Götterdämmerung in Rio

Rio de Janeiro · Die Sensation ist perfekt: Der Welt- und Europameister ist bei der WM in Brasilien in der Vorrunde gescheitert. Die erfolgsverwöhnten Spanier unterlagen im zweiten Spiel der Gruppe B den Chilenen mit 0:2.

Der gefallene Final-Held Andrés Iniesta schlich aus dem Maracanã-Stadion, das gestürzte "Denkmal" Xavi nahm den Hinterausgang, und der einst "heilige" Iker Casillas entschuldigte sich bei "ganz Spanien": Am Tag, als zu Hause König Juan Carlos I. abdankte, waren die spanischen Fußball-Könige in Rio de Janeiro von ihrem Thron gestürzt - und selbst am meisten geschockt.

"Wir waren ganz oben", stammelte Iniesta und sah noch ein bisschen blasser aus als sonst, "jetzt sind wir ganz unten. Das ist ein sehr schwieriger Moment, grausam". Vor vier Jahren hatte das Fußball-Genie die Spanier mit seinem Final-Tor zum Triumph geführt, jetzt war er eines der vielen Gesichter der für alle unfassbaren Pleite.

Das 0:2 (0:2) gegen ein starkes Chile , das nach den Toren von Eduardo Vargas (20. Minute) und Charles Aranguiz (43.) verdient das Achtelfinale erreichte, bedeutete das Aus für einen Weltmeister nach zwei Spielen - so früh wie zuvor nur Italien 1950. Spaniens Herrschaft nach zwei EM-Siegen und dem Triumph bei der WM in Südafrika war um 17.54 Uhr Ortszeit nach sechs Jahren zu Ende.

Xavi , der wortlos aus dem Stadion verschwand, wird nach der WM nicht mehr für "La Roja" (die "Rote Furie") spielen, da ist sich Fußball-Spanien sicher. David Villa hatte seinen Abschied schon vorher verkündet. Casillas, Xabi Alonso , Fernando Torres und Pepe Reina könnten folgen. Auch Trainer Vicente del Bosque? "Wenn so etwas passiert, hat das immer Konsequenzen", sagte der 63-Jährige: "Wir müssen uns jetzt Gedanken machen und dann die besten Entscheidungen für den spanischen Fußball treffen. Das trifft auch auf meine Position zu." Es klang fast wie eine Rücktrittserklärung. Sein Vertrag läuft bis 2016. Verbandspräsident Angel Maria Villar hatte ihm vor dem Spiel eine Arbeitsplatzgarantie ausgestellt. Doch in einer Umfrage der Zeitung Marca forderten drei Viertel der Teilnehmer seine Ablösung. "Ich glaube an Vicente", sagte dagegen Abwehrspieler Sergio Ramos.

Del Bosque hat Spanien nach dem EM-Sieg unter seinem kürzlich verstorbenen Vorgänger Luis Aragonés zur unschlagbaren Fußball-Maschine geformt. In Brasilien aber schien es, als sei seine Mannschaft ein Auslaufmodell. Bayern Münchens Trainer Pep Guardiola, noch so ein Übervater dieser Generation spanischer Fußballer, hat seine Spielidee modifiziert und so zuletzt immerhin den DFB-Pokal gewonnen. Übrigens im gleichen System, mit dem zuerst die Niederlande (5:1) und jetzt Chile die Spanier geknackt haben. Del Bosque war dazu nicht in der Lage. "Tiki-taka ist tot", war deshalb gestern vielerorts zu lesen. Ist es auch diese Mannschaft? Die Zeitung AS verglich die Lage mit der des FC Barcelona , der 2014 erstmals seit sechs Jahren keinen Titel gewann. Als Beleg diente Xavi , der bei einem großen Turnier seit dem unbedeutenden Vorrundenspiel der EM 2008 gegen Griechenland nicht in der Startelf stand. Und Piqué, der bei den Erfolgen 2010 und 2012 immer begonnen hatte. Diesmal spielte für ihn Javi Martínez. Die Wechsel halfen nicht. Spanien ist am Boden.

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Auf einen Blick Pressestimmen zum WM-Aus von Weltmeister Spanien: Marca (Spanien): "Die ruhmreichste Zeit in der Geschichte der ,La Roja' nimmt ein wahrhaft klägliches Ende."El Mundo (Spanien): "Das Imperium, das sechs Jahre lang den Weltfußball dominiert hat, zerfällt nun ebenso wie die großen Reiche in der Geschichte untergegangen sind."Daily Mirror (England): "Wenn die Mächtigsten fallen, scheint die ganze Erde zu beben. Und nach sechs Jahren Dominanz hat Spanien die schlechteste Verteidigung der WM-Geschichte hervorgebracht."De Telegraaf (Niederlande): "Weltmeister werden ist eine Leistung, aber Weltmeister bleiben ist eine Kunst."Basler Zeitung (Schweiz): "Tiki-taka tuckert nach Hause." dpa

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