die Sportwelt blickt heute gebannt nach Lausanne, wenn das Internationale Olympische Komitee (IOC) über die Teilnahme Russlands an den Winterspielen in Pyeongchang (9. bis 25. Februar) entscheidet.

Selten war die Geheimhaltung im Vorfeld so groß. Exekutivmitglieder gingen plötzlich nicht mehr an ihr Handy und wurden abgeschirmt. Heute sind die mehreren hundert Medienvertreter in Lausanne im Palais de Beaulieu untergebracht, während das 14-köpfige Entscheidungsgremium der Exekutive an einem anderen Ort der Stadt tagt. Erst am Abend kommt IOC-Präsident Thomas Bach zur Verkündung (19.30 Uhr) ins Beaulieu.

Zuvor werden sich die Exekutivmitglieder die Ergebnisse der IOC-Kommission von Samuel Schmid anhören. Der frühere Schweizer Bundesrat hat ermittelt, inwieweit russische Behörden und Polizei am Dopingsystem während Olympia 2014 in Sotschi beteiligt waren. Kommt er zu dem Ergebnis, dass es so war – wie es auch Wada-Chefermittler Richard McLaren und Kronzeuge Grigorij Rodtschenkow behauptet hatten – kann es eigentlich keine Alternative zu einem Komplett-Ausschluss Russlands geben. Einen größeren Angriff auf die olympische Bewegung hat es noch nicht gegeben.

Doch wenn Schmid keine Beweise für eine Verstrickung des Staatsapparates liefert, fällt es Bach umso leichter, seine Ablehnung gegenüber Kollektivstrafen durchzusetzen. Dann könnte es sein, dass Russlands Athleten doch starten dürfen, wie bei den Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro.

Doch Bach machte klar, dass die aktuellen Untersuchungen im Vergleich zum Sommer 2016 eine neue Qualität erreicht hätten. „Jetzt geht es um die Vorkommnisse bei den Winterspielen in Sotschi 2014. Jetzt geht es darum, was bei Olympischen Spielen passiert ist, in einem Dopinglabor der Olympischen Spiele“, betonte der IOC-Boss.

Sollte die russische Mannschaft nicht gesperrt werden, wäre es denkbar, dass sie unter neutraler Flagge in Pyeongchang starten müsste. Eine Einschränkung, die Präsident Wladimir Putin aber bereits als „Erniedrigung des Landes“ bezeichnete hatte. Es ist gut möglich, dass Russland mit einem Boykott antworten würde. Für McLaren wäre das IOC dann „aus dem Schneider“, da sich Russland „ja selbst freiwillig von den Spielen ausgeschlossen“ hätte.

Der kanadische Jurist McLaren hatte Russland in seinen beiden Berichten ein institutionelles Dopingsystem bescheinigt. In der Zeit von 2011 bis 2015 sollen rund 1000 russische Athleten davon profitiert haben. Erhärtet wurden die Anschuldigungen zuletzt durch eine Datensammlung aus dem Moskauer Kontrolllabor, die Rodtschenkows Aussagen bestätigt haben sollen und deren Echtheit die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) am Sonntag nach Recherchen der ARD bestätigte.

Eine weitere Sanktion, die das Riesenreich bei einem Verzicht auf einen Kollektiv-Ausschluss heute treffen könnte, wäre eine saftige Geldstrafe. Im Raum steht eine Zahlung von 100 Millionen Dollar, die der Wada zugute kommen könnte.

Welchen Einfluss die überraschend harten Urteile der Oswald-Kommission haben, ist fraglich. Das Schweizer IOC-Mitglied Denis Oswald hatte die Proben der russischen Athleten untersucht, die in Sotschi manipuliert haben, und in seiner Begründung McLaren und Rodtschenkow gelobt. Das Ergebnis war enorm: 25 russische Sotschi-Fahrer sperrte Oswald bislang lebenslang für Olympia, darunter drei Olympiasieger.

Für den deutschen Sportrechtsexperten Michael Lehner kann es daher heute nur eine Lösung geben: den Gesamtausschluss Russlands von den Spielen in Südkorea. „Wenn der Athlet lebenslang gesperrt wird, dann muss die Schuld des Systems mindestens genauso groß sein“, sagte der Wissenschaftler. So rigoros sieht das aber längst nicht jeder. Einige Vertreter von Sportverbänden warnen davor, unschuldige Athleten aus Russland zu sperren und sprechen sich gegen einen Kollektiv-Bann aus. Etwa Bernhard Mayr, der Präsident des Deutschen Curling-Verbandes: „Es fällt schwer, mich für etwas Konkretes auszusprechen, da ich die Faktenlage nicht genau kenne. Aber ich hoffe, dass das IOC bei den Themen, die eindeutig sind, konsequent bleibt. Ich habe aber ein bisschen das Gefühl, dass die Entscheidung eher von den Folgen abhängig gemacht wird, anstatt von dem, was passiert ist. Ich würde mir wünschen, dass nach Beweislage entschieden wird.“

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